Oktober 2009 Archive

Was erwartet man von einem Empfänger eines BigBrotherAwards? Demut, Entschuldigung und das Geloben von Besserung.

Wer so viel Kraft, Mut und Selbstkritik nicht aufbringt, schweigt lieber – so wie Ursula von der Leyen oder Wolfgang Schäuble.

Erwin Müller von der Geschäftsleitung der Müller Ltd. & Co. KG (das ist die Drogeriekette mit teilweise schon Kaufhaus-ähnlichen Läden) sieht sich als Eiche, benimmt sich aber wie ein Trampeltier. Als Antwort auf die Einladung zur Preisverleihung schrieb er dem FoeBuD:

Was schert es eine Eiche - wenn ein Borstenschwein sich an ihr schabt!

Das an sich wäre ja noch amüsant, wenn es nicht um die Privat- und Intimsphäre von den Angestelltem des Herrn Müller ginge, die ihm offensichtlich egal ist. Aus der Laudatio von Karin Schuler zum BigBrotherAward in der Kategorie Arbeitswelt:

Die Drogeriekette Müller will in der Sorge um die Gesundheit ihrer Mitarbeiter nicht nachstehen. Da sie ungünstigerweise wegen des Patientengeheimnisses keinen direkten Zugriff auf die Krankenakten ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat, legt sie eben selbst welche an. Und wer ist der beste Informant? Sie ahnen es schon: natürlich der Patient selbst. Wenn er nach überstandener Krankheit zurückkehrt, empfängt ihn die Personalabteilung mit dem so genannten „Rückkehrergespräch“. Aus Angst um den Arbeitsplatz widersetzt sich kaum jemand dieser als Fürsorge getarnten Ausforschung.

Der Herr Müller weiß aber offensichtlich eines nicht: das Borstenschwein bringt auch gelegentlich so manche Eiche zu Fall. Vor allem wenn es ein paar Freunde mitbringt und/oder die Eiche schon innen hohl ist.

 

Markus Beckedahl berichtete schon vor ein paar Tagen, dass das BKA aufgrund einer Klage am Verwaltungsgericht Wiesbaden keine Sperrlisten ausliefern wird. 

Am 16. Oktober wurden auch die Vertragspartner der Provider entsprechend informiert, mit einem weitgehend gleich lautenden Brief, der mir nun vorliegt (Scan vom Original als PDF):

Sehr geehrte Herren,

in Bezug auf die vorgesehene Zugangserschwerung zu kinderpornographischen Inhalten im Internet auf vertraglicher Grundlage hat das Bundesministerium des Innern im Lichte des derzeit vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden anhängigen Verfahrens und des durch eine drohende Negativentscheidung zu befürchtenden Schadens sowohl für die betroffenen Provider als auch für das BKA entschieden, auf vertraglicher Grundlage nicht in den Wirkbetrieb zu gehen.

Das Zugangserschwerungsgesetz liegt dem Bundespräsidenten zur Ausfertigung vor. Im Hinblick auf dessen Umsetzung bleibt der Ausgang der Koalitionsverhandlungen abzuwarten.

Wir bedanken uns für Ihr Verständnis und sehen einer Fortsetzung der bisherigen guten Kooperation entgegen.

 

Mit freundlichen Grüßen

Jörg Ziercke

 

beglaubigt

 

BKA-Schreiben-Aussetzung-Vertrag-2009-10-16.pdf

 

Damit bestätigt sich, dass die vertraglichen Blockaden erstmal nicht umgesetzt werden. Und es entfällt einer der wesentlichen Gründe, den die SPD für das Gesetz einbrachte. Was hatten wir Brigitte Zypries und der SPD noch gesagt? „Machen Sie sich mal um die Verträge keine Gedanken!“ Schade, haben sie doch.

Dass der „Wirkbetrieb“ nicht starten kann zeichnete sich schon länger ab. So hat das BKA den Providern noch gar keine technischen Details zur Übertragung der Sperrliste gegeben und einen entsprechenden Termin abgesagt.

So langsam zerbröselt da alles, und ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass das BKA sowieso keine Sperrlisten hat. Würde mich nicht wundern, wenn sie kaum einschlägiges und nach § 184b einzustufendes Material auf öffentlichen Webseiten finden, das sich nicht schnell entfernen lässt …

Das eigentliche Sperr-Gesetz ist zum Glück auch erstmal aufgeschoben, wenn auch nicht aufgehoben.

 

Im Folgenden der Volltext meiner Laudatio bei den Big Brother Awards 2009.

