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Es wird ja immer wieder gerne auf das ach so böse anonyme Internet geschimpft. Die Urheberrechtsindustrie ist da besonders fleißig, nach ihren Wünschen soll jeder, der irgendetwas im Internet schreibt oder irgendwo hochlädt, mit Name und Anschrift bekannt sein. Auf dem JMStV-Camp wurde dieses Modell von Musikindustrie-Lobbyisten auch für den Jugendschutz empfohlen, aber vor allem sind die Lobbyisten im politischen Berlin aktiv. Ob sie auch beim ehemaligen Kulturstaatsminister Michael Naumann vorsprachen? Ich weiß es nicht. Aber: Naumann meint, der arme Bundespräsident Christian Wulff werde von anonymen Autoren im Internet verunglimpft – und es werde Zeit, diese Ruchlosigkeit bald zu beenden. All das mündet im Grunde in einer mal mehr oder weniger klar artikulierten Forderung: Kommunikation und Meinungsäußerung im Internet nur noch gegen eindeutige Authentifizierung. Im Ergebnis wäre das weit schlimmer als das, was in den feuchtesten Träumen der Vorratsdatenspeicherungs-Befürworter vorkommt.

Doch wer Naumanns Äußerungen näher betrachtet, erkennt vor allem eins: Wer das Internet nur vom Hörensagen kennt und nicht einmal in der Lage ist, rudimentär zu recherchieren, sollte vielleicht lieber die Klappe halten.

filmwirtschaft.pngAnlässlich einer Podiumsdiskussion bei den Medientagen in München, habe ich gerade eben im Zug mal nach den Umsatzzahlen der Medienindustrie recherchiert. Das Ergebnis ist ein kleines PDF mit zwei Grafiken sowie einer Tabelle – und den Umsatzzahlen der Film und Musikindustrie zwischen 1998 und 2009.

Umsatzzahlen-Medienindustrie.pdf

Quelle der Daten: Mediendaten Südwest (LFK Baden-Württemberg); da gibt es auch noch mehr Zahlen zu verschiedenen Bereichen.

Das Gejammere über Google Street View ist ja angesichts der tatsächlichen und tiefgreifenden Eingriffe in die Privatsphäre der Bürger durch Staat und Unternehmen nicht nur scheinheilig sondern beschämend. Besonders dummdreist wird es aber, wenn sich die Bürger für die Zeitung vor ihrem Haus Fotografieren und unter dem Bild mit Name nennen lassen. besonderer-street-view.pngDas steht nicht nur in der gedruckten Zeitung und im Archiv, sondern heutzutage auch im Internet: Und nun sind sie mit ihrem Namen für Immer im Netz auffindbar, Haus inklusive. Zum Beispiel über Google und über Bing. Bei Google Streetview wären sie nicht zu finden, das ist letztendlich nur eine erweiterte Landkarte.

Den älteren Herrschaften kann man eher wenig Vorwürfe machen, schließlich ist zu vermuten, dass sie kein Internet haben, gar nicht wissen um was es geht und von der Qualitätsjournalistin entsprechend instruiert wurden. Daher geht der Vorwurf auch an Jennifer Koch und ihren Leitenden Redakteur bei der Rheinischen Post. Von einer Journalistin, die über ein Thema recherchiert, erwarte ich, dass sie sich nach der Recherche zumindest rudimentär auskennt und ihre Interviewpartner nicht (unbewusst) zum Deppen macht. Denn der eigentliche „Depp“ ist Jennifer Koch mit ihrer eigenen Unkenntnis – dass sie ihre Gesprächspartner absichtlich reinreitet glaube ich nicht. Die spannende Frage ist zudem, was ihr Redaktionsleiter wohl dazu sagen würde, wenn er einen Artikel nicht mehr mit Haus-Fotos bebildern dürfte?

Die Aufregung um Google Streetview ist lächerlich. Ilse Aigner und Teile des politischen Berlins versuchen damit von den eigenen Datenschutz-Verfehlungen abzulenken sowie im Sommerloch populistisch zu punkten – und sind bereit, die Panoramafreiheit für die eigene Show zu opfern. Wenn Frau Aigner wirklich etwas für Datenschutz tun wöllte, dann würde sie sich darüber Gedanken machen, dass Scoring-Firmen eine Einstufung der Bürger anhand der Wohngegend vornehmen. Das greift viel tiefer in die Privatsphäre der Bürger ein, aber da geht es ja nicht um einen bösen ausländischen Konzern.

