März 2009 Archive

Nun ist er da, der Arbeitsentwurf des Internet-Sperr-Gesetzes vom Wirtschaftsministerium (PDF, Gescannt und OCR, fehlerhafte einzelne Zeichen daher möglich). Da ich noch meinen Vortrag auf der re:publica vorbereiten und anderes erledigen muss, hier ohne tiefere Analyse, bei heise online gibt es eine Zusammenfassung des Gesetzesentwurfs.

Interessant ist dabei, dass nur solche Webseiten auf der Filter-Liste stehen sollen, die von außerhalb Europas kommen, bzw. genauer: von außerhalb des Gültigkeitsbereichs der E-Commerce-Richtlinie. Etwas anderes wäre auch schwer mit EU-Recht vereinbar. Gleichzeitig stellt sich aber die Frage, ob das BKA nicht dennoch gerne so manche Webseite wie die mit der Sperrliste aus Finnland und andere aufnehmen möchte. Das wird sich zeigen, ich gehe davon aus, dass die Liste nicht lange geheim bleiben wird.
Mir liegt zudem eine mit dem BKA abgestimmte Stellungnahme des Innenministeriums vor, darin heisst es, dass Webseitem aus „allen Länder“ in Frage kommen:
In welchen Ländern stehen die Server, die mittels der Sperrliste blockiert werden sollen?

Theoretisch können alle Länder hiervon betroffen sein. Zu betonen ist, dass - sollte im Ausnahmefall ein Server in Deutschland stehen - nicht Access-Blocking anzuwenden wäre, sondern andere Mechanismen  reifen, die zu einer Herunternahme der Inhalte führen.
Wir werden ja sehen, was später im Gesetz und dann auf den Filterlisten steht …


Interessant ist ansonsten, dass Stephanie Freifrau von und zu Guttenberg – Ehefrau des Wirtschaftsministers, aus dessen Haus obiger Gesetzesentwurf stammt – in der Zwischenzeit Vorsitzende des Vereins Innocence in Danger ist. Der Verein fällt insbesondere dadurch auf, dass sich dort Werbesäulen für Designer-Kleider Boulevard-Medien-tauglich zwecks Reporter-Fütterung zu Parties treffen und nebenbei noch irgendwas für Kinder tun. Ansonsten ist der Verein auch durch den laxen Umgang mit Phantasie-Zahlen bekannt.


PS: Achso, die Ausfälle des Blogs die letzten Tage sind nur auf einen Hardware-Fehler des Servers zurückzuführen. Neues RAM („Hauptspeicher“) brachte Abhilfe.

Und warum die Kritik sich nicht auf „Filter sind nicht wirksam“ beschränken sollte

Nach der Pressemeldung zu den Ländern, aus denen (vermeintliche) Kinderpornographie verbreitet wird, nun noch ein paar weitere, ergänzende Gedanken.

Wenn man die Reaktionen auf die Internet-Sperr-Vorschläge von Ursula von der Leyen und der Bundesregierung beobachtet fällt auf, dass die überwiegende Mehrheit der aktiven Internet-Nutzer und technik-affinen Menschen diese weiterhin ablehnen. Aber die Mehrheit der Medien scheint diese im Augenblick eher unterstützenswert zu finden, ebenso wie die Mehrheit der Politiker. Kritik wird – wenn überhaupt – nur vorsichtig geäußert.

 

Woran liegt das? Sicherlich auch an dem entschlossenen und taktisch guten Verhalten der Familienministerin. Denn dass die Sperren bei Kinderpornographie wirkungslos sein werden, das mag technik-affinen Menschen klar sein. Aber der Bundesregierung bzw. der Familienministerin ist das egal, weil dort von einer vollkommen falschen aber für Laien nachvollziehbaren Ausgangssituation ausgegangen wird:

Für Frau von der Leyen gibt es eine "Datenautobahn der Kinderpornographie". Für sie ist es ein Massenmarkt, auf den man im Internet dauernd stößt. Und 80% der Leute kommen ja da sowieso nur zufällig drauf, sagt sie. Mit den Sperren könne man verhindern, dass diese Leute angefixt werden.

Die Ministerin geht davon aus (oder lügt uns an, aber nehmen wir mal an, dass sie daran glaubt), dass sehr viele erst einmal nur neugierige Menschen Kinderpornos konsumieren. Dass sehr viele Menschen zufällig auf diese Seiten stoßen. Und da setzt sie an, das will sie verhindern, den Einstieg verhindern. Denn – so ihre Vorstellung – erst ist es Neugierde, dann mehr als Neugierde, und dann wird für diesen neuen Konsumenten ein Kind brutalst vergewaltigt.

