Ein Gastbeitrag von Lutz Donnerhacke
Seit einigen Monaten geht durch die deutsche Poltik- und Netzszene ein
Sperrgespenst um. Pressemittelungen, Tagungen und Blogs wechseln sich mit
öffentlichen Verlautbarungen ab. Grob gesagt spaltet sich die interessierte
Öffentlichkeit in Befürworter und Gegner von Internetsperren. Beide Seiten
neigen zunehmend dazu, viele Argumente und Angaben als gegenben hinzunehmen
oder ungeprüft zu übernehmen.
Kritische Quellenschau der Sperrbefürworter
Argumentiert man gegen die geplante Errichtung von Internetsperren, wird man
nach Belegen für die angegebenen Argumente gefragt. Dies ist berechtigt.
Umso erstaunlicher wiegt da der Fakt, daß die Einbringer des Vorschlags in
keiner Weise selbst Ihre Quellen offenlegen. Stattdessen steht man einem
Berg wilder Behauptungen gegenüber, die sich seriöser Argumentation
entziehen.
Um überhaupt selbst eine klare quellengestützte Diskussion führen zu können,
ist es deswegen zuerst notwendig, die Beliebigkeit der aufgestellten
Behauptungen zu beschneiden und die Kernthesen der Gesetzesinitiatoren um
die Ministerin Dr. med. Ursula von der Leyen, Minister Dr. jur. Karl-Theodor
Freiherr von und zu Guttenberg, Minister Dr. jur. Wolfgang Schäuble und BKA
Präsident Jörg Ziercke herauszuarbeiten.
Worum geht es überhaupt?
Schon die Festlegung des zu sperrenden Inhaltes, der Motivation der gesamten
Initiative, ist schwierig. Da den Einbringern des Vorschlags hierfür die
Definitionshoheit zusteht, muß von dieser Seite eine klare Aussage zur
Grundlage genommen werden. Auf der Pressekonferenz am 17.4.2009 sagte
Frau von der Leyen Kinderpornografie im Internet ist die Vergewaltigung von
Kindern vor laufender Kamera. Diese Aussage findet Ihren Urspung in der
BKA Pressemeldung zur Kriminalstatisik Kinderpornografie ist die
Dokumentation von Kindesmissbrauch, schwerster Straftaten gegen Kinder.
Ganz offensichtlich wird zur Definition von Kinderpornografie §176a StGB
(Schwerer sexueller Mißbrauch von Kindern) benutzt. Doch schon hier zeigt
sich die erste Diskrepanz zu üblichen Definitionen: Das StGB definiert
Kinderpornografie in §184b (Verbreitung, Erwerb und Besitz
kinderpornographischer Schriften) über den deutlich mildernen §176(1)
(Sexuelle Mißbrauch von Kindern).
Die Erweitungen des Kinderpornografiebegriffes haben Tradition im
westlichen Kulturraum, so wurde in den 70er Jahren noch weitgehend die
Alterschranke von 13 Jahren angesetzt und Studiobilder von jungen Models
erlebten eine allgemeine Verbreitung über ganz legale Lolita Magazine in den
Zeitungskiosken. Im Laufe der Jahre wurde die Alterschranke immer weiter
angehoben und die Art der Darstellungen ausgeweitet. So definiert die
EU in ihrem jüngsten Entwurf eines Rahmenbeschlusses zu
Kinderpornographie in Artikel 1 ein Kind als Person unter 18 Jahren und
Kinderpornographie als jegliche Darstellung von Kindern oder Personen mit
kindlichem Erscheinungsbild sowie realistische Darstellung fiktiver Kinder
in realen oder fiktiven Handlungen.
Auf diese Weise werden schwere Kindesmißhandlungen mit
Jugendanscheinspornographie, Romanetexten und Comics gleichgesetzt. So fällt
der Roman “Lady Chatterly” aus dem Jahre 1928 von David Herbert Lawrence
ebenso wie die japanischen Hentai-Mangas unter diese Regelung.