(siehe auch: Fefe, Schreibblockade, Spiegel OnlineZeit Online)

Update: Inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema unter anderem hier:

 

Update: auch die Heilbronner Stimme blamiert ihre Leser

streetview-hst-1.pngstreetview-hst-2.pngAuch in der Heilbronner Stimme ist das Thema angekommen, und deren Qualitätsjournalisten Carsten Friese und Constanze Koppenhöfer sorgen dafür, dass ihre Leser namentlich im Internet suchbar sind und aussagen, dass sie nicht im Internet stehen wollen.

Man muss nicht immer gläserner werden.“ zitieren Friese und Koppenhöfer den Hausbesitzer, aber bilden ihn mitsamt Name, Haus und Gesicht in der Zeitung ab. Und natürlich online, damit er auch mittels Suchmaschinen gefunden werden kann.

Scheinheilige Aufregung überall.

Immerhin kann man den beiden HSt-Journalisten zu gute halten, dass sie auch Befürworter zu Wort kommen lassen und sich unter dem Strich selbst nicht übermäßig gegen Street View aussprechen. Vielleicht ist es ja auch nur eine Satire gegenüber den Gegnern, von denen man sich gut vorstellen kann, dass sie nun ganz stolz die Zeitung zu Hause aufhängen: „Da schau mal Ilse, ich bin in der Zeitung!“

Noch einmal möchte ich hier etwas zur Loveparade schreiben, auch wenn das nicht das übliche Thema in diesem Blog ist. (siehe auch meinen ersten Bericht: Was passierte auf der Loveparade warum? Wer hat die Schuld?)

Ergänzend zu den in der Presse bzw. im ersten Untersuchungsbericht beschriebenen Abläufen erscheint es mir das Unglück in der Zwischenzeit folgendermaßen abgelaufen zu sein (Korrekturen und Ergänzungen gerne in den Kommentaren anbringen):

Die großen Fragen zur Katastrophe bei der Loveparade in Duisburg sind:

  1. Wer trägt die Schuld, dass es so weit kommen konnte
  2. Warum ist es passiert

(siehe auch: Der Ablauf der Tragödie Loveparade)

Zu beiden Fragen wurde in den letzten Tagen viel spekuliert, geschrieben und gesagt. Im Folgenden habe ich ein paar Punkte zusammengefasst und vor allem ein bis jetzt noch wenig bekanntes Video gefunden, dass mit dem Absturz einer Person von der rosa Plakatwand einen eventuellen Auslöser zeigt.

Klar ist, dass sich die Schuldigen zu Punkt 1 – egal, wer es nun sein mag – herausreden werden: nein, das Gelände war nicht zu klein, nein, es war alles in Ordnung, nein, es gab kein vorhersehbares Chaos. Und: seht, da sind Leute die Wände runtergefallen, die tragen die Schuld!

Dank Internet, Youtube und Handy-Videokameras haben wir aber seit einiger Zeit erstmals die Situation, dass in großer Masse zeitgeschichtliche Dokumentationen von großen Veranstaltungen zur Verfügung stehen und somit demokratisiert werden. Vor 10 Jahren wären so schnell keine Details bekannt geworden, es gäbe nur wenige Beweise. Aber heute ist die breite Öffentlichkeit nicht mehr auf spärliche Informationen angewiesen, sondern kann sich bei Interesse weitgehend selbst ein Bild machen. Im Netz gibt es so viel Bildmaterial, dass sich die Situation im Nachhinein nicht mehr herunterspielen lässt. Per Twitter und Blogs werden Nachrichten schnell verbreitet, Radio und Fernsehen greifen es dann oft auf. Die Kehrseite der Medaille ist, dass auch viele unschöne Szenen vom Sterben, Wiederbelebungsversuchen und Toten zur Verfügung stehen. Die Gratwanderung, was man noch anschauen oder gar veröffentlichen soll und was nicht, ist dabei schwer.

