BMI-Interna zu Internet-Sperren

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Ein internes Dokument aus dem Innenministerium (Scan als PDF, unten als Text) zeigt, welch seltsames Rechtsverständnis in Schäubles Haus herrscht – und natürlich behandelt es noch nicht mal die tatsächlichen Probleme der geplanten Internet-Sperren.

Per anonymer Briefpost, ohne Absender und weitere Bemerkungen, erreichte mich am Mittwoch eine interne Stellungnahme des Bundesinnenministeriums, in der auch noch interessante Anmerkungen enthalten sind. Ich gehe davon aus, dass das Dokument echt ist.

Die Stellungnahme wurde von einem Dr. Stawowy vom Referat V I 3 (Grundrechte; Verfassungsstreitigkeiten) für das Referat ÖS I 3 (zuständig für Polizeiliches Informationswesen; Informationsarchitekturen Innere Sicherheit; BKA-Gesetz; Datenschutz im Sicherheitsbereich) erstellt und ist sehr aufschlussreich: 

Unwissenheit schützt vor Strafe nicht

So stellt der Autor des Dokuments die Frage nach einer „eindeutigen Aussage darüber, welche Daten im einzelnen durch wen verarbeitet werden“. Sprich: er weiß nicht, worum es überhaupt konkret geht. Gleichzeitig ist er sich aber sicher, dass eine beliebige Sperre in keinster Weise gegen das Fernmeldegeheimnis verstoße.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Online-Durchsuchung und die Schaffung des „Grundrechts auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“ deutet er kurzerhand so um, dass das Gericht behaupte, im „Internet insgesamt“ gelte erstmal nicht das Fernmeldegeheimnis. Dies gelte nur bei bestimmten Formen der Kommunikation – und daher würden Internet-Sperren grundsätzlich nicht gegen das Fernmeldegeheimnis verstoßen. Hier scheint mir doch ein Übermaß an Phantasie im Spiel zu sein. Denn gerade die gewünschten Sperren greifen ja offensichtlich in die vom Bundesverfassungsgericht geforderte „Vertraulichkeit und Integrität von informationstechnischen Systemen“ ein.

Die Rezipientenfreiheit

Und hier kommen wir auch schon zu einem interessanten Punkt. Denn meines Erachtens ist gar nicht das Fernmeldegeheimnis aus Artikel 10 GG die interessante Frage sondern die Informations- bzw. Rezipientenfreiheit aus Artikel 5. Es ist unstrittig, dass die Informationsfreiheit nur in eng begrenzten Sonderfällen eingeschränkt werden darf. Eine Sperrung von Webseiten wäre daher – wenn überhaupt! – nur als Ultima Ratio in wenigen begründeten Ausnahmefällen erlaubt. Das Familien- und Innenministerium möchten aber tausende von Webseiten mit angeblicher Kinderpornographie Sperren. Und Interessanterweise stehen die Server nahezu ausschließlich in Ländern, in denen die Verbreitung von Kinderpornographie verfolgt wird: Deutschland ist auf der finnischen Liste auf Platz drei, und auch ansonsten vorne mit dabei. Ultima Ratio?

Es ist kaum zu erwarten, dass das Bundesverfassungsgericht ein Internet-Sperr-Gesetz passieren ließe wenn herauskommt, dass die Filter-Befürworter nicht nurgrundlegende Fehler machen, sondern die Listen voll sind mit mehr oder minder unbedenklichen Webseiten und es ansonsten in (nahezu) allen Fällen problemlos möglich wäre, die Urheber der Inhalte zur Rechenschaft zu ziehen. Ist das der Grund, warum das Familienministerium die Provider zu einer „freiwilligen“ Lösung drängt und kein Gesetz erlassen will?