In einer Pressemitteilung des Bundesfamilienministeriums heißt es erst
eng gefaßt Die Sperrung verhindert, dass mit jedem Seitenaufruf die
Vergewaltigung eines wehrlosen Kindes fortgesetzt wird. Anschließend wird
sofort erweitert Kinderpornografische Bilder im Internet werden gezielt
eingesetzt, um potentielle neue Kunden zu werben, Hemmschwellen abzubauen
und die Nachfrage systematisch nach immer brutaleren Bildern anzuheizen.
Quelle der “Anfixthese” ist eine Äußerung von Europol-Direktor Max-Peter
Ratzel Kinderpornographische Seiten würden Leute auf die schiefe Ebene
bringen, sie dienen als Verlockungsmittel für die Suche nach weiteren
einschlägigen Materialien in Chat-Räumen oder Peer-to-Peer-Netzwerken.
Handfeste wissenschaftliche Belege für diese “Anfixthese” gibt es jedoch
nicht. Prof. Müller, Kriminologe an der Uni Regensburg weist auf Anfrage
darauf hin, daß es sich bei der ganzen These der Ministerin auch um eine
Art kriminologische Phantasie handelt.
Um es klar zu sagen: Mit der weiten Fassung von Begriffen werden FKK Bilder,
Comics und Romane als reale Kindesvergewaltigung betrachet. Mit dieser
Ausweitung findet sich natürlich eine millionenschwere kommerzielle
Industrie und Massen an Fallzahlen, die aber nichts mit den vorgebrachten
Beweggründen zu tun haben. Das ist dann der reale Mißbrauch mißbrauchter
Kinder: “Normale” Handlungen bekommen den gleichen emotionalen Babberl
draufgeklebt und die eigentliche Mißbrauchshandlung wird verharmlost.
Das bedeutet selbstverständlich nicht, daß es außer §176a StGB keine
weiteren Straftaten gibt oder alle anderen Straftaten Bagatelldelikte
seien: Es geht um die klare Argumentation und die sauberen Nachweise.
Bei der kritischen Beleuchtung von Quellen ist streng zu prüfen, welche
Definition von Kinderpornographie zugrunde liegt: Reale Mißhandlungen oder
Aufweitungen bis hin zu Comics. Die Argumentation der Bundesregierung
erfolgt mit dem scharfen Begriff nach §176a STGB.
Ist Strafverfolgung möglich?
Zu den Pressematerialen des Bundesfamilienministeriums gehört eine graphische
Aufstellung der internationalen Rechtlage, die zu dem Schluß kommt,
Kinderpornographie sei kein Verbrechen in den meisten Ländern: Die Rechtslage
sei ausreichned in 5 Länder, in 22 Länder darunter Deutschland nur mit
Einschränkungen ausreichend, in 63 Länder unzureichend, und 95 Länder hätten
überhaupt keine gesetzliche Reglung.
Die Quelle, auf die sich das Ministerium hier stützt ist eine Studie der
Organisation “Missing Kids”, die einen sehr weit gefaßten
Kinderpornogrphiebegriff verwendet: For purposes of this report, child
pornography includes, but is not limited to, any representation, by
whatever means, of a child engaged in real or simulated explicit sexual
activities or any representation of the sexual parts of a child for
primarily sexual purposes, as well as the use of a child to create such
representation. Dies umfaßt also auch rein textuelle Schilderungen wie
Romane und Comics.
Darüberhinaus verlangt diese Studie Sondergesetze für kinderpornogrphische
Schriften überpüft dabei aber nicht, ob allgemeine Reglungen gegen
Kindesmißhandlung und deren Darstellungen bereits vorliegen. Dabei zeigt eine
britische Studie aus dem Jahre 2003 bereits, daß die Rechtslage in fast
allen Ländern der Welt ausreichend ist, wenn auch nicht immer mit speziellen
Gesetzen. Die UN hat weltweit gültige Standards zum Kinderschutz definiert,
die praktisch überall ratifiziert sind. Nicht erfaßt werden dabei fiktive
Darstellungen und Schriften, sondern stets der reale Mißbrauch von Kindern.
