April 2009 Archive

Nun kommt es auch aus Brüssel: der Rat der Europäischen Union (EU-Ministerrat) will die einzelnen EU-Staaten verpflichten, Internet-Sperren einzuführen.

Zwar bringt der Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie einige sinnvolle und unterstützenswerte Forderungen mit. Der vorgeschlagene Rahmenbeschluss fordert in Artikel 18 aber auch Internet-Sperren:

Sperrung des Zugangs zu Webseiten, die Kinderpornografie enthalten

Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, damit die zuständigen Justiz- oder Polizeibehörden vorbehaltlich angemessener Schutzvorschriften die Sperrung des Zugangs von Internet-Nutzern zu Webseiten, die Kinderpornografie enthalten oder verbreiten, anordnen oder auf ähnliche Weise erwirken können; insbesondere soll sichergestellt werden, dass die Sperrung auf das Nötige beschränkt wird, dass die Nutzer über die Gründe für die Sperrung informiert werden und dass Inhalteanbieter darüber unterrichtet werden, dass sie die Entscheidung anfechten können.

 

Interessanterweise sieht der Rahmenbeschluss aber einige Sicherungen vor: Beschränkung auf das Nötigste, Information der Inhalteanbieter und die Möglichkeit rechtlich gegen die Sperre vorgehen zu können.

Aber auch hier gilt wieder, abgesehen davon dass die Sperren im Kampf gegen Kinderpornographie wirkungslos sind: ist eine entsprechende Sperr-Infrastruktur erst einmal eingerichtet, werden die Provider mit Sperr-Wünschen überhäuft werden.

 

Alexander Svensson äußert sich in seinem Blog Wortfeld kritisch über einige Formen des Protestes gegen die von Familienministerin Ursula von der Leyen auf den Weg gebrachten Pläne zur inhaltlichen Kontrolle des World Wide Web. Dem Gegner einen albernen Namen zu verpassen hält er für nicht angebracht:

Noch schlechter ist allerdings Zensursula. Es klingt nicht nur ausgesprochen dämlich, sondern enthält auch das überstrapazierte Wort »Zensur«. Wenn mal ein Kommentar nicht freigeschaltet wird, wenn der eigene Leserbrief nicht gedruckt wird, wenn ein Provider einem Kunden kündigt und die Domain im Transit-Status landet — sofort wird »Zensur!« geschrien. Selbst wenn es diesmal zur Abwechslung sogar korrekt wäre: Wäre ich Ursula von der Leyen, würde ich mich über die Steilvorlage freuen — jemand hat also etwas dagegen, dass Bilder von Kindesmissbrauch zensiert werden? Wer wäre da nicht auf der Seite der Zensoren?

Ich kann nachvollziehen, dass in den Augen einiger "Zensur" inflationären Gebrauch erfährt. Aus verschiedenen Gründen ist das meiner Meinung nach jedoch nicht schlecht:

Zum einen zeigt das eine Auseinandersetzung der Netzöffentlichkeit mit dem Thema Meinungs- und Rezipientenfreiheit. Die Ansprüche sind seit 1950 sozusagen gestiegen, für viele Menschen können es nicht einsehen, warum sie sich nicht ausdrücken dürfen oder ihnen der Zugriff zu etwas verweigert werden soll, das sowieso existiert und ohne Mühe tausendfach kopiert werden kann. Der Begriff "Zensur" wird anders verstanden, er wird als Metapher eingesetzt. Das ist in Ordnung, auch wenn Personen, die beispielsweise in der ehemaligen DDR klassische staatliche Zensur erfahren haben, das etwas geschmacklos finden mögen. (Doch müssten nicht gerade die einer taktischen Herangehensweise offen gegenüberstehen? Kann ich natürlich nicht wirklich einschätzen.) Kurz gesagt, von Zensur zu sprechen halte ich in der Öffentlichkeitsarbeit nicht für falsch, andererseits ist es grundfalsch, wie Von der Leyen Kindesmissbrauch für die eigene politische Karriere ausschlachtet.