Der Absturz am Plakat

Um die Ursachen zu finden habe ich mich dennoch bei Youtube und anderswo auf die Suche gemacht. Was ist da passiert, warum ist es so passiert? Dabei habe ich ein Video gefunden, das möglicherweise zwei der vielen ausschlaggebenden Auslöser der Katastrophe zeigt:

Johannes Boie von der Süddeutschen Zeitung hat sich gefragt „Was wissen Parlamentarier über die Gesetze, die sie verabschieden?“ und an mehrere Parlamentarier zwei Fragen gestellt. Nun sind die ersten Antworten da. Anstatt zu arbeiten (und ein anderes Projekt zu modernisieren) habe ich dort einen Kommentar verfasst, den ich auch hier (mit kleinen Korrekturen) veröffentlichen will:

 

Leider machen die Befürworter des Sperrgesetzes genau das, was sie kritisieren: Wegschauen, wenn Bilder vergewaltigter Kinder gezeigt werden. Alles schnell verstecken, und am besten gar nichts mehr dazu sagen. Dabei lassen sie sich freiwillig über den Tisch ziehen, gibt es doch eine vermeintlich einfache Lösung für ein ekeliges Problem.

So wird leider weiterhin die Behauptung aufgestellt, es gäbe Fälle, in denen eine Löschung der Bilder auf Webseiten nicht möglich sei. Dies ist falsch, Kinderpornographie ist weltweit geächtet und jeder Hosting-Provider entfernt entsprechende Bilder schnell -- wenn er denn darauf hingewiesen wird. Abgesehen von der Rechtslage in seinem Land: Er könnte sich anderes auch gar nicht leisten, da er wiederum von den Firmen, die ihm die Leitungen stellen, abgeklemmt werden würde. Er kann aber nur handeln, wenn er informiert wird. Mir ist weltweit kein einziger Fall bekannt, in dem es nicht möglich war, Darstellungen des sexuellen Missbrauchs von Klein- und Kleinstkindern von einem Webserver zu löschen. Bei anderen Diensten als dem Web ist das (u.U. je nach Dienst) schwerer, aber die werden von den Sperren sowieso nicht erfasst.

In der Praxis läuft es aber so: Ein Ermittler weiss, ein Mensch beispielsweise in Schweden hat einen kinderpornografischen Film ins Netz gestellt. Um da etwas machen zu können müsste er rein formal erstmal eine Staatsanwaltschaft in Deutschland finden, die ein Ermittlungsverfahren eröffnet. Aber daran hat keine Interesse: es ist keine Tat in Deutschland geschehen und und der Täter ist sicher auch kein Deutscher. Es wäre also sehr mühsam, überhaupt etwas zu tun. Also lässt der Ermittler es dabei bewenden und konzentriert sich auf seine andere Arbeit. In Zukunft würde eine entsprechende Seite eben blockiert werden – die Inhalte sind aber weiterhin im Netz sichtbar. Das ist alltägliche Praxis und mit dem Sperr-Gesetz wird das nur schlimmer werden.

Alltägliche Praxis ist auch, dass die Ermittler überfordert sind: personell unterbesetzt und nur wenige sind fachlich/technisch auf der Höhe der Zeit.

 

Sinnvoll wäre also, die entsprechenden Inhalte zu entfernen. Das funktioniert, wie ich in einem Experiment bewiesen habe: http://ak-zensur.de/2009/05/loeschen-funktioniert.html

Das erschreckende ist: die Bundesregierung hat sich hier für ein Gesetz stark gemacht, obwohl sie öffentlich zugeben musste, überhaupt keine Ahnung zu haben: http://blog.odem.org/2009/06/bundesregierung-keine-kenntnis.html Sie ist nicht in der Lage, auch nur ein Land zu nennen, aus dem Webseiten mit Kinderpornographie verbreitet werden und in denen nicht dagegen vorgegangen werden kann. Auch Ziercke wehrt sich bis heute dagegen, diese Länder zu nennen.

Ach, übrigens: meinen Vorschlag „Nennen Sie mir die 10 schlimmsten Kinderporno-Webseiten, die Sie nicht aus dem Netz kriegen. Ich wette, dass ich es schaffe, die innerhalb von 72 Stunden alle aus dem Netz zu entfernen -- gerne auch unter polizeilicher/staatsanwaltlicher Aufsicht“ hat das BKA abgelehnt. 

Denn vor dem Blockieren werden nicht erst einmal alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft. Davor sind wir meilenweit entfernt. Selbst bei Fällen im Inland passiert oft monatelang nichts. So hat ein Nutzer beim Assoziations-Blaster (einem Projekt von Dragan Espenschied und mir) monatelang kinderpornographische Texte ins Netz gestellt. Ich war dauernd damit beschäftigt den Mist zu löschen und Strafanzeigen zu schreiben. Monatelang. Einmal gab es schon nach 20 Minuten einen Rückrüf vom LKA Düsseldorf (NRW): Sie seien für den Täter in Köln (NRW) nicht zuständig, ich solle mich ans LKA in Stuttgart wenden, weil ich da ja wohne. So läuft das in der Praxis ...