Rochus Wessels hat die Studie, die das Ministerium verwendete, um
die UN Reglungen ergänzt: Die Server, zu denen einige Staaten den Zugang
wegen mutmaßlicher Verbreitung von Kinderpornographie blockieren, stehen
fast immer, d.h. zu über 99% in Staaten, in denen Gesetze zur Bekämpfung der
Kinderpornographie existieren oder Staaten, die der Schaffung entsprechender
spezieller Gesetze zugestimmt haben. Alle betroffenen Staaten haben
allgemeine Gesetze gegen Kindesmißbrauch.
Eine Übersicht über die Standorte der Server zeigt, daß gut ausgebaute
Hostingmöglichkeiten mit guter Strafverfolgung einhergehen. So ist die
Heruntername auch neuerer Quellen jederzeit möglich. Über ein Jahr alte (dem
BKA bekannte) Seiten in Deutschland wurden per privater Information des
Hosters geschlossen. In einer anderen Aktion hatte eine
Kinderschutzorganisation mit 8h Aufwand zur Absicherung der juristischer
Korrektheit des Vorgehens innerhalb von zwei Tagen verschiedene Webseiten
geschlossen: Nur durch Hinweis an den Hoster.
Ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags sieht die
Ursache in fehlender internationaler Kooperation: Oft stößt jedoch
hierzulande das nationale Recht bei der Verfolgung und Verhinderung
derartiger Straftaten an ihre Grenzen und die Frage der Rechtsdurchsetzung
bereitet besondere Schwierigkeiten, da die Kompetenzen der nationalen
Sicherheitsbehörden grundsätzlich an den Staatsgrenzen enden.
Die Zahlen der Organisation “Missing Kids” sind generell mit Vorsicht zu
behandeln, denn auch an anderer Stelle wird laxen Umgang mit gesetzlichen
Reglungen gepflegt. So wird Deutschland bei dem Hauptanliegen der
Organisation, der Rückführung verschwundener Kinder, hart kritisiert.
Doch dann sind die Gründe nicht gesetzgeberischer Natur, sondern nur zu
lange dauernde Rechtsprozesse und die fehlende bundeseinheitliche Notrufnummer
speziell für Vermißtenmeldungen.
Das BKA hat dazu allerdings ganz andere Zahlen: Von ca. 14000 Fälle pro
Jahr werden innerhalb von 2 Jahren >99% aufgeklärt. In den letzten 50 Jahren
gibt es in Summe 530 nicht wieder aufgefundene Kinder.
Obwohl Vermißtenmeldungen erstmal nichts mit Kinderpornographie zu tun
haben, stellt die Polizei doch automatisch einen Zusammenhang her:
Bei vermißten Minderjährigen, bei denen die Ermittlungen nichts anderes
ergeben, wird vorsichtshalber von einer Gefahr für das Leben oder die
körperlicher Unversehrtheit des Betroffenen ausgegangen und verweist auf
den Eindruck, daß diese Kinder Opfer sog. Kinderpornografie-Ringe seien.
So kann jedes Kind, daß länger als einige Tage verschwunden ist, auch zu
den Fallzahlen von Kindesmißhandlung beitragen.
Die Strafverfolgung ist in allen Ländern, in denen Webseiten gehostet
werden, möglich. Es fehlt an der Bereitschaft zur internationalen Kooperation.
Die Fallzahlen
Laut Pressekonferenz des Bundesfamilienministeriums hat sich die Zahl
der Verbreitung von Kinderpornografie im Jahr 2007 mehr als verdoppelt 111%
Zuwachs. Quelle dieser Aussage ist wieder die Pressemeldung des BKA:
Die Polizeiliche Kriminalstatistik verzeichnet seit Jahren einen konstanten
Anstieg beim Besitz, der Beschaffung und Verbreitung von Kinderpornografie
(2007: 11.357 Fälle; Steigerung um 55% gegenüber 2006: 7.318 Fälle). Bei
der Besitzverschaffung von Kinderpornografie durch das Internet war von 2006
auf 2007 sogar ein Zuwachs von 111% festzustellen (von 2.936 auf 6.206
Fälle).