Zum anderen sind Persistenz und Humor die mächtigsten Werkzeuge des Webs. "The harder you try the harder you will fail." Ich bin mir ehrlich gesagt schon sicher, dass diese Gesetze und Verträge keine Chance haben. Was natürlich zu einem großen Teil seriöser politischer Arbeit gedankt sein wird. Aber deswegen ist es nicht verboten, den Gegner auch lächerlich machen, denn nichts anderes tun Namen wie "Zensursula" oder "von Laien regiert". Anders kann man den Schwachsinn, der da abgesondert wird, ohnehin kaum ertragen. Außerdem kommt so die Botschaft bei bestimmten Leuten eben doch an, die sich sonst nicht vorstellen könnten, was die Pläne der Familienministerin bedeuten. Man kann das natürlich alles wissen, aber man muss es auch verstehen.

Sowieso spricht das Netz nicht mit einer Stimme. Je mehr gleichzeitig auf verschiedene Arten auf ein Ziel hin arbeiten, desto besser. "Zensursula" und korrekte Recherche, Aufklärungsarbeit und Argumentation existieren nebeneinander und ergänzen sich, zum Beispiel bei der Demonstration: da sind Slogans gefragt. Niemand, der Zensursula doof findet, muss sich dadurch peinlich berührt fühlen, sondern kann den eigenen Weg weiter verfolgen. Das ist ein Vorteil. Von der Leyens Parteikollegen hingegen werden mit ihr ein Problem bekommen, wenn die Sache vorbei ist. Denn im übertragenen Sinne betreibt sie reines Namecalling und tut sonst nichts.

Macht sie lächerlich, sie hat es verdient. Je lächerlicher sie in der Öffentlichkeit dasteht, desto schwieriger wird es sein, auf ihrer Seite zu stehen. Dann treffen die gut konstruierten Argumente um so wirkungsvoller.

Der Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur (AK Zensur) erklärt zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zu Internet-Sperren:

Der Bundesregierung geht es bei dem Gesetzentwurf zu den geplanten Internetsperren nicht um die effektive Bekämpfung der Kinderpornographie. Sie betreibt Wahlkampf auf Kosten missbrauchter Kinder, schützt die Täter, vernachlässigt die Strafverfolgung und initiiert eine grundgesetzwidrige Internet-Zensur-Infrastruktur unter Kontrolle des BKA. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auf der Sperrliste auch weitere missliebige Internet-Inhalte stehen.

Der Gesetzenwurf sieht auch eine Sperrung von Webseiten aus Deutschland und anderen europäischen Ländern vor. Auch auf den bekannten Sperrlisten in Skandinavien stehen Webseiten aus Deutschland. Diese sind der Bundesregierung und dem BKA seit Monaten bekannt. Es wäre problemlos möglich, die Server abzuschalten und die Inhalte aus dem Netz zu entfernen, statt sie nur mit einer relativ leicht umgehbaren Sperre zu belegen. Warum wurden die Server bisher nicht abgeschaltet, warum wird die Strafverfolgung unterlassen?

Die Begründung des Gesetzesentwurfs geht von falschen Voraussetzungen aus:



Die neuen Sperr-Regelungen werden im Telemediengesetz hinzugefügt und nicht in einem eigenen Gesetz behandelt. So können sie leicht auf weitere Inhalte ausgedehnt werden. Die geheime Sperrliste des BKA unterliegt keiner rechtsstaatlichen Kontrolle - die Gewaltenteilung scheint aufgehoben: das BKA wird zu Ermittler, Ankläger und Richter in einem. Es wird zu einer unkontrollierbaren Zensur-Behörde. Entgegen der Ankündigung von vergangenem Freitag sollen Daten von Nutzern, die auf die Stopp-Seiten gelangen, gespeichert werden. Dies ist nicht nur datenschutzrechtlich bedenklich, sondern bietet Kriminellen auch ganz neue Möglichkeiten, um Unschuldige in den Verdacht des Konsums kinderpornographischer Darstellungen zu bringen.

Die Bundesregierung will Kindesmissbrauch ausblenden anstatt ganz aus dem Internet zu nehmen. Der AK Zensur fordert hingegen die Täter mit den bestehenden Rechtsmitteln zu verfolgen, die auch in der überwiegenden Mehrheit der Quelländer vorhanden sind. So bekämpft man das Übel nachhaltig an der Wurzel und kann auf eine grundrechtswidrige Placebo-Lösung verzichten.