Wenn das so wäre würden die Sperren in gewissen Grenzen helfen. Denn: die meisten zufälligen Nutzer würden die Sperren nicht umgehen. Und nach dieser Logik gibt es bei weniger Konsumenten auch weniger missbrauchte Kinder. Aber anders als die Ministerin glaubt, gibt es eben keinen offenen Kinderporno-Markt, es gibt nicht die Datenautobahn der Kinderpornographie! Solange sie aber fest daran glaubt, werden die Kritiker immer in die Ecke der unverantwortlichen Kinderschänder-Dulder gesteckt. Und wenn jemand bei dem Schutz der Schwächsten in der Gesellschaft nicht mitmacht, dann gehört er geächtet. Provider, die sich dagegen wehren, werden dann auch mal namentlich an den Pranger gestellt.

Nehmen wir aber mal an, Frau von der Leyen hätte Recht, und es gäbe eine „Datenautobahn der Kinderpornographie“, die täglich von 450.000 Menschen aus Deutschland befahren wird, wie das Familienministerium behauptet. Das wären rund 14 Millionen Nutzer im Monat – mehr als viele große Online-Medien haben. Und wenn man dann beschließt, dass für die Rettung von Kinderseelen auch ein paar Kollateralschäden in Kauf genommen werden, dann sind die Forderungen aus dieser Sicht durchaus berechtigt.


Diese Forderungen gehen aber von vollkommen falschen Voraussetzungen aus, denn:

  • Kinderpornographie im Internet ist kein Massenmarkt.
  • Kinderpornographie im Internet zeichnet sich nicht durch offene Präsenz aus.
  • Es gibt keinen blühenden kommerziellen Markt.
  • Ein normaler Nutzer stößt daher auch nicht zufällig auf Kinderpornographie im Internet.
  • Auch bei intensivem Suchen ist es schwer, tatsächlich harte Kinderpornographie im Internet zu finden (was natürlich sexuellen Missbrauch von Kindern nicht weniger schlimm macht!) (vgl. Kinderpornographie und Internet, Seite 114ff)
  • Die bekannt gewordenen Kinderporno-Sperrlisten enthalten entsprechenden Analysen zufolge nur zu einem Bruchteil tatsächliche Kinderpornographie. Dies zeigen die bekannt gewordenen Listen aus Finnland, Schweden, der Schweiz und Australien.
  • Die blockierten Webseiten liegen überwiegend in westlichen Ländern, lassen sich also auch komplett entfernen – was im Gegensatz zu Sperren tatsächlich wirksam wäre.

 

Und hier kommen wir zu dem Kernpunkt der Diskussion: wir müssen weg von der simplen Behauptung, Sperren wären sinnlos weil umgehbar. Wer auf dem Standpunkt steht, dass es einen Massenmarkt gibt, und dass dieser mit allen Möglichkeiten verkleinert werden muss, der wird sich nicht daran stören, dass Sperren umgehbar sind.

Mein wichtigste Erkenntnis der letzten Tage ist: die Filter-Befürworter gehen schlicht und ergreifend von falschen Zahlen und falschen Fakten aus, Beweise fehlen. Und solange das nicht klargestellt ist, ist jegliche Diskussion schwierig bis unmöglich.

Die Aufgabe der Medien, der 4. Gewalt, ist es nun, diese Zahlen zu hinterfragen. Die Recherchen dazu sind nicht schwer. In der angesprochenen Pressemitteilung und oben sind einige Ansätze zur Recherche aufgeführt. Aber erst einmal muss die Entscheidung da sein: Lasst uns die Behauptungen aus dem Familienministerium überprüfen, auch wenn sie noch so glaubwürdig erscheinen.

Das ist mein Wunsch an die Medien. Aber da das Thema derart heikel ist, befürchte ich, dass sich nur wenige da herantrauen.

 

Passend zu der Darstellung, dass die (vermeintlichen) Kinderporno-Webseiten aus den USA und Westeuropa stammen, geht Udo Vetter heute der Frage nach, ob es eine „Kinderpornoindustrie“ gibt. Als Anwalt für Strafrecht betreut er auch viele Fälle, in denen es um Kinderpornographie geht.