Hier lohnt sich ein Blick in die Kriminalstatistik selbst: Die
schweren Mißhandlungen gemäß §176a erscheinen unter den Schlüssel 1316 bis
1318. Hier liegen die Fallzahlen konstant bei 1200 Fälle pro Jahr zwischen
1999 bis 2007. Diese Zahlen zum realen Mißbrauch wurden für 2007 von
Christian Bahls nochmals im Detail betrachtet und zeigen, daß mehr als
99% der realen Mißbrauchsfälle ohne Erzeugung von Bildmaterial standfinden.
Die meisten Vorfälle sind dabei auch noch frühsexuelle Erfahrungen von
Teenagern untereinander. Die von der Bundesregierung als Hauptargument ins
Feld geführten Kindesmißhandlungen zur Erstellung von Kinderpornografie
umfassen ca. 100 Verdachtsfälle pro Jahr und sind rückläufig.
Läßt man ausgeweitete Definitionen zu, so zeigt die Kriminalstatistik
unter dem Schlüssel 1432 (gewerbsmäßig Verbreitung) konstant 100 bis 300
Fälle pro Jahr, unter Schlüssel 1434 (Verbreitung) konstant 1700 Fälle, die
durch die Ausweitung von Straftatbeständen 2004 sprunghaft auf konstant 2700
Fälle stieg. Alle Erzeugungs- und Verbreitungsdelikte haben konstante
Fallzahlen, von einer Steigerung keine Spur. Diese Analyse, beschränkt auf
das Jahr 2007, wird von Andre Meister bestätigt.
Unter Schlüssel 1433 (Verschaffung/Besitz) werden die Konsumenten erfaßt und
diese Zahlen zeigen eine hohe Schwankungsbreite von 1995 bis 2003 stiegen
die Fallzahlen von 500 auf 2200. Mit der Ausweitung von Straftatbeständen
2004 verdoppelten sich die Fallzahlen auf 4500 und blieben konstant. 2007
erfolgte einer weiterer Sprung auf 8800.
Zum Verständnis dieser Zahlen ist es wichtig zu wissen, daß die
Kriminalstatistik unter einem Fall eine aktenkundige Anzeige versteht. Die
Ermittlungsquote wird ebenfalls angegeben, nicht jedoch die Quote der
Schuldsprüche oder Freisprüche. So trägt zur Fallzahl von 2007 zum Schlüssel
1433 hauptsächlich die Aktion Himmel bei, bei der gegen 12000
Verdächtigte ermittelt wurde. Es wurden jedoch kein Schuldspruch, einige
Einstellungen gegen Geldbuße und dafür sehr viele Verfahrenseinstellungen
wegen fehlender Verdachtsmomente bekannt. “Auch bei der Aktion Mikado”, wo
Millionen von Kredikartenkunden gerastert wurden, “gab es nur einige
Strafbefehle mit Geldbußen”, sagte die zuständige Justitzministerin Prof.
Dr. Angela Kolb auf dem Medientreffpunkt Mitteldeutschland.
Der behauptete drastische Anstieg von Straftaten kann nicht belegt werden.
Er ergibt sich aus einer Vermischung von Tatbeständen und der Einbeziehung
von Unschuldigen. Die realen Mißhandlungsfälle geschehen fast immer ohne
Produktion von jeglichem Bildmaterial.
Der kommerzielle Massenmarkt
In der Pressekonferenz des Bundesfamilienministeriums wird Deutschland
zum Hauptabsatzmarkt erklärt und der Großteil wird dabei über kommerzielle
Internetseiten verbreitet, deren Betreiber monatlich Millionenbeträge
einnehmen. Grundlage der Aussage ist auch hier wieder die BKA
Pressemeldung zur Kriminalstatistik: Der Großteil der Kinderpornografie
im Bereich des World-Wide-Web wird mittlerweile über kommerzielle Webseiten
verbreitet. Die Verantwortlichen nehmen monatlich Millionenbeträge ein.