 

Pressekontakt:

presse_AT_ak-zensur.de (_AT_ durch @ ersetzen)

 

Anmerkungen:

[1]:

Das LKA München erklärt, dass bei der Verbreitung von Kinderpornographie Geld kaum je eine Rolle spielt. Es gebe organisierte Strukturen, aber selten: "Die überwältigende Mehrzahl der Feststellungen, die wir machen, sind kostenlose Tauschringe, oder Ringe, bei denen man gegen ein relativ geringes Entgelt Mitglied wird, wo also nicht das kommerzielle Gewinnstreben im Vordergrund steht. Von einer Kinderpornoindustrie zu sprechen, wäre insofern für die Masse der Feststellungen nicht richtig."
Zitiert nach: Rebecca Casati: Mittan am Rand; in: Süddeutsche Zeitung vom 18. April 2009;
Online verfügbar unter http://www.sueddeutsche.de/panorama/813/465404/text/

 

Der neue Gesetzentwurf für Internet-Sperren (PDF, 100 kB) ist da. Er unterscheidet sich in einigen Punkten vom alten Entwurf. Wie heise online schon berichtete, gibt es keine Ausnahme mehr für Webseiten aus dem EU-Ausland (und auch nicht aus dem Inland) und die Provider dürfen IPs protokollieren und weitergeben.

Wie Holger Köpke schon schrieb, bietet das einige Möglichkeiten Unschuldige zu kriminalisieren. Und es geht noch „besser“: mittels JavaScipt und unsichtbaren iFrames lassen sich entsprechende Seiten in hoher Zahl laden. Oder: neue Fenster aufmachen, ganz klein, ohne Scrollbalken, erst auf eine eigene Adresse und dann eine HTML-Redirection reinmachen: damit ist sogar der Referer weg. Und wenn das Fenster klein genug ist sieht das Opfer auch hier nicht, auf welche Ziel-Seite es kommt. Hier gibt es also genug Spielraum, Unschuldige ins Visir des BKA zu treiben.

 

Interessant ist auch, dass laut Gesetzesentwurf keine kleinen Provider und keine Hochschulen, Bibliotheken und so weiter von der Sperr-Anordnung erfasst sein sollen: so soll verhindert werden, dass die Liste in zu viele Hände kommt und bekannt wird. Dies zeigt aber gleichzeitig, dass das ganze Vorhaben nur eine Farce ist, schließlich gibt es so noch eine weitere Mögichkeit zum Umgehen der Sperre ...

 

Insgesamt wird deutlich, dass es sich noch um einen Entwurf handelt, so sind zum Beispiel noch einige nicht korrekte Verweise usw. enthalten. Aber er ist ja auch schon ein paar Tage alt. Es ist also zu erwarten, dass in der Zwischenzeit noch einige Änderungen eingeflossen sind.

 

Update: Eine neuere Version des Gesetzesentwurfs hat Thomas Stadler. Nun geht das Gerücht um, dass es gar nicht mehr um Kinderpornographie gehe, sondern alles auf der Liste stehen könne. Das ist so nicht richtig, denn in §8a Abs. 1 ist das immer noch klar geregelt. Die Klammer in Abs. 2 wurde gestrichen, die sagt aber nur das, was schon in Abs. 1 steht. Ganz so schnell geht das nun doch nicht ...

 

Hier noch der Text des Gesetzesentwurfes (nicht ganz aktuelle Version vom 1. April); mit allen Anmerkungen und Gesetzesbegründung im PDF.

 

Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung des Telemediengesetzes

Telemediengesetz vom 26. Februar 2007 (BGBl. I S. 179), geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom

25. Dezember 2008 (BGBl. I S. 3083), wird wie folgt geändert:

1. Nach § 8 wird folgender § 8a eingefügt:

„§ 8a Bekämpfung der Verbreitung von Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen

(1) Im Rahmen seiner Aufgaben als Zentralstelle nach § 2 des Bundeskriminalamtgesetzes führt das Bundeskriminalamt Listen über vollqualifizierte Domainnamen, Internet-Protokoll-Adressen und Zieladressen von Telemedienangeboten, die Kinderpornographie nach § 184b des Strafgesetzbuches enthalten oder deren Zweck darin besteht, auf derartige Telemedienangebote zu verweisen (Sperrliste). Es stellt den Diensteanbietern (nach Absatz 2) arbeitstäglich zu einem diesem mitgeteilten Zeitpunkt eine aktuelle Sperrliste zur Verfügung.

