Das Gejammere über Google Street View ist ja angesichts der tatsächlichen und tiefgreifenden Eingriffe in die Privatsphäre der Bürger durch Staat und Unternehmen nicht nur scheinheilig sondern beschämend. Besonders dummdreist wird es aber, wenn sich die Bürger für die Zeitung vor ihrem Haus Fotografieren und unter dem Bild mit Name nennen lassen. Das steht nicht nur in der gedruckten Zeitung und im Archiv, sondern heutzutage auch im Internet: Und nun sind sie mit ihrem Namen für Immer im Netz auffindbar, Haus inklusive. Zum Beispiel über Google und über Bing. Bei Google Streetview wären sie nicht zu finden, das ist letztendlich nur eine erweiterte Landkarte.
Den älteren Herrschaften kann man eher wenig Vorwürfe machen, schließlich ist zu vermuten, dass sie kein Internet haben, gar nicht wissen um was es geht und von der Qualitätsjournalistin entsprechend instruiert wurden. Daher geht der Vorwurf auch an Jennifer Koch und ihren Leitenden Redakteur bei der Rheinischen Post. Von einer Journalistin, die über ein Thema recherchiert, erwarte ich, dass sie sich nach der Recherche zumindest rudimentär auskennt und ihre Interviewpartner nicht (unbewusst) zum Deppen macht. Denn der eigentliche „Depp“ ist Jennifer Koch mit ihrer eigenen Unkenntnis – dass sie ihre Gesprächspartner absichtlich reinreitet glaube ich nicht. Die spannende Frage ist zudem, was ihr Redaktionsleiter wohl dazu sagen würde, wenn er einen Artikel nicht mehr mit Haus-Fotos bebildern dürfte?
Die Aufregung um Google Streetview ist lächerlich. Ilse Aigner und Teile des politischen Berlins versuchen damit von den eigenen Datenschutz-Verfehlungen abzulenken sowie im Sommerloch populistisch zu punkten – und sind bereit, die Panoramafreiheit für die eigene Show zu opfern. Wenn Frau Aigner wirklich etwas für Datenschutz tun wöllte, dann würde sie sich darüber Gedanken machen, dass Scoring-Firmen eine Einstufung der Bürger anhand der Wohngegend vornehmen. Das greift viel tiefer in die Privatsphäre der Bürger ein, aber da geht es ja nicht um einen bösen ausländischen Konzern.
(siehe auch: Fefe, Schreibblockade, Spiegel Online, Zeit Online)
Update: Inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema unter anderem hier:
- Stephan Dörner kritisiert ebenfalls in der Rheinischen Post Online „Das falsche Feindbild“ Google Street View
- Kai Biermann beschreibt in der Zeit Online „Wie ich lernte, Street View zu lieben“
- Julia Seeliger in der taz: „Ein Grund zur Freude“
- Das BILD-Blog beschreibt „Die schlechtesten Gründe gegen Street View“
- Und bei „siehe auch“ schon erwähnt:
- Thomas Darnstädt beschreibt bei Spiegel Online die „Lächerliche Angst vom Bösen Blick“
- Tom Orgel sagt: „Verarschen können wir uns alleine“
- Tina Klopp kritisiert in der Zeit Online „Unsoziale Datenschützer“
Update: auch die Heilbronner Stimme blamiert ihre Leser
Auch in der Heilbronner Stimme ist das Thema angekommen, und deren Qualitätsjournalisten Carsten Friese und Constanze Koppenhöfer sorgen dafür, dass ihre Leser namentlich im Internet suchbar sind und aussagen, dass sie nicht im Internet stehen wollen.
„Man muss nicht immer gläserner werden.“ zitieren Friese und Koppenhöfer den Hausbesitzer, aber bilden ihn mitsamt Name, Haus und Gesicht in der Zeitung ab. Und natürlich online, damit er auch mittels Suchmaschinen gefunden werden kann.
Scheinheilige Aufregung überall.