Demnach hat keiner seiner aktuellen Mandanten für Kinderpornographie Geld bezahlt:

Lassen wir aber jene beiseite, die unschuldig verdächtigt werden. Nehmen wir nur die Internetnutzer, bei denen tatsächlich Kinderpornos auf Datenträgern gefunden werden. Keiner, ich wiederhole, keiner der in den letzten anderthalb Jahren dazu gekommenen Mandanten hat auch nur einen Cent für das Material bezahlt.

[...]

Kein einziger jedoch hat seine Tauschpartner bezahlt. Und diese Tauschpartner haben auch nichts verlangt. Selbstverständlich wertet die Polizei in den allermeisten Fällen auch aus, woher die Dateien kamen. Bezahlseiten sind nicht darunter. Auch verdächtige Überweisungen etc. werden nicht festgestellt.

 

Wie kommen denn nun die in den Medien immer wieder aufgestellten Behauptungen zustande, dass es sich um einen Millionen- oder gar Milliardenmarkt handelt?

Nun, in den Pressematerialien aus dem Familienministerium heisst es dazu:

Aus einem Bericht [...] geht hervor, dass über im Zusammenhang mit kinderpornografischen Websites identifizierte Konten in einer Woche 1,3 Mio. US-Dollar liefen.

Es gibt also Konten, die im Zusammenhang mit kinderpornographischen Websites gesehen werden. Und in einer Woche liefen über diese Konten 1,3 Millionen US-Dollar. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass in einer Woche 1,3 Millionen US-Dollar Umsatz mit Kinderpornographie gemacht wurde. Die 1,3 Millionen können auch durch ganz andere Transaktionen erreicht werden.

Auch beim Innenministerium hört sich das ähnlich an (aus einer Antwort auf eine Anfrage eines Kollegen):

In einem Ermittlungsverfahren gegen Betreiber eines elektronischen Zahlungssystems zur Abwicklung von Zahlungen im Zusammenhang mit mehreren hundert kinderpornografischen Webseiten konnte ein jährlicher Gewinn von über vier Millionen US-Dollar festgestellt werden.

Auch hier wird nicht gesagt, dass Kinderpornographie vier Millionen US-Dollar Gewinn pro Jahr ermöglichte. Eine Firma, über deren Zahlungssysteme auch Kinderpornographie bezahlt wurde, hat insgesamt vier Millionen US-Dollar Gewinn gemacht.

Letztendlich ist nur eines glaubhaft: Ein Urteil von einem Gericht, das entsprechende Summen überprüft und bestätigt hat.

 

Pünktlich zum Beschluss der Bundesregierung, ein Gesetz für die Einführung von Internet-Sperren einzuführen, gibt es eine Pressemeldung vom Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft e.V. (FITUG) zu diesem Thema: FITUG-Pressemeldung-Internet-Sperren.pdf

Siehe auch: Alle Artikel aus der Kategorie Internet-Sperren

 

Zufall?

| 2 Kommentare

Ich hatte vor ein paar Tagen wieder Post von dem Informanten, der mir vor einiger Zeit das interne Papier aus dem Innenministerium geschickt hatte. Diesmal war es nur eine Seite mit der Frage „Zufall?“ und zwei Ausdrucken, in denen der Name Dr. Stawowy markiert ist. Damit will er wohl darauf hinweisen, dass im Innenministerium jemand systematisch das Ziel verfolgt, Grundrechte immer weiter einzuschränken. Denn Dr. Johannes Stawowy hat auch die Dokumente zur Online-Durchsuchung, die Markus Beckedahl bei netzpolitik.org veröffentlicht hat, geschrieben.

Ist es Zufall? Ich kann natürlich nicht mit Sicherheit sagen, ob da jemand einfach nur das macht was der Chef erwartet, ob die Arbeit im Innenministerium allgemein die ansteckende Krankheit der Grundrechte-Phobie verursacht, ob dort unser Grundgesetz allgemein eher als Hindernis anstatt als Garant der Freiheit angesehen wird oder ob viele Menschen dort einfach nur dumm oder auf einem Auge blind sind. Mit konkreten Vorwürfen gegen einzelne Personen sollte man sicherlich vorsichtig sein, wenn man nicht die genauen Hintergründe kennt – daher habe ich das (obwohl bemerkt) nicht weiter breit getreten. Klar ist aber, dass im Innenministerium – dem Verfassungsministerium! – komische Sachen ablaufen.