(2) Diensteanbieter nach § 8, die einen öffentlich zugänglichen Internetzugang für mindestens 10000 Teilnehmer oder sonstige Nutzungsberechtigte in der Regel gegen Entgelt ermöglichen, haben geeignete und zumutbare technische Maßnahmen zu ergreifen, um den Zugang zu Telemedienangeboten, (die Kinderpornographie nach § 184b des Strafgesetzbuchs enthalten oder deren Zweck darin besteht, auf derartige Telemedienangebote zu verweisen und) die Bestandteil der Sperrliste des Bundeskriminalamts nach Absatz 1 sind, zu erschweren. Für die Sperrung dürfen vollqualifizierte Domainnamen, Internetprotokoll-Adressen und Zieladressen von Telemedienangeboten verwendet werden. Die Sperrung erfolgt mindestens auf der Ebene der vollqualifizierten Domainnamen, deren Auflösung in die zugehörigen Internetprotokoll-Adressen unterbleibt. Die Diensteanbieter haben die Maßnahmen unverzüglich zu ergreifen, nachdem das Bundeskriminalamt die aktuelle Sperrliste zur Verfügung gestellt hat, spätestens jedoch innerhalb von sechs Stunden.

(3) Die Diensteanbieter haben die Sperrliste durch geeignete Maßnahmen gegen Kenntnisnahme durch Dritte die an den technischen Maßnahmen zur Vornahme von Sperrungen nicht beteiligt sind, zu sichern.

(4) Die Diensteanbieter leiten Nutzeranfragen, durch die in der Sperrliste enthaltene kinderpornographische Telemedienmangebote abgerufen werden sollen, auf ein von ihnen betriebenes Telemedienangebot (Stoppmeldung) um, das die Nutzer über die Gründe der Sperrung sowie eine Kontaktmöglichkeit zum Bundeskriminalamt informiert. Die Ausgestaltung bestimmt das Bundeskriminalamt.

(5) Die Diensteanbieter dürfen, soweit das für die Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 3 erforderlich ist, personenbezogene Daten erheben und verwenden. Diese Daten dürfen für Zwecke der Verfolgung von Straftaten nach § 184b des Strafgesetzbuchs den zuständigen Stellen auf deren Anordnung übermittelt werden.

(6) Die Diensteanbieter übermitteln dem Bundeskriminalamt wöchentlich eine anonymisierte Aufstellung über die Anzahl der Zugriffsversuche am Tag auf die in der Sperrliste aufgeführten Telemedienangebote.

(7) Die Diensteanbieter haften nur, wenn und soweit sie die Sperrliste durch Maßnahmen nach den Absätzen 1 bis 5 nicht ordnungsgemäß umsetzen.

(8) Das Bundeskriminalamt ist verpflichtet, Unterlagen vorzuhalten, mit denen der Nachweis geführt werden kann, dass die in der Sperrliste aufgeführten Einträge zum Zeitpunkt ihrer Bewertung durch das Bundeskriminalamt die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllten. Es erteilt Diensteanbietern im Sinne des Telemediengesetzes, die ein berechtigtes Interesse darlegen, auf Anfrage Auskunft darüber, ob ein bestimmtes Telemedienangebot in der Sperrliste enthalten ist oder war und für welchen Zeitraum.

(9) In welcher Form und in welchem Verfahren die Sperrliste und die Aufstellung nach Absatz 1 zur Verfügung gestellt wird, regelt das Bundeskriminalamt unter Beteiligung der Diensteanbieter in einer technischen Richtlinie.

(10) Das Grundrecht des Brief-, Post-und Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird durch die Absätze 1, 3 und 4 eingeschränkt. Dabei sind Telekommunikationsvorgänge im Sinne des § 88 Absatz 3 Satz 3 des Telekommunikationsgesetzes betroffen.
2. In § 16 Absatz 2 werden nach Nummer 1 folgende Nummern 1a und 1b eingefügt:

„1a) entgegen § 8a Absatz 1 eine Maßnahme nicht oder nicht rechtzeitig ergreift, 1b) entgegen § 8a Absatz 2 die Sperrliste nicht, nicht richtig oder nicht vollständig sichert,“

Artikel 2 Änderung des Telekommunikationsgesetzes

Das Telekommunikationsgesetz vom 22. Juni 2004 (BGBl. I S. 1190), das zuletzt durch Artikel 16 des Gesetzes vom 17. März 2009 (BGBl. I S. 550) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

In § 96 Absatz 1 wird nach Satz 1 folgender Satz angefügt: „Der Diensteanbieter darf die
notwendigen Verkehrsdaten erheben und verwenden, soweit dies für die in § 8a Telemediengesetz
genannten Zwecke erforderlich ist.“.
§ 149 Absatz 1 Nummer 16 wird wie folgt gefasst:
„16. entgegen § 95 Abs.2 oder § 96 Abs. 1 oder Abs. 2 Satz 1 oder Abs. 3 Satz 1 Daten verwendet,“


Artikel 3 Evaluierung

Die Bundesregierung erstattet dem Bundestag innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten Bericht über die Anwendung dieses Gesetzes.