 

Lieber verschweigen

Aber zurück zur internen Stellungnahme des Innenministeriums:

In einer internen Notiz weist der Autor auf die Probleme der angedachten Verträge der Provider mit dem BKA in Zusammenhang mit § 58 Verwaltungsverfahrensgesetz hin, um dann gleich die Frage zu stellen, ob man diese nicht „lieber verschweigen“ solle (Seite 7 unten im PDF). Der Grund dies zu verschweigen ist klar: jeder Internet-Nutzer müsste demnach schriftlich der Sperre zustimmen:

 

§ 58 VwVfG

Zustimmung von Dritten und Behörden

(1) Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag, der in Rechte eines Dritten eingreift, wird erst wirksam, wenn der Dritte schriftlich zustimmt.

 

Es gibt also allen Grund, dies erstmal unter den Tisch kehren zu wollen ...

 

Ähnlich Aufschlussreich ist auch die Begründung, warum ein Grundrechtseingriff durch eine AGB-Änderung weggewischt werden würde: Wenn der Kunde einwilligt, gebe es ja gar keinen Grundrechtseingriff. Ach so! Hier ist dem Autor wohl entgangen, dass überraschende AGB-Klauseln unwirksam sind. Und es dürfte kein Zweifel daran bestehen, dass eine AGB-Klausel, die das Blockieren der Wikipedia, der W3C-Webseite, von Technik-Blogs oder von in Deutschland gehosteten Webseiten erlaubt, überraschend ist.

Auch die Wegzauberei von Grundrechtseingriffen findet sich in dem Dokument.

Gänzlich hanebüchen wird es aber, wenn der Mensch aus dem Innenministerium behauptet, die Weiterleitung aller gesperrten Zugriffe auf einen BKA-Server sei kein Grundrechtseingriff. Schließlich sei es ja Massenkommunikation und der Nutzer habe zugestimmt. Abgesehen von den juristischen Scharmützeln vergisst der Autor, dass es sich da um beliebige Zugriffe auf die betreffenden Webseiten handeln kann: Ob der Nutzer ein Formular abschickt, einen Text abruft, einen Web-Chat startet oder nur die Startseite ganz normal aufruft, ist im Vorfeld nicht kontrollierbar.

 

Volltext

Es folgt das ganze Dokument als Volltext; Der Text wurde mit OCR erstellt und manuell nachbearbeitet, es können also durchaus Fehler drin sein – im Zweifelsfall gilt das Original als PDF.

 

 

BMI - Referat V I 3

Berlin, den 17. Februar 2009
Hausruf: 45532

L:\Grundrechte\Grundrechtliche Einzelfragen\Innere Sicherheit\Sperrverfügungen\09-02-17 V I 3 Prüfauftrag Sperrung Internetseiten.doc

Betr.: Sperrungen von Internetseiten mit kinderpornographischem Inhalt

Zu den mir übermittelten Fragen nehme ich wie folgt Stellung:

I. Bei welcher Sperrtechnik ist der Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses aus Art. 10 GG berührt?

1. Grundsätzlich schützt Art. 10 GG nicht nur den Inhalt der Telekommunikation, sondern auch die näheren Umstände der Telekommunikation (BVerfGE 107, 299, 312, st. Rspr.). Dazu gehört insbesondere, ob, wann und wie oft zwischen welchen Personen oder Endeinrichtungen Telekommunikationsverkehr stattgefunden hat oder versucht worden ist. Daher kann grundsätzlich jede staatliche Kenntnisnahme von Daten, die einen Rückschluss auf eine von Art. GG geschützte Telekommunikation zulässt, ein Eingriff in Art. Abs. 1 GG darstellen.

Nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung greifen hoheitlich angeordnete Sperrverfügungen, die sich bestimmter Sperrtechnologien bedienen, daher in das Fernmeldegeheimnis der Nutzer aus Art. 10 Abs. 1 GG ein, soweit sie die vom Nutzer übermittelten Port-Nummern und analysieren (vgl. etwa Sieber/Nolde, Sperrverfügungen im Internet, Freiburg 2008, S. 79ff; noch weitergehend Frey/Rudolph, Rechtsgutachten zur Evaluierung des Haftungsregimes für Host- und Access-Provider im Bereich der 2008; eine Berufung der Access-Provider auf Art. 10 GG scheidet aus, vgl. Billmeier, Die Düsseldorfer Sperrungsverfügung, Berlin 2007, S. da die für die Übermittlung der genutzte Übermittlungseinrichtung nicht Träger des Grundrechts aus Art. 10 GG ist, Jarass, in: GG, Art. 10, Rn. der bisherigen Rechtsprechung zu Sperrverfügungen ist ein Eingriff in Art. 10 Abs. 1 GG dagegen bisher nicht angenommen worden; noch nicht einmal ansatzweise diskutiert worden, obgleich dort die Wahl der jeweiligen Sperrtechnik in das Belieben der Zugangsanbieter gestellt worden war.

 

Aus hiesiger Sicht berührt keine der derzeit diskutierten Sperrtechnologien den Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses aus Art. 10 GG. Während dies für das Sperrkriterium „Sperrung über das Domain System (DNS)“ zum Teil anerkannt wird Sperrverfügungen im Internet, Freiburg 2008, S. 85; dagegen Frey/Rudolph, Rechtsgutachten zur Evaluierung des Haftungsregimes für Host- und Access-Provider im Bereich der 2008, Rn. 168), weil die dort betroffenen Kommunikationspartner nicht in den Schutzbereich des Art. 10 GG einbezogen sind, gilt dies nach hiesiger Einschätzung auch für die beiden an- deren Sperrtechniken „Sperrung der Internet-Adresse und „Sperrung über den Uniform Ressource Identifier (URI)“.

2. Folgende Argumente sprechen dafür, den Schutzbereich des Artikels 10 GG bei keiner der oben aufgeführten Sperrtechniken anzunehmen: > Zum einen bedarf der Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses für den Be- reich des Internet einer differenzierten Betrachtung. Während für den Bereich der über die Dienste des Internet geführten Individualkommunikation weitgehend unstreitig der Schutzbereich des Art. 10 GG einschlägig ist (vgl. für die Überwachung eines Voice over BVerfG Urteil vom 27. Februar 2008, Rn. 190; a.A. aber offenbar Pagenkopf, in: Sachs, GG, Art. 10, Rn. 14 m.w.N.), ist dies für den Fall der Massekommunikation im Internet, wie etwa den Aufruf einer Website mit allgemein zugänglichen Informationen, unklar. derartigen Fällen fehlt es an einer Individualkommunikation zwischen zwei (o- der mehreren) Personen, es kommt lediglich zu einem Abruf von an die Allge- meinheit gerichteten Inhalten.

Zum Teil wird vertreten, auf die Differenzierung von Individual- und Massenkommunikation für den Bereich des Internet vollständig zu verzichten, da der Staat anderenfalls erst unter Umständen in 10 GG eingreifen müsste, um festzustellen, ob dieser einschlägig ist Sperrverfügungen im In- ternet, Freiburg 2008, S. 80f; Schmidt, in: GG, Art. 10, Rn. 43a).