 

Der BigBrotherAward 2009 in der Kategorie „Politik“ geht an 

Dr. Ursula Gertrud von der Leyen, 
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. 

Sie hat innerhalb der letzten zwölf Monate ein System zur Inhaltskontrolle im Internet vorangetrieben, das zu einer Technik von orwellschen Ausmaßen heranwachsen kann. Dazu und für ihren persönlichen Wahlkampf benutzte sie das Leid sexuell missbrauchter Kinder, ohne tatsächlich irgendetwas gegen Missbrauch zu unternehmen.

Vorhin machte eine dpa-Meldung die Runde, dass es eine Einigung in den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und FDP im Bereich Innerer Sicherheit zustande kam. Spiegel Online titelte: „FDP stoppt Internetsperren“.

Fefe widersprach

Das liest sich jetzt wie ein großer Gewinn, aber wenn man mal kurz das Hirn anschaltet, wird man feststellen, dass sie das beides auch schon vorher gesagt haben. [...] Die Internetsperren waren eh nur für die Seiten gedacht, die das BKA nicht gelöscht kriegt.

[...]

Kurz gesagt: ich gehe erst mal von einer Nebelwerfer-Aktion der FDP-PR aus.

 

Auch Ravenhorst äußert sich ähnlich kritisch, ebenso netzpolitik.org.

Leider waren die Meldungen bei dpa und co. nicht sehr deutlich in der Hinsicht, man konnte da tatsächlich alles mögliche hineininterpretieren. Aber in der Zwischenzeit habe ich genauere Informationen zu dem, was im Koalitionsvertrag stehen wird, und das sieht nicht schlecht aus und ist wohl das beste, was rauszuholen war:

 

  • Es wird ein „Anwendungserlass“ geben, der besagt:
    • Das BKA darf keine Listen erstellen
    • Das BKA darf keine Sperrlisten weitergeben
  • Dies gilt für das Gesetz und die „freiwilligen“ Verträge der Provider
  • Das BKA soll dafür sorgen, dass die Inhalte gelöscht werden.
    • Dazu wird das BKA die Meldestellen von eco und/oder INHOPE einbinden
    • Also nicht nur auf eigene Faust bzw. über die träge internationale Polizeiarbeit handeln
  • Das ganze gilt für ein Jahr
  • Danach wird der Erfolg geprüft, quasi: wurden die Inhalte entfernt?
  • Wenn sich das Ganze als erfolgreich herausstellen wird, wird das Gesetz in einem Jahr abgeschafft
  • Das Wirtschaftsministerium hat ohne Absprache mit der (wahrscheinlichen) neuen Koalition das Gesetz an den Bundespräsidenten zur Ausfertigung weitergereicht; dieser wird es nun prüfen. Wenn er es unterzeichnet, wird es zwar formal in Kraft treten, aber aufgrund des Anwendungserlasses eben nicht angewendet.
    • Wenn er es aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken nicht unterzeichnet, dann ist das sowieso hinfällig.

 

 

Also: Es wird vorerst KEINE Internet-Sperren/Netzsperren/Internet-Zensur geben.

 

Ich denke, das ist nun ein toller Erfolg für uns alle, die sich auf vielfältige Art gegen Internet-Sperren und Internet-Zensur ausgesprochen haben. Ein Erfolg fürs Netz, an dem sehr viele einen Anteil haben.

Auf der politischen Ebene zeigt sich, dass man die Errichtung einer Internet-Zensur-Infrastruktur verhindern kann, ohne dass einen die Medien oder der Koalitionspartner als Kinderschänder oder Kinderschänder-Unterstützer diffammieren. Die SPD hat gekniffen. Die FDP hat gezeigt, dass ihr Bürgerrechte wichtig sind. Weiter so!

 

Aber: wir dürfen uns jetzt nicht ausruhen. Wir haben ein Jahr Zeit gewonnen, ein Jahr, in dem wir zeigen können, dass zur Bekämpfung von Kinderpornographie andere Methoden besser sind. Oder in dem eco und INHOPE dies zeigen können. Und ein Jahr Zeit, um die Etablierung einer Internet-Zensur-Infrastruktur dauerhaft zu verhindern. Da wird noch viel Überzeugungsarbeit notwendig sein, denn die Gegenseite, die vielen Lobbygruppen die sich eine Sperr-Infrasztruktur wünschen, werden nicht Däumchen drehen.

Also: weitermachen!