Artikel 4

Inkrafttreten
Das Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in Kraft.

 

Nun gibt es auch eine Pressemeldung zur Demo in Berlin und (Presse-) Fotos von dort.

 

Die Pressemeldung vom „Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur“ inklusiver umfangreicher Materielien und Hintergrundinformationen:

pressemappe-ak-zensur-2009-04-16.pdf

Es handelt sich um eine leicht aktualisierte Fassung gegenüber der Druckversion, die am Freitag vor der Bundespressekonferenz verteilt wurde.

Wie schon drüben im Blaster-Blog berichtet und die Hintergründe erläutert: Eine Wikipedia-Nutzerin hat sich eine ganz besondere Einnahmequelle mit Hilfe der Wikipedia einfallen lassen: Sie fügt selbst erstellte Fotos in Artikel der Wikipedia ein, ohne beim bzw. im Bild einen genauen Lizenzhinweis unterzubringen. Einen solchen verlangt sie aber, wie man auf der Großansicht eines solchen Bildes nachlesen kann. Wer nun einen solchen Wikipedia-Artikel ganz korrekt im Rahmen der Lizenz übernimmt (also auf die Quelle hinweist, diese verlilnkt und so weiter), aber beim Bild keinen zusätzlichen Lizenzhinweis unterbringt – den Artikel also beispielsweise 1:1 aus der Wikipedia mit allen dort vorhandenen Lizenzhinweisen übernimmt – wird abgemahnt. Begründung: die Fotografin sei „nicht gewillt, eine derart eklatante Verletzung [ihrer] Rechte hinzunehmen“, denn für das Bild würde der gesonderte Lizenzhinweis fehlen.

Das ist ein durchaus interessantes Geschäftsmodell. Denn geht es nach Wikipedia-Nutzerin Martina Nolte, soll ich ihr 1400 Euro bezahlen, weil der Web-Blaster die Wikipedia, wie alle anderen Webseiten auch, auf expliziten Wunsch des Nutzers durch den Assoziations-Blaster jagen kann. Dies sieht sie als entsprechend lizenzwidrige Vervielfältigung an.

Abgesehen davon, dass der Web-Blaster nur eine Art alternativer Browser ist, keine Einbindung, Vervielfältigung oder Übernahme der geblasteten Webseiten stattfindet, keine missbräuchliche Nutzung der Wikipedia vorliegt, es sich nicht um einen Wikipedia-Mirror handelt, weder die Wikipedia noch ein Autor „beklaut“ wird oder irgendwelche Lizenzhinweise unterschlagen werden – auf all das will ich hier nicht näher eingehen – ist das Vorgehen von Frau Nolte durchaus interessant: Die Wikipedia ist ausdrücklich eine freiheitliche Enzyklopädie, was in diesem Fall bedeutet, dass die Inhalte weitergenutzt werden können und sollen. Natürlich mit entsprechendem Hinweis auf die Quellen. Es liegt ja im Wesen einer freien Enzyklopädie, dass die Inhalte auch frei genutzt werden können.

Frau Nolte möchte aber eine Sonderrolle: sie will bei jedem einzelnen Bild explizit namentlich erwähnt werden. Wer also einen Artikel mit einem Bild von Frau Nolte ohne Nennung irgendwo weiterverwendet und ganz korrekt auf die Wikipedia verweist, begeht nach ihrer Sicht dennoch eine Lizenzverletzung: denn sie wurde bei dem Bild nicht erwähnt. Da sie dies sogar für Thumbnails verlangt ist die Vermutung naheliegend, dass es sich um eine Täuschung zum Zwecke der Lizenzgebühren-Eintreibung handelt. Dies widerspricht – unabhängig von einer rechtlichen Bewertung – dem Gedanken einer freien Enzyklopädie.