Aus hiesiger Sicht sollte indes an der grundsätzlichen Unterscheidung zwischen Individual- und Massenkommunikation auch für den Bereich des Internet festgehalten werden (ebenso Löwer, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 10, Rn. 18; Groß, in: Friauf/Höfling, GG, Art. 10, Rn. 10, Rn. 19; Pagenkopf, in: Sachs, GG, Art. 10, Rn. 14a; Stern, Staatsrecht, IV, München 2006, S. 228; Badura, in: BK, GG, Art. 10 fordert einen „individuellen Kommunikationsvorgang“). Dem Schutz des Fernmeldegeheimnisses unterfällt nicht das World Wide Web an sich, sondern nur bestimmte Formen der Kommunikation darin (vgl. Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 10, Rn. 43). Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 27. Februar 2008 ausgeführt: „Die Gewährleistung des Telekommunikationsgeheimnisses nach Art. Abs. 1 GG schützt die unkörperliche Übermittlung von Informationen an individuelle Empfänger mit Hilfe des Telekommunikationsverkehrs“, Rn. 182, Hervorhebung durch den Unterzeichner). Das Bundesverfassungsgericht hat im Zusammenhang mit Artikel 10 GG regelmäßig den Personenbezug hervorgehoben (BVerfGE 348, 365: „In den Schutzbereich fällt auch die Erlangung der Kenntnis, ob, wann, wie oft und zwischen welchen Personen Telekommunikation stattgefunden hat oder versucht worden ist“; vgl. BVerfGE 67, 85, 396; 100, 358; 107, 299, und im Hinblick auf den Einsatz eines BVerfG Beschluss vom 22. August 2006). Es ist daher abzulehnen, dass Fernmeldegeheimnis auf alle telekommunikationstechnischen wege (und damit das Internet insgesamt) zu erstrecken, nur weil hierauf möglicherweise individuelle Kommunikationswege abgewickelt werden können. Wegen des engen Bezugs des Grundrechts zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht, sollte auch für den Bereich des Internets vielmehr daran festgehalten werden, dass Kommunikationsprozesse, die dem Bereich der Massenkommunikation, wie etwa der Abruf von öffentlich zugänglichen Webseiten, nicht unter den Schutzbereich des Art. GG fallen.

Auch das Argument, es würde anderenfalls unter Umständen in den Schutzbereich eingegriffen, um festzustellen, ob dieser betroffen ist, verfängt nicht. Das Bundesverfassungsgericht selbst unterscheidet in der Frage, ob Daten (noch) von Art. 10 Abs. 1 GG geschützt sind, danach, ob der Kommunikationsvorgang abgeschlossen ist (BVerfGE 166ff). Eine solche Feststellung wird sich aber oftmals erst nach einem Zugriff auf diese Daten feststellen lassen. Gleichwohl hat das Bundesverfassungsgericht davon abgesehen, diese Daten insgesamt und pauschal dem Schutz des Art. 10 Abs. 1 GG zu unterstellen. Auch hat es im Hinblick auf den Schutz des Kernbereichs der persönlichen gestaltung das Argument, es bedürfe, um festzustellen, ob dieser betroffen sei, bereits eines Eingriffs in diesen, gleichwohl davon abgesehen, die Maßnahmen der Wohnraumüberwachung insgesamt als unzulässig anzusehen (BVerfGE 109, 279ff, so aber ausdrücklich das Sondervotum der Richterinnen Jaeger und Hohmann-Dennhardt in BVerfGE 109, 382, 383).

Grundsätzlich ist daher auch für den Bereich des Internet zwischen Individual- und Massenkommunikation zu trennen. Fällen der Massenkommunikation dürfte es aber an dem speziellen Schutzbedürfnis für die Vertraulichkeit solcher Kommunikation fehlen (dies zugestehend Sieber/Nolde, Sperrverfügungen im Internet, Freiburg 2008, S. 80). Nur wo eine Unterscheidung technisch überhaupt nicht möglich ist, könnte auf dieses Differenzierungskriterium verzichtet werden (ebenso Löwer, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 10, Rn. 18). Es besteht indes kein Grund zur Annahme, dass dies der Fall ist.

Die Sperrtechniken sollen den Aufruf bestimmter öffentlich zugänglicher Webseiten mit kinderpornographischem Inhalt verhindern. Sie knüpfen damit nicht an einen von dem Nutzer ausgehenden Akt individueller Kommunikation und an einen Nachrichtenaustausch zwischen zwei Personen an, so dass für diese Fälle in Rahmen hoheitlicher Sperrverfügungen (s. dazu unter Ziffer 2) aus hiesiger Sicht der Schutz des Fernmeldegeheimnisses aus Art. 10 GG nicht einschlägig wäre. Die Verwendung der Daten des Abrufs solcher Seiten (sozusagen der „Trefferfall“) unterfällt nicht dem Schutzbereich des Artikel GG.