In einer anderen Pressemeldung des Bundesfamilienministeriums werden
die Sperren so begründet: Kinderpornografie ist ein Millionengeschäft. Mit
den Sperrungen wird der kommerzielle Massenmarkt im Internet empfindlich
gestört. Wo kein Geld mehr zu verdienen ist, wird organisierte Kriminalität
immer weniger lukrativ.
Als Quelle für diese Behauptungen wird auf eine Studie der britischen
NSPCC verwiesen, die jedoch diese Behauptung gar nicht aufstellt.
Stattdessen skizziert sie die Änderungen des Marktes als Reaktion auf die
gesetzlichen Reglungen über die Jahrzehnte: In the late 1960s and early
1970s when it became a worldwide commercial industry. The widespread
availability of magazines featuring child pornography throughout the US and
Europe led to governments introducing legislation against it. This resulted
in a significant decline in its commercial distribution. The production and
distribution of child pornography switched from a commercial to an amateur
‘cottage industry’ involving the swapping and sharing of images among
paedophiles and other adults with a sexual interest in children. Diese
Studie bestätigt einen kommerziellen Massenmarkt für Lolita-Magazine an den
Kiosken der 70er Jahre und verneint jeden aktuellen kommerziellen Markt. Die
Studie kommt zu dem Schluß, das kommerzielle Pornoproduktionen fast immer im
legalen Bereich agieren und minderjährige Akteure praktisch nie auftreten.
Problematisch ist die Verschiebung des Kindsbegriffes durch Erhöhung der
Altergrenze, was alte Bilder nachträglich kriminalisiert.
Eine andere mögliche Quelle der These vom kommerziellen Massenmarkt stellt
Alvar Freude in seinem Blog dar. Der Multimillionen Kommerz mit
Kinderpornographie ist eine Fehlinterpretierung der Daten aus dem Bereich
Prostitution und Menschenhandel. Der passende Wert geht auf eine unbelegte
Behauptung eines kommerziellen Anbieters von Schutzsoftware zurück, der,
soweit ersichtlich, die Umsatzzahlen ebenso aus der Tiefe des Gemüts
geschöpft hat, wie alle anderen Behauptungen im Zusammenhang dieser Debatte
es auch sind.
Der Rechtsanwalt Udo Vetter berichtet ebenfalls, keinen Beleg für
einen kommerziellen Markt zu kennen: Alle haben die Kinderpornos aus
Tauschbörsen, Newsgroups, Chaträumen, Gratisbereichen des Usenet oder aus
E-Mail-Verteilern. Manche kriegen es auf DVD, ganz normal mit der Post.
Selbstverständlich wertet die Polizei in den allermeisten Fällen auch aus,
woher die Dateien kamen. Bezahlseiten sind nicht darunter. Auch verdächtige
Überweisungen etc. werden nicht festgestellt. Sofern neues Material
hinzukommt, sind es Fälle von Missbrauch im privatem Umfeld.
In die gleiche Richtung schlägt auch der Bundesvorsitzende des Bundes
Deutscher Kriminalbeamter Klaus Jansen: Verdeckte Ermittlungen im Netz
seien derzeit noch mit großen rechtlichen Problemen behaftet. So könnten
sich Ermittler zum Beispiel nicht in geschlossene
Kinderpornografie-Tauschbörsen einschleusen, ohne sich selbst strafbar zu
machen. Von kommerziellen Webseiten ist keine Rede.
Auch das LKA München erklärt: Die überwältigende Mehrzahl der
Feststellungen, die wir machen, sind kostenlose Tauschringe, oder Ringe, bei
denen man gegen ein relativ geringes Entgelt Mitglied wird, wo also nicht
das kommerzielle Gewinnstreben im Vordergrund steht. Von einer
Kinderpornoindustrie zu sprechen, wäre insofern für die Masse der
Feststellungen nicht richtig.
Selbst Europol-Direktor Max-Peter Ratzel sieht Webseiten nur als
Verlockungsmittel für die Suche nach weiteren einschlägigen Materialien in
Chat-Räumen oder Peer-to-Peer-Netzwerken.