So schreibt sie in einer Antwort an meinen Anwalt Thomas Stadler:

Die kostenlose Nutzung meiner genannten Fotos setzt die vollständige Einhaltung des Lizenzvertrags Creative Commons by-sa 3.0. de (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/legalcode, Volltext im Anhang) voraus.

Eine Vervielfältigung und öffentliche Zugänglichmachung, wie sie durch Einbindung von Wikipeda-Inhalten in die Internetseite Ihres Mandanten erfolgt, verlangt vertragsgemäß:

  • Die Urhebernennung "Martina Nolte" (mindestens so hervorgehoben wie Hinweise auf die übrigen Rechteinhaber) an jeder Kopie,
  • den angegebenen Bildtitel und alle dazu gehörenden Rechtevermerke an jeder Kopie,
  • den Lizenzvertrag oder die vollständige Internetadresse http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/legalcode bei jeder Kopie

 
Anderenfalls erlöschen die eingeräumten Nutzungsrechte automatisch und vollständig.

[...]

Dass ich bei der Einbindung dieser Fotos in und der Wiedergabe auf weitere/n Seiten der Wikimedia Foundation eine durch einen Link auf die jeweilige Original-Bildseite nur indirekte Nennung meiner Urheberschaft und der Bildlizenz dulde, hat keinerlei vertragsändernde Wirkung gegenüber anderweitigen Nutzungen meiner Bilder.

 

Sprich: sie räumt der Wikipedia mehr Rechte ein als Nutzern, die Texte der Wikipedia (legal im Rahmen der Lizenzbedingungen der Wikipedia) verwenden. Dies macht sie offensichtlich mit dem Ziel, nachher von diesen Nutzern Lizenzgebühren zu kassieren.

Interessanterweise hat sie nicht aufgeführt, welche Browser und Suchmaschinen von den erweiterten Lizenzbedingungen ebenfalls ausgenommen sind. Da bieten sich sicherlich noch ein paar Bereiche zum Ausweiten des Geschäftsbetriebs …

Nachtrag: Martina Nolte hat 2006 beantragt, dass alle ihre Fotos aus Wikimedia Commons gelöscht werden sollen. Laut der Diskussion dort soll sie damals Bilder in Wikimedia Commons veröffentlicht haben, an denen sie nicht die nötigen Rechte hätte, weil sie diese bereits an die VG Bild-Kunst abgetreten habe. Eine Sperrung der Nutzerin wurde damals diskutiert. Bei dem aktuellen Fall ist daher interessant, dass alle Bilder, um die es jetzt geht, erst 2009 hochgeladen wurden, die meisten davon im März. Es besteht also ein zeitlicher Zusammenhang mit der Abmahnung.

Nachtrag 2: Um Missverständnisse im hier konkreten Fall auszuräumen nochmals der Hinweis, dass im Web-Blaster keine fremden Inhalte, auch nicht aus der Wikipedia, kopiert bzw. übernommen werden. Schon gar nicht werden irgendwelche Lizenzhinweise entfernt, unterdrückt oder anderweitig bearbeitet. Am besten selbst ausprobieren. Spezifische Diskussionen zum Web-Blaster wären beim Bericht im Blaster-Blog besser aufgehoben.

 

Ingesamt stellt sich die Frage, warum es in der Wikipedia möglich ist, Bildern solch abweichende Lizenzbedingungen zu geben. Die Nutzer dürften im Allgemeinen  davon ausgehen, dass alle Inhalte in der Wikipedia im Sinne der GFDL weiterverwendet werden dürfen. Wenn hingegen jeder Nutzer Beiträge bzw. Teile von Beiträgen (die Fotos) unter einer eigenen Lizenz veröffentlichen kann, oder einer, die diese Weiterverwendung unpraktikabel einschränkt, ist das sicherlich nicht im Sinne der Wikipedia. Dies betrifft zu Beispiel auch automatisch erstellte Versionen für PDAs oder Mobiltelefone, gedruckte Versionen und so weiter.

Dies erst einmal unabhängig vom konkreten Fall mit dem Web-Blaster, denn dort findet keine Vereinnahmung der Inhalte oder ähnliches statt. Er leitet diese nur auf expliziten Nutzerwunsch durch, entfernt keine Urheberrechtshinweise, weist deutlich auf sich selbst hin, verweist auf die Originalseiten usw.