>>> Soweit es für die Durchführung der Sperrung bei einzelnen Sperrtechniken auch zur Verarbeitung von grundsätzlich dem Fernmeldegeheimnis aus Arti- kel 10 GG unterliegenden Daten aus individuellen Kommunikationsvorgängen kommt, etwa wie der Nutzung eines E-Mail-Dienstes über das World Wide Web (an sich „Nicht-Trefferfälle“, da nur der Zugang zu öffentlich zugänglichen Webseiten gesperrt werden soll), stellt sich im Hinblick auf diese Daten die Frage der Eingriffsqualität. Dabei ist zu beachten, dass sich die Schutzwirkung von Artikel 10 GG zwar grundsätzlich auf den gesamten Prozess der und Datenverarbeitung erstreckt. Artikel 10 GG kann seine Schutzwirkungen daher schon in einem frühen Stadium des technischen Übertragungsvorgangs entfalten. Nicht erst die staatliche Kenntnisnahme vom Inhalt der Kommunikation oder Kommunikationsumstände kann einen Eingriff in das Grundrecht darstellen, sondern schon die Erfassung der Daten selbst (BVerfGE 100, 313, 366). Auch jeder weitere Datenverarbeitungsprozess, der sich an die Kenntnisnahme von geschützten Kommunikati- onsvorgängen anschließt und in dem Gebrauch von den erlangten Kenntnissen gemacht wird, stellt ferner einen eigenständigen Eingriff in das durch Artikel 10 GG geschützte Grundrecht dar (BVerfGE 100, 313, 359; 33, 68f.; 113, 348, 365).

Eine Ausnahme hiervon ist aber anzunehmen, wenn Telekommunikationsvor- gänge ungezielt und allein technikbedingt zunächst miterfasst, aber unmittelbar nach der Signalaufbereitung technisch wieder spurenlos ausgesondert werden (BVerfGE 100, 313, 366; 107, 299, 328; ähnlich zur Erfassung von durch Artikel 2 Abs. 1 i. V. Artikel 1 Abs. 1 GG geschützten Daten: BVerfGE 320, 343f - Rasterfahndung; BVerfG Urteil vom 11. März 2008, Rn. 68 - Automatisierte Kennzeichenerfassung; ebenso Landes- verfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil vom 27. November 2008, NordÖR 2009, 20, 21). Das Bundesverfassungsgericht hat damit für bestimmte Fallgestaltungen anerkannt, dass es hinsichtlich solcher Datenverarbeitungsvorgänge an einem Grundrechtseingriff fehlt.

Auf die Frage eines Eingriff in Artikel 10 GG durch bestimmte Sperrtechniken übertragen bedeut dies, dass hinsichtlich von solchen Daten, bei denen ein Individualkommunikationsbezug gegeben ist, derartige Daten lediglich kurzzeitig automatisiert erfasst, als „Nichttreffer“ indes aber nicht weiter verarbeitet, sondern im normalen Geschäftsablauf verbleiben beziehungsweise wieder gelöscht werden. Keine der Sperrtechniken erfordert eine Erhebung von Daten, die nicht ohnehin beim Geschäftsbetrieb der Zugangsanbieter anfallen. [Das könnte BKA uU noch näher ausführen. Auch wäre eine eindeutige Aussage darüber, welche Daten im einzelnen durch wen verarbeitet werden, wenn die Zugangsvermittlung durchgeführt werden. Die Aussage der DT AG war hier war unklar. Handelt es sich um Verkehrsdaten oder Nutungsdaten nach dem TMG? Welche Rechtsvorschriften erlauben bereits jetzt eine Erhebung und Nutzung der Daten?]