 

Leider merken die meisten Abgeordneten nicht, wie sie vom BKA über den Tisch gezogen werden. Hier wird eine Zensur-Infrastruktur auf dem Rücken misshandelter Kinder aufgebaut. Das BKA will solche Sperren seit über zehn Jahren. Nun hat es endlich das Thema gefunden, bei dem es geklappt hat.

Wir haben leider das Problem, dass die meisten Politiker die komplizierten technischen Zusammenhänge überhaupt nicht verstehen. Aber auch nicht verstehen wollen. Beim Thema Wahlcomputer war es noch viel offensichtlicher, wenn auch weniger populär: Da wehren sich die Computerfreaks gegen Wahlcomputer. Und was sagen die Politiker? Stellt Euch nicht so an, seid nicht Technikfeindlich! Aber hallo: wir, die den ganzen Tag vor der Kiste sitzen, Betriebssyteme programmieren, Eure Webseiten erstellen, dafür sorgen dass Eure Bankautomaten und Handys funktionieren, wir sind nicht technikfeindlich. Wir wissen was man damit anstellen kann. Also hört endlich auch mal auf uns und lasst Euch nicht dauernd von irgendwelchen Partikularinteressen oder der nächsten Wahlkampf-Masche antreiben!

 

Und warum die Kritik sich nicht auf „Filter sind nicht wirksam“ beschränken sollte

Nach der Pressemeldung zu den Ländern, aus denen (vermeintliche) Kinderpornographie verbreitet wird, nun noch ein paar weitere, ergänzende Gedanken.

Wenn man die Reaktionen auf die Internet-Sperr-Vorschläge von Ursula von der Leyen und der Bundesregierung beobachtet fällt auf, dass die überwiegende Mehrheit der aktiven Internet-Nutzer und technik-affinen Menschen diese weiterhin ablehnen. Aber die Mehrheit der Medien scheint diese im Augenblick eher unterstützenswert zu finden, ebenso wie die Mehrheit der Politiker. Kritik wird – wenn überhaupt – nur vorsichtig geäußert.

 

Woran liegt das? Sicherlich auch an dem entschlossenen und taktisch guten Verhalten der Familienministerin. Denn dass die Sperren bei Kinderpornographie wirkungslos sein werden, das mag technik-affinen Menschen klar sein. Aber der Bundesregierung bzw. der Familienministerin ist das egal, weil dort von einer vollkommen falschen aber für Laien nachvollziehbaren Ausgangssituation ausgegangen wird:

Für Frau von der Leyen gibt es eine "Datenautobahn der Kinderpornographie". Für sie ist es ein Massenmarkt, auf den man im Internet dauernd stößt. Und 80% der Leute kommen ja da sowieso nur zufällig drauf, sagt sie. Mit den Sperren könne man verhindern, dass diese Leute angefixt werden.

Die Ministerin geht davon aus (oder lügt uns an, aber nehmen wir mal an, dass sie daran glaubt), dass sehr viele erst einmal nur neugierige Menschen Kinderpornos konsumieren. Dass sehr viele Menschen zufällig auf diese Seiten stoßen. Und da setzt sie an, das will sie verhindern, den Einstieg verhindern. Denn – so ihre Vorstellung – erst ist es Neugierde, dann mehr als Neugierde, und dann wird für diesen neuen Konsumenten ein Kind brutalst vergewaltigt.

Wenn das so wäre würden die Sperren in gewissen Grenzen helfen. Denn: die meisten zufälligen Nutzer würden die Sperren nicht umgehen. Und nach dieser Logik gibt es bei weniger Konsumenten auch weniger missbrauchte Kinder. Aber anders als die Ministerin glaubt, gibt es eben keinen offenen Kinderporno-Markt, es gibt nicht die Datenautobahn der Kinderpornographie! Solange sie aber fest daran glaubt, werden die Kritiker immer in die Ecke der unverantwortlichen Kinderschänder-Dulder gesteckt. Und wenn jemand bei dem Schutz der Schwächsten in der Gesellschaft nicht mitmacht, dann gehört er geächtet. Provider, die sich dagegen wehren, werden dann auch mal namentlich an den Pranger gestellt.