 

Dazu als Nachtrag 3: Hier noch die aktuelle Antwort meines Anwalts auf obigen Brief (eventuelle Tippfehler von mir).

Das Missverständnis besteht offenbar darin, dass Sie eine vervielfältigung und öffentliche Zugänglichmachung unterstellen. Unser Mandant vervielfältigt aber nichts und macht auch nichts öffentlich zugänglich. Ihre Fotos werden bereits durch Sie selbst und Wikipedia öffentlich zugänglich gemacht. Unser Mandant stellt lediglich ein Tool zur Verfügung, das es dem Nutzer ermöglicht, bereits online befindliche Inhalte darzustellen. Der bloße Verweis auf bereits öffentlich zugänglich gemachte Inhalte stellt aber keine urheberrechtlich relevante Handlung dar. Unser Mandant kopiert Ihre Fotos auch nicht, sondern verlinkt lediglich auf die Quellen bei Wikipedia.

Ungeachtet dessen, ist Ihr vorgehen aber auch treuwidrig. Sie binden nämlich selbst Ihre Fotos bei Wikipedia ein, in dem Bewusstsein, dass auf den Artikelseiten von Wikipedia keine unmittelbaren Urhebervermerke angebracht sind. Was Sie beanstanden, ist im Grunde, dass die Art der Einbindung von Fotos in die Wikipedia-Artikel nicht den Anforderungen einer CC-Lizenz entspricht. Das mag so sein. Das können Sie aber nicht beanstanden, solange Sie eine solche Einbindung in Wikipedia-Artikel selbst vornehmen.

Weiterer Erörterungsbedarf besteht aus unserer Sicht nicht. Wenn Sie in der Sache Klage erheben wollen, dann bitten wir darum, uns als zustellungsbevollmächtigt zu benennen.

 

Etwas ähnliches macht übrigens Google mit seinem Übersetzungsservice: Auch da kann man beliebige Seiten übersetzen lassen.

 

Kurzinfo zum Blaster: Der Assoziations-Blaster ist ein „interaktives Textnetzwerk“, er verlinkt Texte untereinander anhand von Stichwörtern (Wikipedia-Eintrag zum Blaster). Die Texte und Stichwörter kommen von den Nutzern. Der Blaster hat dieses Jahr sein 10-jähriges Jubiläum, Dragan und ich arbeiten an einer neuen Version. Der Web-Blaster ermöglicht es, beliebige Webseiten anstatt nur der Texte im Blaster zu „blasten“.

 

Seit ein paar Tagen gibt es den Verein MissbrauchsOpfer Gegen InternetSperren. Entgegen der sonstigen Gepflogenheit, nur komplette Artikel zu schreiben, will ich das hier nur mal in den Raum stellen.

 

Zudem gibt es zur besseren Vernetzung wie auf der re:publica besprochen nun eine Mailingliste, auf dem sich die Kritiker der Sperr-Maßnahmen über aktuelle Entwicklungen etc. absprechen. Die Liste ist eine geschlossene Liste, für den Zutritt ist (vorerst) aufgrund der Sensibilität des Themas eine Freischaltung nötig. Wer mitmachen möchte, wende sich an scusi oder mich. Wir werden nun allgemein bei diesem Thema verstärkt zusammenarbeiten.

 

Nun gibt es die Präsentation zu meinem Vortrag Einstiegsdroge Kinderpornographie? – Kinderpornographie als Türöffner für Internet-Sperren auf der re:publica'09 als PDF zum Download.

In dem Vortrag habe ich grob den aktuellen Stand der Dinge zusammengefasst und gezeigt warum Internet-Sperren nicht gegen Kinderpornographie dokumentierten Kindesmissbrauch helfen und wie diese als Türöffner für weitergehende Sperren dienen.

 

vortrag-vorbereiten.jpg

Beim fleißigen Vorbereiten des Vortrags, ähm, reden mit Markus Beckedahl – auf dem gemütlichsten Platz der re:publica …
(Foto: martinheike)

 

Ein neues Dokument ist aufgetaucht: Vom Innenministerium ist ein Bericht für den Innenausschuss des Bundestages über die „Technischen Möglichkeiten der Entfernung bzw. Sperrung kinderpornographischer Inhalte im Internet“ erstellt worden (PDF, 380 KB, 7 Seiten mit Begleitbrief und Deckblatt).