>>> der bloßen Verhinderung des Zugangs zu einer bestimmten Information, etwa der Seite mit kinderpornographischem Inhalt, liegt nach einhelliger Auf- fassung ohnehin kein Eingriff in Art. Abs. 1 GG in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 10, Rn. 12 Degen, Freiwillige Selbstkontrolle der Access- Provider, Stuttgart 2007, 289, der aus dem Grunde generell einen Eingriff in Art. 10 GG verneint).

Nach alledem ist durch keine aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme genutzten Sperrtechniken ein Eingriff in Art. 10 GG zu sehen.

II. Entfällt ein Eingriff in das Fernmeldegeheimnis aus Art. 10 GG, wenn eine Zustimmung des Kunden vorliegt?

1. Unabhängig von der Frage, ob und durch welche der möglichen Sperrtechnologien der Schutzbereich des Art. 10 GG berührt wird, ist festzustellen, dass, sofern es zu einer Sperrung auf der Grundlage eines öffentlich-rechtlichen Vertrages zwischen dem Zugangsanbieter und dem Bundeskriminalamt kommt, es bereits an einem hoheitlichen Eingriff fehlt. Ein Eingriff in das Fernmeldegeheimnis liegt nur dann vor, wenn sich staatliche Stellen ohne Zustimmung der Beteiligten Kenntnis von dem Inhalt oder den Umständen eines Fernmeldetechnisch vermittelten Kommunikationsvorgangs verschaffen, die so erlangten Informationen speichern, verwerten oder weitergeben (Hermes, in: Dreier, GG, Art. 10, Rn. 53). Es muss ich um eine Kenntnisnahme durch den Staat handeln (vgl. BVerfGE 348, 364; 106, 28, 37; 100, 313, 366; 85, 386, 398; Bizer, in: AK GG, Art. 10 Rn. 69a). Ein solcher Eingriff liegt erkennbar nicht vor.

2. Allenfalls wäre daran zu denken, in der Durchführung einer Sperrmaßnahme auf der Grundlage eines öffentlich-rechtlichen Vertrages mit dem Bundeskriminalamt einen mittelbaren Eingriff zu sehen. Während der herkömmliche Grundrechtseingriff in imperativer Form, also durch Gesetz, Verordnung, Satzung oder Verwaltungsakt, erfolgt, ist der Begriff des mittelbaren Grundrechtseingriffs ist weitgehend unscharf. Einigkeit dürfte aber darin bestehen, zwar auch faktische oder mittelbare Grundrechtseingriffe möglich sind (vgl. BVerfGE 105, 252, 273), für die Annahme eines solchen Eingriffs allerdings besondere Voraussetzungen zu fordern sind, da letztlich jegliches staatliches Handeln Auswirkungen auf grundrechtlich geschützte Positionen haben kann. Ein mittelbarer Eingriff kann daher nur angenommen werden, wenn die beanstandete Maßnahme die belastenden Wirkung bezweckt (BVerwGE 71, 183, 193f; 90 112, 121f) oder eine besondere Schwere der Belastung vorliegt (Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1, Rn. 29). Ferner kann von Bedeutung sein, ob die Beeinträchtigung Ausdruck der Gefahr ist, vor der das betreffende Grundrecht schützen soll (BVerwGE 71, 183, 192).

