April 2010 Archive

Im (noch) aktuellen SPIEGEL 14/2010 gibt es auf Seite 18 einen Artikel „Minister für Entwarnung“, der erklären könnte, warum einige Unions-Abgeordneten sich weiter lautstark für Internet-Sperren aussprechen.

Der Artikel beschreibt den Wandel im Innenministerium von Wolfgang Schäuble zu Thomas de Maizière:

Kein CDU-Minister hat in der schwarz-gelben Koalition einen so radikalen Kurswechsel vollzogen wie de Maizière. Schäuble war der Prototyp eines konservativen Ressortchefs, stets hatte er ein offenes Ohr für die Nöte des Sicherheitsapparats. Sein Credo war das von Law and Order. […]

De Maizière dagegen wirkt wie ein Minister für Entwarnung.

In der Union ist aber gleichzeitig innerparteilicher Widerstand gegen den Kurswechsel zu spüren, der auch schon in anderen Bereichen stattgefunden hat:

Die Traditionalisten in der Union hielten es von Anfang an für einen Fehler, dass Merkel in der Innenpolitik auch noch die letzte konservative Bastion räumt. Sie hatten in den vergangenen Jahren ja schon erdulden müssen, wie die Parteichefin andere althergebrachte Überzeugungen der Union entsorgte.

Der Weg ging weg von der Hausfrau hin zu einem moderneren Frauenbild, beim Sozialstaat sehe ich die Union häufig näher bei der SPD als bei der FDP, und auch auf die Atomkraft würde die Kanzlerin langfristig verzichten. Der SPIEGEL schreibt treffenderweise weiter:

Nur noch Sheriff Schäuble im Innenministerium erinnerte die Konservativen an die alte CDU.

Bundesarchiv_B_145_Bild-F019970-0020,_Düsseldorf,_CDU-Bundesparteitag,_Adenauer,_Erhard.jpgAber mit dem neuen Innenminister ist auch das vorbei. Fraktionsintern brechen nun die Fronten auf, und einzelne Abgeordnete versuchen bei dem einen oder anderen Thema eine konservative Linie durchzusetzen.

Und ich denke, hier muss man auch die Äußerungen von Hans-Peter Uhl (CSU) –zum Beispiel in einem Gastkommentar für die FAZ (siehe auch den Kommentar dazu bei Netzpolitik und „Die Weiswursttheorie des Doktor Uhl“) – einordnen. Ebenso andere Äußerungen aus der Union. Da Internet-Sperren Unfug sind, wenn man sie zur Bekämpfung der Verbreitung von Darstellungen sexuellen Missbrauchs von Kindern („Kinderpornografie“) einsetzen will, bleiben letztendlich nur zwei Möglichkeiten, warum Uhl weiter darauf beharrt:

  • Er will Sperrsysteme etablieren, um sie auch bei anderen Inhalten einzusetzen.
  • Es geht um die politische Positionierung. Wenn alle anderen Parteien dagegen sind, dann muss wenigstens einer noch dafür sein.

Die erste Variante hat Uhl selbst ausgeschlossen. Die Aussage ist klar und deutlich, und nehmen wir mal an, dass er es ernst meint. Bleibt also nur die politische Positionierung. Das Hochhalten der vermeintlich konservativen Fahne. Und die innerparteiliche Opposition.

Das ist ein übliches Spiel. Und man schafft sich damit Verhandlungsspielraum: „OK, ich gebe hier nach, aber dafür musst Du da und dort nachgeben!“. Für Uhl dürfte es ein politisches Thema wie jedes andere sein. Noch steht eine Antwort aus, aber ich glaube nicht, dass er bzw. seine Mitarbeiter es schaffen, eine andere sinnvolle Argumentation für Sperren zu finden. 

Merkel hingegen will im Bereich der Netzpolitik nicht auf Konfrontation setzen, schreibt der SPIEGEL:

So will Merkel, dass sich die Partei mit der Internetgemeinde aussöhnt, die Schäuble mit seinem Gesetz zur Online-Durchsuchung verprellt hat.

Es war ja nicht nur Schäuble, und auch beim Thema Internet-Sperren soll Merkel mit dafür gesorgt hat, dass im Koalitionsvertrag eine Einigung mit der FDP zustande kam.

In Deutschland ist jetzt wohl eher Abwarten angesagt. Dafür müssen wir auf EU-Ebene die gleiche Diskussion führen, die wir in den vergangenen 16 Monaten in Deutschland geführt haben. Und auch da werden wir uns mit zwei verschiedenen Standpunkten auseinander setzen müssen: Zum einen mit den Leuten, die tatsächlich glauben, mit Internet-Sperren irgendwas im Kampf gegen Kindesmissbrauch erreichen zu können. Das hört sich auf den ersten Blick doch auch so gut an. Zum anderen mit denjenigen, die sich vor allem aus politischen Gründen für Sperren aussprechen. Die das Thema nutzen wollen, um sich damit von anderen abzusetzen. Das wird viel schwieriger, denn wenn es nicht um die Sache geht, kann man auch niemanden mit Sachargumenten überzeugen.

 

(Foto: Bundesarchiv/Heisler)

Der dänische Internet-Zugangs-Provider Siminn gehört zu den Providern, die in Dänemark die Zugangs-Sperren einrichten müssen.

grafik-daenische-sperrliste.pngDaher kennt er auch die aktuellen Listen und hat diese mal automatisch analysiert. Und wie alle bisherigen Analysen auch ist das Ergebnis wieder eindeutig: Abgesehen davon, dass fast die Hälfte der Websites offline ist, kommt das Zeug zu über 97% aus den USA, Westeuropa und Kanada.