Die einzenen Formulierungen hören sich so an, als ob ein Halb-Laie die verschiedenen technischen Studien so zusammengefasst hat, dass dies auch von noch Leyenhafteren Lesern verstanden werden soll. Die wirklich interessanten Fragen werden dabei aber nicht gestellt:

  • Was soll überhaupt ganz konkret gesperrt werden?
  • Wie wird Kinderpornographie im Internet verbreitet? Also: offen und frei zugänglich?
  • Wie stoßen die Nutzer darauf?
  • In welchen Ländern liegen die zu sperrenden Inhalte?
  • Welche Arten von Nutzern stoßen auf Kinderpornographie, welche technischen Kompetenzen haben sie?
  • Stoßen sie zufällig drauf, oder nach gezieltem Suchen?
  • Über welche Internet-Dienste werden Kinderpornos verbreitet?

Viele Menschen haben ja immer noch die Vorstellung, dass das Internet das sei, was sie im Web-Browser sehen. Aber das Web spielt in den meisten aktuellen Fällen des Besitzes oder der Verbreitung von Kinderpornographie nur eine untergeordnete Rolle – ein Grund, warum die geplanten Sperren auch im Sinne der Befürworter nichts bringen.

Insgesamt ist der Bericht eine grobe Zusammenfassung der bekannten Beschreibungen was möglich und nicht möglich ist, angereichert mit ein paar Eigenheiten. Er beginnt mit der Feststellung:

Die dauerhafte und vollständige Entfernung kinderpornographischer Inhalte aus dem Internet ist technisch nicht möglich. Sobald die entsprechenden Inhalte von einem Host – d.h. von einem Computer im Internet, der anderen Internetnutzern Inhalte oder Dienste zur Verfügung stellt – entfernt werden, kann der Anbieter seine Inhalte über andere Hosts wieder zugänglich machen.

Im Ausland sei ein solches Entfernen aber schwierig. Es sei zwar auch ein „Hacking“ entsprechender Websites möglich, aber „rechtlich und politisch höchst problematisch“. Davon, dass dies technisch nicht ganz trivial wäre ist aber nicht die Rede. Aber es wird wohl eher nichts, mit dem Bundeshacker.

Apropos Ausland: Aus anderer und sicherer Quelle weiß ich, dass das Innenministerium behauptet „keine gesicherten Erkenntnisse“ zu haben, in welchen Ländern die Verbreitung von Kinderpornographie nicht strafrechtlich verfolgt wird. Vielleicht liegt diese Nicht-Kenntnis aber auch daran: es gibt kaum Länder, in denen die Verbreitung oder gar Herstellung von Kinderpornos nicht strafbar ist. Die meisten Webseiten, die in anderen Ländern auf der Sperrliste stehen, stammen aus den USA. Mir wäre neu, dass ausgerechnet dort Kinderpornographie geduldet wird. Jetzt darf man sich nochmal fragen: Warum gibt es im Innenministerium keine Erkenntnis, aus welchen Ländern die entsprechenden Websites stammen? Absicht oder Inkompetenz?

Zurück zum Bericht des Innenministeriums. Da der Autor keine Chance sieht, gegen die Verbreiter der Inhalte vorzugehen, stellt er im folgenden drei Filter-Möglichkeiten zur Diskussion: bei den Computer der Nutzer, eine Sperre auf dem „Computer des Anbieters (Host)“ und im „für den Abruf solcher Inhalte genutzten Verbindungsnetz (Internet)“. Nutzerautonome Filter sind in diesem Fall aus naheliegenden Gründen Quatsch, was man auch im Innenministerium so sieht. Mit einer Sperre beim Anbieter meint das Innenministerium die Entfernung der Inhalte, sieht aber wieder Probleme mit dem nicht näher spezifizierten Ausland, in dem dies nicht möglich sei. Und damit bleibt nur noch die Variante von dem, was wir als Internet-Sperren verstehen.

Hier bevorzugt der Autor für den Anfang die DNS-Manipulation. Am liebsten wäre ihm aber eine hybride Variante aus DNS-Umleitung und transparentem Proxy, wie sie auch in Großbritannien zum Einsatz kommt. Die Nebenwirkungen davon konnten wir ja erst vor kurzem bei der Wikipedia-Sperre beobachten.

Somit ist klar: die DNS-Sperre ist nur für den Anfang geplant. Später wünscht man sich dann eine Art Omnicleaner, der das Internet zielgerichtet filtert.

Aktuelle Kommentare

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