Nach diesen Anforderungen wäre in dem Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages durch das Bundeskriminalamt auch kein mittelbarer Eingriff in Art. 10 GG zu sehen, unabhängig von der Frage, ob der Schutzbereich überhaupt betroffen ist (s. oben I.). Eine besondere Schwere kann dem Eingriff nicht attestiert werden, insbesondere nicht im Hinblick auf die „Nicht-Trefferfälle“. Zudem gilt es zu bedenken, dass ein (nach der hier vertreten Auffassung abzulehnender) Eingriff in das Fernmeldegeheimnis der Kunden erst eine Folgewirkung des öffentlich-rechtlichen Vertrages wäre, nicht aber unmittelbar Vertragsgegenstand (vgl. § 2 Abs. 1 des Entwurfs, wonach etwaig notwendige Änderungen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen erst noch vorzunehmen sind (vgl. Frenz, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, Tübingen 2001, S. 275ff). [Frage an ÖS I 3: Ist § 58 VwVfG problematisiert worden? Sollen wir uns hierzu lieber verschweigen? Frenz, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, Tübingen 2001, S. lehnt deshalb auch § 58 VwVfG für solche Fälle ab.]

3. Davon zu trennen ist die Frage, ob hier nicht die objektiv-rechtliche Schutzwirkung des Artikels 10 GG verletzt sein könnte. Artikel GG enthält insoweit ei- nen Schutzauftrag an den Staat, auch Eingriffen Dritter in das Fernmeldegeheimnis entgegenzutreten. Einfachgesetzlich hat dies seinen Niederschlag in der Regelung des § 88 Absatz 1 des Telekommunikationsgesetzes gefunden (BVerfGE 106, 28, 34), der in seinem Anwendungsbereich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Fernmeldegeheimnis entspricht (Schmidt, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 10, Rn. 69). [Hier wäre der Beitrag des BMWi einzusetzen, der, wenn man konsequent sein will, den Umfang des Schutzes aus Art. 88 TKG an den obigen Ausführungen orientieren müsste.]

4. Nähme man gleichwohl einen staatlichen Eingriff in Artikel GG an, könnte dieser durch eine Einwilligung des Kunden wieder entfallen. Der Schutz des Fernmeldegeheimnis ist verzichtbar (Schmidt, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 10, Rn. 71a m.w.N.). Liegt eine Einwilligung in die Verletzung des Fernmeldegeheimnisses durch staatliche Stellen vor, entfällt daher die Annahme eines Eingriffs in Art. 10 GG (vgl. BVerfGE 85, 386, 398; BVerwG Beschluss vom 10. August 1981, NJW 1982, 840; Groß, in: GG, Art. 10, Rn. 10, Rn. 30; Löwer, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 10, Rn. 7, wobei die hier nicht weiter relevante Frage streitig ist, ob hierfür die Zustimmung eines der Kommunikationsteilnehmer ausreicht). Voraussetzung ist allerdings, dass die Einwilligung ausreichend konkret sein muss (Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1, Rn. 36, sie kann grundsätzlich konkludent erteilt werden, vgl. BVerfGE 106, 28, 44f; BVerfG Beschluss vom 2. April 2003, NJW 2003, 2375) und freiwillig erfolgt (Dreier, in: Dreier, GG; Vorb., Rn. 131). Letzteres dürfte dann nicht vorliegen, wenn eine Täuschung, Drohung oder Zwang ausgeübt wird (Sachs, in: Sachs, GG, Vor Art. 1, Rn. 56).

Eine ausdrückliche Regelung in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen dürfte den an eine Einwilligung zu stellenden Anforderungen gerecht werden, wobei es indes nach der hier vertretenen Auffassung nicht darauf ankommt, da es bereits an einem Eingriff in Art. GG fehlt.

III. Wie wäre der Betrieb einer STOP-Seite beim BKA zu beurteilen?

1. Beim Versuch des Abrufs einer gesperrten Seite soll diese Anfrage an das Bundeskriminalamt weitergeleitet werden und dem Nutzer von dort dann eine STOP-Seite übermittelt werden. Dabei dürfte es wohl zumindest zu einer Weiterleitung der des anfragenden Rechners kommen.