An dieser Stelle ist ein Einblick in die neuere Geschichte des
Kinderpornographiemarktes nützlich: In einem anonymen Schreiben nennt
ein Insider einiges an schon bekannten Fakten: Anfangs handelte man
hauptsächlich Bilder von Zeitschriften aus den 60’er 70’er, private Photos.
Hauptakteur war AModelShop in Salt Lake City mit einem monatlichen Umsatz
von 40000 US$. Die Firma stürzte über ein Mädchen, daß mit den eigenen
Photos in der Schule angab. In den Jahren 2002 bis 2004 kam die russische
Firma LS Studios, die kommerzielle, professionelle Bildproduktion im Studio
machte. Der Umsatz betrug monatlich um 1.8 Mio US$ über alle Altersklassen.
Die Firma wurde auf Druck des FBI geschlossen, es gab aber keine
Verurteilungen.
Waren alle Darstellungen bisher keine Kinderpornographie im engeren Sinne,
so kam zwischen 2003 und 2008 die Firma Fly, Hook und SCorp in St.Petersburg
auf, die Darstellungen bis zum Geschlechtsverkehr mit jüngeren und älteren
Models und bei den jüngeren mit Zustimmung der Eltern produzierte.
Geschäftsaufgabe erfolgte wegen Diebstahls der Barmittel, es gab keine
Verurteilung.
Die Millionenumsätze kommen von der gern genutzen
Kreditkartenabwicklunsgfirma CCBill, die für viele Branchen tätig ist und
deren Gesamtumsatz im Millionenbereich liegt, heißt es in dem
Insiderbericht weiter. Einer der Kunden von CCBill ist met-art.com, ein
Pornographieanbieter, der keine Kinderpornographie hat.
Auch bei anderen Firmen sind die Millionenumsätze nicht real: Bei Landslide
Productions kam der Hauptumsatz mit Pornographie und posierenden
jugendlichen Models über gestohlene Kartendaten. Diese waren Basis der
Operation Ore, die analog zur Aktion Mikado ablief, diesmal aber viele
Unschuldige verdächtigte und in den Selbstmord trieb.
In allen kommerziellen Produktionen sind Bilder nach §176a praktisch nicht
dabei, führt der Insiderbericht aus. Diese werden in Familien generiert:
Aber die grauenhaften Bilder von weinenden, vergewaltigten und sogar
teilweise gefolterten Kinder stammen nicht von kommerziellen Produzenten.
Sie stammen auch nicht von Drittpersonen sondern von bestialische Vaeter und
Muetter die den Kindern dies antun. … Seit im Internet Kinderpornographie
ausgetauscht wird, stammen die grausamsten Bilder von Tätern die zum
Familienkreis gehören. Diese veröffentlichen die Bilder aus Profilsucht und
völlig kostenlos - es geht lediglich um ein Überbieten der Grausamkeiten die
dem eigenen Kind angetan werden. Genau diese Straftaten klingen aber Frau
von der Leyen im Ohr, wenn sie in der aktuellen Stunde des Bundestages Ihre
Rede mit Bitte nicht, Opa beginnt.
Der Insiderbericht geht weiter mit der Darstellung der aktuellen
Vertriebskanäle, die das öffentliche Web meiden, stattdessen mit Peer2Peer
Netzen und FastFlux Hosting über Botnetze die Inhalte hauptsächlich von
deutschen Servern aus anbieten. Diese Techniken sind schwer nachverfolgbar
praktisch nicht sperrbar.
Wie real in Deutschland mit Fällen von Vergewaltigung und Mißhandlung
umgegangen wird kann man sich Abschnitt 4.2.2.2 “Exemplarische Fälle und
Ermittlungsmethoden” des kriminalwissenschaften Band34
“Vergewaltigung” des BKA nachlesen.
Es gibt keine kommerzielle Kinderpornographie im öffentlichen Web, die
Straftaten geschehen in den Familien, die meist kostenfreien Bilder werden
in geschlossenen Gruppen getauscht. Die Millionenumsätze betreffen die
gesamte Pornographiebranche, nicht jedoch die grausamen Bilder.