Elf Webseiten kommen aus Deutschland. Sollte auf diesen tatsächlich Darstellungen sexuellen Missbrauchs von Kindern befinden, muss man sich schon fragen warum die deutschen Ermittlungsbehörden das dulden. Denn angeblich stehen sie ja in der Zwischenzeit in gutem Kontakt mit den Dänen. Wenn dort andere Inhalte zu finden sind, muss man sich fragen, warum diese auf der Sperrliste stehen …

Land Anzahl
offline 856
USA 916
Kanada 13
Deutschland 11
Niederlande 10
Südkorea 9
Russland 8
Tschechien 5
Ukraine 5
Großbritannien  4
Japan 3
Schweden 3
Belgien 2
Frankreich 2
Brasilien 1
China 1
Italien 1
Portugal 1
Türkei 1

 

Mehr: How the internet in Denmark is filtered

 

Die Bundesländer wollen an Internet-Sperren im Kontext des Jugendschutzes festhalten. Woran das liegt? Vielleicht, weil sie entsprechende Sperren auch im Bereich des Glücksspiels haben wollen. Und das ist kein Aprilscherz.

Martin Stadelmeier, Chef der Staatskanzlei von Rheinland-Pfalz, hat auf dem Politcamp explizit bestätigt, dass die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) ganz bewusst die Möglichkeit hat, (wie er sagt in Ausnahmefällen) Sperrverfügungen gegen ausländische Webseiten zu erlassen. Die KJM hat auch schon solche angekündigt.

Wer sich nun fragt, warum im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (in Verbindung mit dem Rundfunk-Staatsvertrag) an der Regelung trotz aller Gegenstimmen festgehalten wird, findet eine mögliche Erklärung in dem Fragenkatalog zur Anhörung „Zukunft des Glücksspielwesens in Deuschland“ (PDF, 414 KB), der mir freundlicherweise zugespielt wurde. Dort wird auf Seite 9 als Frage 22 gefragt, ob Sperren ein gangbarer Weg gegen nicht zugelassene Glücksspiel-Webseiten wären:

22. Vorausgesetzt, Internetglücksspiel würde zugelassen: Auf welche Weise kann die Nutzung in Deutschland nicht zugelassener Websites unterbunden werden? Wie beurteilen Sie im Hinblick darauf die Durchführbarkeit und Wirksamkeit

  1. der Blockierung entsprechender Websites?
  2. obligatorischer Hinweise an die Besucher entsprechender Websites?
  3. von Verboten bzw. Beschränkungen bargeldloser Zahlungen?
  4. der Sperrung on (Bank-)Konten illegaler Anbieter?
  5. von Teilnahmeverboten?

Rein prinzipiell ist das nichts neues, solche Sperren wurden schon 2008 in Hessen gefordert, vor fast einem Jahr wurde bekannt, dass Hessen 25 Seiten gesperrt haben wollte. Und schon 2008 hat Düsseldorfs Regierungspräsident Jürgen Büssow die Domains eines ausländischen Glücksspiel-Anbieters und eines Diskussionsforums gekapert – und weltweite Internet-Polizei gespielt. (In beiden Fällen scheint es aber so zu sein, dass die Domains in der Zwischenzeit wieder zurück gegeben wurden.)

Interessant ist hier aber: die Frage, ob solche Sperren bei Glücksspiel genutzt werden sollen, taucht eben in einem Fragenkatalog der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz auf. Diese ist beim Jugendmedienschutz-Staatsvertrag federführend. Wenn sie Sperren bei Glücksspiel (und damit im Glücksspiel-Staatsvertrag) in Erwägung ziehen, da wäre es auch sehr verwunderlich, wenn im Bereich des Jugendschutzes das gleiche Ministerium auf diese Maßnahme verzichten würde.

Deutlich ist: Eine Chinesisierung Sinisierung des Internets in Deutschland und Europa wird von vielen politischen Kräften vorangetrieben.

 

gluecksspiel-fragenkatalog--staatskanzlei-rlp.pdf


Aktuelle Kommentare

  • Timo: Hier ein interessanter Artikel über die SCHUFA und was sie weiter lesen
  • Pa: If your government (or company or school) blocks youtube site, weiter lesen
  • Egal: Noch ein Leak: Der Alvar hat auch ein Gutachten zur weiter lesen
  • Alvar: Zur Info: Nebenan habe ich unter http://blog.alvar-freude.de/2014/01/gutachten-vorratsdatenspeicherung.html ein technisches Gutachten weiter lesen
  • Robert L.: Ich finde das mit den rechtlichen Rahmenbedingungen gar nicht so weiter lesen
  • Anonym: ...genauer gesagt, war die auskunft der bahncard-kreditkarten-hotline, dass der verfügungsrahmen weiter lesen
  • tatata: die information stammt aus zwei telefonaten mit der commerzbank. ich weiter lesen
  • Alvar Freude: Hast Du nähere Infos darüber, dass die Bahn die Entscheidungen weiter lesen
  • tatata: das problem ist nicht die commerzbank. es ist die bahn. weiter lesen
  • Medyum: daß User auf Selbstzensur setzen, die wie Sie sicher wissen weiter lesen

Über dieses Archiv

Diese Seite enthält alle Einträge von ODEM.blog von neu nach alt.

März 2010 ist das vorherige Archiv.

Mai 2010 ist das nächste Archiv.

Aktuelle Einträge finden Sie auf der Startseite, alle Einträge in den Archiven.