Nach den obigen Ausführungen werden derartige Weiterleitungen nur in Fällen der Massenkommunikation, nämlich des Abrufs einer Webseite kommen, erfolgen, die nicht dem Schutz des Artikel 10 GG unterfallen. Selbst im Fall einer hoheitlich angeordneten Sperrverfügung und gesetzlich verankerten Pflicht zur Weiterleitung der Anfrage an das Bundeskriminalamt wäre dies nach hiesiger Auffassung kein Eingriff in Art. 10 GG (s. unter I.).

2. Bei der Angabe der des anfragenden Rechners dürfte es sich indes um personenbezogenes Datum handeln, dass dem Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 Art. 1 Abs. 1 GG unterfällt. Auch wenn ein Eingriff mangels hoheitlichen Handelns beziehungsweise aufgrund der Einwilligung des Nutzers zu verneinen ist (s. unter I.), dürfte für eine solche Weitergabe eine einfachgesetzliche Regelung erforderlich sein. Dabei dürfte zu beachten sein, dass bereits heute Zugangsprovider bei technischen Schwierigkeiten mit dem Abruf einer bestimmten Webseite Seiten mit einem entsprechenden Hinweis anzeigen. [Hier müsste noch der Beitrag des BMWi eingefügt werden.]

 

Dr. Stawowy

 

Update: Thomas Stadler hat noch eine rechtliche Ergänzung

Hinweis an BKA und BMI: Bevor hier jemand den Cicero spielen will: ich habe keine Ahnung von wem das Dokument stammt, und es ist noch nicht mal irgendwas als vertraulich oder VS - nur für den Dienstgebrauch o.ä. gekennzeichnet.

 

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5 Kommentare

Hochinteressant, danke für die Publikation.

Das "Grundsätzlich" eines Juristen unterscheidet sich allerdings doch erheblich vom "Grundsätzlich" im allgemeinen Sprachgebrauch. Wenn der Jurist "grundsätzlich" sagt, dann meint er das im Sinne von "erstmal generell gesprochen" und "es gibt Ausnahmen". Insofern ist das hier also ein Rechtsgutachten, das einräumt, dass an vielen Stellen juristisch umstrittene Schlüsse gezogen werden.

Die Sache mit dem §58 VwVfG ist ja wirklich witzig in diesem Zusammenhang. Aber der ist im Zweifel ruck-zuck um ein "soweit vom Umfang nicht unangemessen" ergänzt, ohne dass es groß bemerkt wird.

vorsichtsmassnahme wegen faschistoiden diktaturtendenzen in deutschland.

dieser blogbeitrag sowie das bmi dokument auf stealthnet:

stealthnet://?hash=BFB618595F78708C79E45F090070A867FE19B0B312E73C18710BB438BF7DC90116AFD68FAD9680EB25EB53638CF6E764A1804C0170270EB0C3058018329BB0EB&name=bmi-stellungnahme-gg10-bild__blog-odem-org__odem-blog.pdf&size=1065131

stealthnet://?hash=09C0D6E8F3B3C1BE77AAF4E31F2DFD85D83CDB9A3DEEA5B4996B8E5D85F198623B580D83870881AA7E1E0BEB9E28848CF13DDF464B73CE1B82D0930F9489B675&name=BMI-Interna+zu+Internet-Sperren+-+2009-03-12+-+blog.odem.org+-+odem.blog.pdf&size=148973


Wie will man denn "Massenkommunikation" und die gesetzlich geschützte Individualkommunikation im Internet unterscheiden, bevor man sich die Kommunikation angeschaut hat? Weder Portnummern noch URLs sagen etwas über die Art Kommunikation aus, und schon gar nichts über ihre Intention.

Zum §58 VwVfG: Das konnte man im DSB-Blog schon vor Wochen lesen, dort Punkt 7:

http://www.datenschutzbeauftragter-online.de/ccc-publiziert-bka-vertrag-zur-sperrung-von-kipo/

Ist also nichts neues und war vorhersehbar.

Ja, aber es war bisher nicht bekannt, dass das BMI das intern auch schon mitgekriegt hat aber lieber verschweigen will.

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