 

Nun hat es Wolfgang Schäuble zugegeben, wie die dpa berichtet: Die Internet-Sperren waren Wahlkampf-Show:

Der Minister gab handwerkliche Fehler beim sogenannten Zugangserschwerungsgesetz für Stoppschilder im Internet zu. Das Gesetz zum Schutz vor Kinderpornografie sei im Endspurt des Wahlkampfes auch deshalb entstanden, um die CDU gegenüber anderen Parteien abzusetzen. (Quelle)

Nun, eigentlich haben es sich wohl die meisten Mitglieder der „Internet-Community“ (was auch immer man sich darunter vorstellen mag) schon lange gedacht, schon lange gewusst. Und schon vor einem halben Jahr habe ich entsprechendes in der ersten Pressemeldung des AK Zensur erwähnt: es ist wirkungsloser Aktionismus zu Wahlkampf-Zeiten. Man kann auch sagen: Ursula von der Leyen und die CDU/CSU haben missbrauchte Kinder bewusst für ihren Wahlkampf benutzt und damit ein weiteres mal missbraucht.

Aber nicht nur das. Für ein bisschen Wahlkampf-Show haben sie einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, sie haben ihm eine Internet-Zensur-Infrastruktur versprochen und sich dafür einen Vorteil im Wahlkampf erhofft. Und die SPD ließ sich aus Angst davor, von der BILD-Zeitung in die Kinderschänder-Ecke gedrückt zu werden, von der Union über den Tisch ziehen. Denn: der Ehemann der CDU-Verhandlungsführerin Martina Krogmann ist stellvertretender Chefredakteur der Bild-Zeitung. 

 

Die Wahlkampf-Taktik hat häufig geklappt. Wenn die Chefin der Internet-Ausdrucker-und-wieder-Einscanner den Internet-Abstinenzlern etwas erzählt, dann glauben die es.

Und nun fordert der Teufel seinen Tribut: den Aufbau einer Internet-Zensur-Infrastruktur. Der Tribut wird aber nicht von den Verursachern gezahlt, sondern von uns, den Internet-Nutzern, und unseren Kindern, den zukünftigen Internet-Nutzern. Hoffen wir, dass der Unsinn noch in letzter Sekunde zu verhindern ist und der Teufel einen anderen Tribut kriegt: den Verlust der Glaubwürdigkeit von CDU/CSU. 

Frau Krogmann hat sie schon verloren. Denn vor ein paar Jahren, als sie noch die Internet-Expertin der Union war, wehrte sie sich vehement gegen die Internet-Sperr-Pläne von Jürgen Büssow:

Dass die Zensurgelüste überhand nehmen, findet auch Martina Krogmann, Internet-Beauftragte der CDU/CSU-Fraktion. Es sei bedenklich, dass immer mehr "Ahnunglose auf den Vorstoß eines Einzelnen aufspringen". (Quelle)

Die Internet-Beauftragte der CDU, Martina Krogmann, sprach dagegen von einem "eindrucksvollen Beispiel" dafür, wie man der Internationalisierung des Informationsaustauschs nicht begegnen sollte. In dem Fall würden Inkompetenz und eine zweifelhafte Gesetzesauslegung auf die Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts prallen: "Regierungsbezirk Düsseldorf contra Globalisierung." (Quelle)

 

Aber in Wahlkampfzeiten ist eben alles anders, wie Schäuble nun zugegeben hat. Da ist auch Krogmann auf den Wahlkampf-Zug von Familienministerin Ursula von der Leyen aufgesprungen. Danke für die Ehrlichkeit Herr Schäuble, aber Ehrlichkeit ist vor der Wahl gefragt, nicht danach.

 

Aktuelle Kommentare

  • Timo: Hier ein interessanter Artikel über die SCHUFA und was sie weiter lesen
  • Pa: If your government (or company or school) blocks youtube site, weiter lesen
  • Egal: Noch ein Leak: Der Alvar hat auch ein Gutachten zur weiter lesen
  • Alvar: Zur Info: Nebenan habe ich unter http://blog.alvar-freude.de/2014/01/gutachten-vorratsdatenspeicherung.html ein technisches Gutachten weiter lesen
  • Robert L.: Ich finde das mit den rechtlichen Rahmenbedingungen gar nicht so weiter lesen
  • Anonym: ...genauer gesagt, war die auskunft der bahncard-kreditkarten-hotline, dass der verfügungsrahmen weiter lesen
  • tatata: die information stammt aus zwei telefonaten mit der commerzbank. ich weiter lesen
  • Alvar Freude: Hast Du nähere Infos darüber, dass die Bahn die Entscheidungen weiter lesen
  • tatata: das problem ist nicht die commerzbank. es ist die bahn. weiter lesen
  • Medyum: daß User auf Selbstzensur setzen, die wie Sie sicher wissen weiter lesen

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