Maja Pfister, Mitarbeiterin bei der Bundestagsabgeordneten Gisela Piltz, fasst das so zusammen:

Von „Zufall“ würde ich da nicht mehr reden – sondern davon, dass im BMI Leute arbeiten, die versuchen, die Verfassung zu beugen statt sie zu achten und ihr zur Geltung zu verhelfen …

 

Vom Bayerischen Rundfunk würde man als nicht-Bayer weniger erwarten, dass dieser sich kritisch mit den Internet-Sperr-Wünschen von Ursula von der Leyen auseinandersetzt.

Dennoch gab es in den letzten Wochen zwei ausführliche (und unabhängig von einander entstandene), sehr hörenswerte Berichte zu diesem Thema auf BR2. Einmal ein am 17. Februar gesendetes Interview von Armin Hirsch mit mir (MP3, 5:36 Minuten, 5,4 MB) beim Zündfunk. 

Und am 10. März wurde das ausführliche Feature „Kontrolle und Zensur im Internet greifen um sich“ von Wolfgang Schiller ebenfalls auf BR2 gesendet – Direktlink zum MP3 (26:13 Minuten, 18 MB). Wolfgang Schiller hat dafür mit Ron Deibert,  Alexander Dix und mir gesprochen, außerdem kommen Ursula von der Leyen und Wolf-Dieter Ring zu Wort.

Interessant ist dabei, dass die Pressestellen von BKA und Familienministerium wohl behauptet haben, es sei ihnen unbekannt, dass auf den skandinavischen Sperr-Listen auch Server aus Deutschland oder anderen westlichen Ländern stehen würden. Das kann nur bedeuten: die sind entweder vollkommen inkompetent, sie lügen oder sie haben überhaupt kein Interesse daran, abseits von ein bisschen plumpem Aktionismus irgendetwas im Kampf gegen Kinderpornographie zu unternehmen.

 

Zudem ist heute „Welttag gegen Internet-Zensur“ – der Whistleblower mit dem BMI-Internen Dokument hat die Herausgabe zeitlich gut abgepasst. Eins muss man aber sagen: gegenüber den Problemen, die kritische Menschen in den 12 Ländern haben, die die Reporter ohne Grenzen zu den „Feinden des Internets“ zählen, geht es uns in Deutschland sehr gut.

 

Ein internes Dokument aus dem Innenministerium (Scan als PDF, unten als Text) zeigt, welch seltsames Rechtsverständnis in Schäubles Haus herrscht – und natürlich behandelt es noch nicht mal die tatsächlichen Probleme der geplanten Internet-Sperren.

Per anonymer Briefpost, ohne Absender und weitere Bemerkungen, erreichte mich am Mittwoch eine interne Stellungnahme des Bundesinnenministeriums, in der auch noch interessante Anmerkungen enthalten sind. Ich gehe davon aus, dass das Dokument echt ist.

Die Stellungnahme wurde von einem Dr. Stawowy vom Referat V I 3 (Grundrechte; Verfassungsstreitigkeiten) für das Referat ÖS I 3 (zuständig für Polizeiliches Informationswesen; Informationsarchitekturen Innere Sicherheit; BKA-Gesetz; Datenschutz im Sicherheitsbereich) erstellt und ist sehr aufschlussreich: 

Aktuelle Kommentare

  • Timo: Hier ein interessanter Artikel über die SCHUFA und was sie weiter lesen
  • Pa: If your government (or company or school) blocks youtube site, weiter lesen
  • Egal: Noch ein Leak: Der Alvar hat auch ein Gutachten zur weiter lesen
  • Alvar: Zur Info: Nebenan habe ich unter http://blog.alvar-freude.de/2014/01/gutachten-vorratsdatenspeicherung.html ein technisches Gutachten weiter lesen
  • Robert L.: Ich finde das mit den rechtlichen Rahmenbedingungen gar nicht so weiter lesen
  • Anonym: ...genauer gesagt, war die auskunft der bahncard-kreditkarten-hotline, dass der verfügungsrahmen weiter lesen
  • tatata: die information stammt aus zwei telefonaten mit der commerzbank. ich weiter lesen
  • Alvar Freude: Hast Du nähere Infos darüber, dass die Bahn die Entscheidungen weiter lesen
  • tatata: das problem ist nicht die commerzbank. es ist die bahn. weiter lesen
  • Medyum: daß User auf Selbstzensur setzen, die wie Sie sicher wissen weiter lesen

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