Nehmen wir aber mal an, Frau von der Leyen hätte Recht, und es gäbe eine „Datenautobahn der Kinderpornographie“, die täglich von 450.000 Menschen aus Deutschland befahren wird, wie das Familienministerium behauptet. Das wären rund 14 Millionen Nutzer im Monat – mehr als viele große Online-Medien haben. Und wenn man dann beschließt, dass für die Rettung von Kinderseelen auch ein paar Kollateralschäden in Kauf genommen werden, dann sind die Forderungen aus dieser Sicht durchaus berechtigt.


Diese Forderungen gehen aber von vollkommen falschen Voraussetzungen aus, denn:

  • Kinderpornographie im Internet ist kein Massenmarkt.
  • Kinderpornographie im Internet zeichnet sich nicht durch offene Präsenz aus.
  • Es gibt keinen blühenden kommerziellen Markt.
  • Ein normaler Nutzer stößt daher auch nicht zufällig auf Kinderpornographie im Internet.
  • Auch bei intensivem Suchen ist es schwer, tatsächlich harte Kinderpornographie im Internet zu finden (was natürlich sexuellen Missbrauch von Kindern nicht weniger schlimm macht!) (vgl. Kinderpornographie und Internet, Seite 114ff)
  • Die bekannt gewordenen Kinderporno-Sperrlisten enthalten entsprechenden Analysen zufolge nur zu einem Bruchteil tatsächliche Kinderpornographie. Dies zeigen die bekannt gewordenen Listen aus Finnland, Schweden, der Schweiz und Australien.
  • Die blockierten Webseiten liegen überwiegend in westlichen Ländern, lassen sich also auch komplett entfernen – was im Gegensatz zu Sperren tatsächlich wirksam wäre.

 

Und hier kommen wir zu dem Kernpunkt der Diskussion: wir müssen weg von der simplen Behauptung, Sperren wären sinnlos weil umgehbar. Wer auf dem Standpunkt steht, dass es einen Massenmarkt gibt, und dass dieser mit allen Möglichkeiten verkleinert werden muss, der wird sich nicht daran stören, dass Sperren umgehbar sind.

Mein wichtigste Erkenntnis der letzten Tage ist: die Filter-Befürworter gehen schlicht und ergreifend von falschen Zahlen und falschen Fakten aus, Beweise fehlen. Und solange das nicht klargestellt ist, ist jegliche Diskussion schwierig bis unmöglich.

Die Aufgabe der Medien, der 4. Gewalt, ist es nun, diese Zahlen zu hinterfragen. Die Recherchen dazu sind nicht schwer. In der angesprochenen Pressemitteilung und oben sind einige Ansätze zur Recherche aufgeführt. Aber erst einmal muss die Entscheidung da sein: Lasst uns die Behauptungen aus dem Familienministerium überprüfen, auch wenn sie noch so glaubwürdig erscheinen.

Das ist mein Wunsch an die Medien. Aber da das Thema derart heikel ist, befürchte ich, dass sich nur wenige da herantrauen.

 

Passend zu der Darstellung, dass die (vermeintlichen) Kinderporno-Webseiten aus den USA und Westeuropa stammen, geht Udo Vetter heute der Frage nach, ob es eine „Kinderpornoindustrie“ gibt. Als Anwalt für Strafrecht betreut er auch viele Fälle, in denen es um Kinderpornographie geht.

Demnach hat keiner seiner aktuellen Mandanten für Kinderpornographie Geld bezahlt:

Lassen wir aber jene beiseite, die unschuldig verdächtigt werden. Nehmen wir nur die Internetnutzer, bei denen tatsächlich Kinderpornos auf Datenträgern gefunden werden. Keiner, ich wiederhole, keiner der in den letzten anderthalb Jahren dazu gekommenen Mandanten hat auch nur einen Cent für das Material bezahlt.

[...]

Kein einziger jedoch hat seine Tauschpartner bezahlt. Und diese Tauschpartner haben auch nichts verlangt. Selbstverständlich wertet die Polizei in den allermeisten Fällen auch aus, woher die Dateien kamen. Bezahlseiten sind nicht darunter. Auch verdächtige Überweisungen etc. werden nicht festgestellt.

 

Wie kommen denn nun die in den Medien immer wieder aufgestellten Behauptungen zustande, dass es sich um einen Millionen- oder gar Milliardenmarkt handelt?

Nun, in den Pressematerialien aus dem Familienministerium heisst es dazu:

Aus einem Bericht [...] geht hervor, dass über im Zusammenhang mit kinderpornografischen Websites identifizierte Konten in einer Woche 1,3 Mio. US-Dollar liefen.