Sperrtechnik
Auf der Pressekonferenz des Bundesfamilienministeriums heißt es: Nach
Schätzungen des Bundesfamilienministeriums könnten in Deutschland täglich
bis zu 450.000 Zugriffe auf Kinderporno-Seiten geblockt werden. Diese
Angabe wird in einer anderen Pressemeldung konkretisiert: Nach
Schätzungen könnten in Deutschland täglich 300.000 bis 450.000 Zugriffe
geblockt werden. Eine Quelle für diese Zahl gibt es nicht. Sie wurde im
Bundesfamilienministerium selbst errechnet, indem man wieder aus der BKA
Pressemeldung zur Kriminalstatistik die Angabe In Norwegen werden durch
Access-Blocking täglich ca. 15.000 Zugriffsversuche auf kinderpornografische
Webseiten abgewehrt entnahm und über die Bevölkerungzahlen hochrechnete.
Diese Angabe selbst stammt aus aus einer norwegischen Präsentation die
2007 auf der Herbsttagung des BKA Eindruck machte. Diese Präsentation
enthält die Idee einer STOP Seite, die Vertragskonstruktion mit den
Providern und erklärt die Maßnahme für effektiv und präventiv.
Die britische Organisation IWF, die die britische Sperrliste erstellt,
schreibt im letzten Jahresbericht: 58% of child sexual abuse domains
traced contain graphic images involving penetration or torture (47% of
domains in 2007); 69% of the children appear to be 10 years old or younger,
24% 6 or under, and 4% 2 or under (80% appeared to be 10 or under in 2007);
74% of child sexual abuse domains traced are commercial operations, selling
images (80% commercial in 2007).
Eine nähere Betrachtung der IWF Zahlen zeigt, daß alle Vorfälle und alle
Straftatbestände vermischt werden, so ist den veröffentlichten Zahlen nicht
anzusehen, ob tatsächlich kinderpornographische Darstellungen vorliegen. Die
Rechtgrundlagen der Sperrlisten sind der Public Order Act, der
Protection of Children Act und der Obscene Publications Act, die
alle sehr weite Deliktfelder umfassen. So ist durch die IWF ein Mann
angezeigt worden, der einen fiktiven Text über eine Mädchenband schrieb
und in USENET Gruppen postete. Die Verhandlung findet im Juni 2009 unter
besonderer Aufmerksamkeit der britischen Künstler statt, die sich in Ihrer
künstlerischen Freiheit angegriffen fühlen. In einem anderen Fall hat die
IWF die Webseiten von Wikipedia auf die Sperrliste gesetzt, weil in
dem Artikel zur Gruppe Scorpions das Coverbild von “Virgin Killer”
abgebildet ist. Darüberhinaus wurde auch das Internetarchiv archive.org
gesperrt.
Daß diese Klassifizierung kein Einzelfall ist, bestätigt eine Analyse der
finnischen Sperrliste: 85% der gesperrten Seiten haben nichts mit
Kinderpornografie zu tun, 5% enthalten Material mit minderjährigen Models,
2% enthalten wenige kinderpornografische Darstellungen oder Links zu
derartigen Darstellungen, ganze 9 Seiten also weniger als 1% enthalten
illegale kinderpornografische Inhalte, der Rest 8% nicht mehr existent.
Die Hochrechnung des Bundesfamilienministeriums kann man also auch so lesen,
daß 85%, also täglich 250000 bis 380000 Zugriffe auf legale Seiten gesperrt
würden. Dabei ist die unterschiedliche Popularität der gesperrten Seiten
noch gar nicht berücksichtigt.
Bleibt noch die Frage nach der Effektivität. Auf der Pressekonferenz des
Bundesfamilienministeriums heißt es: 80 Prozent der Nutzer der
entsprechenden Seiten seien Gelegenheitsnutzer, die sich durch die Sperren
abschrecken ließen. Nur 15 bis 20 Prozent würden versuchen, auf anderen
Wegen Zugang zu den Seiten zu finden, ergänzte BKA-Chef Jörg Ziercke. Für
diese Aussage gibt es keine Quelle, sie wird immer wieder ausschließlich von
Herrn Ziercke getätigt.