Es gibt also Konten, die im Zusammenhang mit kinderpornographischen Websites gesehen werden. Und in einer Woche liefen über diese Konten 1,3 Millionen US-Dollar. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass in einer Woche 1,3 Millionen US-Dollar Umsatz mit Kinderpornographie gemacht wurde. Die 1,3 Millionen können auch durch ganz andere Transaktionen erreicht werden.

Auch beim Innenministerium hört sich das ähnlich an (aus einer Antwort auf eine Anfrage eines Kollegen):

In einem Ermittlungsverfahren gegen Betreiber eines elektronischen Zahlungssystems zur Abwicklung von Zahlungen im Zusammenhang mit mehreren hundert kinderpornografischen Webseiten konnte ein jährlicher Gewinn von über vier Millionen US-Dollar festgestellt werden.

Auch hier wird nicht gesagt, dass Kinderpornographie vier Millionen US-Dollar Gewinn pro Jahr ermöglichte. Eine Firma, über deren Zahlungssysteme auch Kinderpornographie bezahlt wurde, hat insgesamt vier Millionen US-Dollar Gewinn gemacht.

Letztendlich ist nur eines glaubhaft: Ein Urteil von einem Gericht, das entsprechende Summen überprüft und bestätigt hat.

 

Vom Bayerischen Rundfunk würde man als nicht-Bayer weniger erwarten, dass dieser sich kritisch mit den Internet-Sperr-Wünschen von Ursula von der Leyen auseinandersetzt.

Dennoch gab es in den letzten Wochen zwei ausführliche (und unabhängig von einander entstandene), sehr hörenswerte Berichte zu diesem Thema auf BR2. Einmal ein am 17. Februar gesendetes Interview von Armin Hirsch mit mir (MP3, 5:36 Minuten, 5,4 MB) beim Zündfunk. 

Und am 10. März wurde das ausführliche Feature „Kontrolle und Zensur im Internet greifen um sich“ von Wolfgang Schiller ebenfalls auf BR2 gesendet – Direktlink zum MP3 (26:13 Minuten, 18 MB). Wolfgang Schiller hat dafür mit Ron Deibert,  Alexander Dix und mir gesprochen, außerdem kommen Ursula von der Leyen und Wolf-Dieter Ring zu Wort.

Interessant ist dabei, dass die Pressestellen von BKA und Familienministerium wohl behauptet haben, es sei ihnen unbekannt, dass auf den skandinavischen Sperr-Listen auch Server aus Deutschland oder anderen westlichen Ländern stehen würden. Das kann nur bedeuten: die sind entweder vollkommen inkompetent, sie lügen oder sie haben überhaupt kein Interesse daran, abseits von ein bisschen plumpem Aktionismus irgendetwas im Kampf gegen Kinderpornographie zu unternehmen.

 

Zudem ist heute „Welttag gegen Internet-Zensur“ – der Whistleblower mit dem BMI-Internen Dokument hat die Herausgabe zeitlich gut abgepasst. Eins muss man aber sagen: gegenüber den Problemen, die kritische Menschen in den 12 Ländern haben, die die Reporter ohne Grenzen zu den „Feinden des Internets“ zählen, geht es uns in Deutschland sehr gut.

 

Aktuelle Kommentare

  • Timo: Hier ein interessanter Artikel über die SCHUFA und was sie weiter lesen
  • Pa: If your government (or company or school) blocks youtube site, weiter lesen
  • Egal: Noch ein Leak: Der Alvar hat auch ein Gutachten zur weiter lesen
  • Alvar: Zur Info: Nebenan habe ich unter http://blog.alvar-freude.de/2014/01/gutachten-vorratsdatenspeicherung.html ein technisches Gutachten weiter lesen
  • Robert L.: Ich finde das mit den rechtlichen Rahmenbedingungen gar nicht so weiter lesen
  • Anonym: ...genauer gesagt, war die auskunft der bahncard-kreditkarten-hotline, dass der verfügungsrahmen weiter lesen
  • tatata: die information stammt aus zwei telefonaten mit der commerzbank. ich weiter lesen
  • Alvar Freude: Hast Du nähere Infos darüber, dass die Bahn die Entscheidungen weiter lesen
  • tatata: das problem ist nicht die commerzbank. es ist die bahn. weiter lesen
  • Medyum: daß User auf Selbstzensur setzen, die wie Sie sicher wissen weiter lesen

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