Dem widerspricht das KJM-Gutachten von Prof. Pfitzmann der TU-Dresden
und das Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags: Um
im Internet Sperrverfügungen sinnvoll und effektiv umsetzen zu können,
müsste die Struktur des Internets komplett neu gestaltet werden. Das es
nicht um Wirksamkeit geht, wird ebenfalls ausgeführt: Das VG Köln nahm
dennoch in einem Urteil aus dem Jahre 2005 an, dass eine Sperre, deren
Wirksamkeit in der Regel vom Zufall abhängt, ein wirksames Mittel darstellt,
da nicht erwiesen sei, daß es praktisch überhaupt keinen Zugriff auf die in
Rede stehenden Seiten verhindert.
Der Chef der Polizeiermittlungsgruppe gegen Kinderpornografie und
Kindesmisshandlung in Stockholm, Björn Sellström, äußerte massive Bedenken
gegen die Wirksamkeit der installierten Webseiten-Sperren: Unsere
Sperrmaßnahmen tragen leider nicht dazu bei, die Produktion von
Webpornografie zu vermindern. Dabei bezieht er sich noch nicht einmal
ausschließlich auf Abbildungen von Straftaten nach §176a.
Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Sperren, insbesondere bzgl. der
Eingriffe in die Grundrechte ist ebenfalls interessant. Ein Aufsatz von
Andreas Neumann führt dazu klar aus: Dass die Verbreitung der
Information, zu welcher der Zugang gesperrt werden soll, ihrerseits gegen
Strafgesetze verstößt, reicht dabei jedenfalls für sich genommen nicht aus,
das Zurücktreten der Informationsfreiheit (oder Rezipientenfreiheit) zu
begründen. Denn die Güterabwägung zwischen den durch die Strafgesetze
geschützten Rechtsgütern und der Meinungsfreiheit des die Informationen
Verbreitenden betrifft eine aktive Tätigkeit, welche Gefahrenquellen erst
schafft. Die Bilder sind, wie das BKA sagt die Dokumentation von
Kindesmissbrauch, schwerster Straftaten gegen Kinder. Sie setzen den
Mißbrauch auf andere Weise fort. Den Zugang zu diesen Bildern zu sperren,
anstatt sie vom Netz zu nehmen und die Täter zu ermitteln, verhindert eben
nicht die aktive Gefahrenquelle.
Sperrmaßnahmen sind im auf Grund der Natur des Internets nicht effektiv,
die behindern die Strafverfolgung und verletzen unangemessen die Grundrechte.
Fazit
Die Argumentation der Initatoren von Internetsperren basiert auf schwammigen
Begriffen, die es gestatten mit gräßlichen Straftaten einen emotionalen
Schockzustand auszulösen und gleichzeitig auf schwacher Stufe eine Vielzahl
von Delikten zusammenzuzählen, um ein gewaltiges Problem herbeizureden.
Mit engen Begriffsbestimmungen verlieren die Sperren Ihre Begründung, die
polizeiliche Arbeit ist dann mit der Auffindung von Straftätern und der
Unterbindung der Verbrechen getan.
Weitet man die Begriffe dagegen aus, so muß man eben auch klar sagen, was
gesperrt werden soll, Bedarf wurde ja bereits von vielen Lobbygruppen
angemeldet. Die mißhandelten Kinder haben in der Begründung dann aber nichts
mehr verloren.
Die Entscheidung, ob man Sperren im Internet errichten will oder reale
Kindesmißhandlung bekämpft, ist eine freie Entscheidung der Politik in
Übereinstimmung mit einer gesellschaftlichen Akzeptanz. Die derzeitige
Verquickung ist jedoch unseriös und ein Mißbrauch der mißbrauchten Kinder.
Mit anderen Schwerpunkten behandeln Thomas Stadler und die
Fachzeitschrift c’t das gleiche Thema und kommen zu ähnlichen
Schlußfolgerungen.
Aktuelle Kommentare