Immerhin kann man den beiden HSt-Journalisten zu gute halten, dass sie auch Befürworter zu Wort kommen lassen und sich unter dem Strich selbst nicht übermäßig gegen Street View aussprechen. Vielleicht ist es ja auch nur eine Satire gegenüber den Gegnern, von denen man sich gut vorstellen kann, dass sie nun ganz stolz die Zeitung zu Hause aufhängen: „Da schau mal Ilse, ich bin in der Zeitung!“
Alvar, Du hast genau das geschrieben, was ich spontan beim Lesen des RP-Artikels gedacht habe. LachTot.
Genau das ist es, lächerlich die Aufregung um Street View. Es ist doch nichts anderes als eine Straßenkarte - einfach nur aus einer anderen Perspektive. Demnächst heißt es bei der Standrundfahrt: "Bitte setzen Sie nun die Blicksicheren Brillen auf - Wie Sie nun vor ihnen sehen Sie gar nichts.
Hallo zusammen!
Dem mittleren Absatz kann ich nicht zustimmen. Ich bin der Ansicht, dass hier die Blö... ääh, Blindheit der Interviewten im Vordergrund steht. Wenn ich zu dem Thema das Maul aufreißen will -- egal, ob ich mich jetzt selbst gemeldet habe oder gefragt wurde --, dann informiere ich mich doch erstmal, oder? Ich finde, in dem Fall sind die Betroffenen selbst schuld, dass sie sich jetzt zum Affen machen. Schade nur, dass sie es nicht verstehen werden.
Ansonsten: Super Artikel. Ich bin mal gespannt, wie viele Leute sich jetzt letztlich fürs Einsprucherheben melden.
LG,
Ace
"...gegen die Veröffentlichung ihrer Häuser und Wohnungen im Internet Einspruch einzulegen."
Auch Wohnungen? Ach ja, da war ja was...
"Sonneborn - google home view": http://www.youtube.com/watch?v=OMFBuHsKXb0
"Ich bin gar nicht dagegen, dass man das Haus im Internet sieht, aber ich bin dagegen, dass andere mit meinem Eigentum Geld verdienen"
Google will auch Häuser verkaufen!? Recht am eigenen Bild gibt es, aber damit ist wohl eher nicht das Bild vom eigenen Haus gemeint.
Frau Koch war für ein Satiremagazin im Einsatz, RP ONLINE hat das aber zum Glück nicht bemerkt. :O)
Das Argument der ältere Herrschaften "Ich sehe gar nicht ein, dass jemand ohne mein Einverständnis mein Haus fotografiert." wäre einfach zu kontern mit der Gegenfrage "Darf ich mal Ihre Urlaubsfotos sehen? Und die Genehmigungen aller Hausbesitzer, deren Domizile auf den Bildern zu sehen sind?".
Dass die simplifizierenden Medien so tun, als sei das Abbilden fremder Häuser verboten, ist wahrlich absurd, denn gegen ein solches vermeintliches Verbot verstoßen sie doch täglich, sie sollten also von Glück sagen, dass es nicht existiert, und aufpassen, es nicht herbeizureden.
Problematisch wird das Ganze erst durch Datenbankenverknüpfungen. Wenn jeder, den ich nur flüchtig online kenne, sofort anhand des Pflichtimpressums meiner Homepage und per StreetView nachsehen kann, wie (statt nur wo) ich wohne, ändert das schon etwas. (Das gilt allerdings auch für andere Dienste dieser Art, die teilweise schon länger existieren.) Das Haus wird dadurch zu einem Statussymbol, das man immer dabei hat, weil jeder gleich per Smartphone nachsehen kann, wie der neue Geschäftskontakt oder Bekannte wohnt. Ein feiner Anzug oder ein teures Auto reichen nicht mehr. ;) Es wird aber nicht nur schwerer, mehr zu gelten, sondern umgekehrt auch, seinen Reichtum zu verbergen.
Ähnliche Problematiken werden uns in Zukunft noch häufiger beschäftigen, weshalb eine seriöse und grundsätzliche Diskussion besser wäre als das in Medien und Politik derzeitig praktizierte Sommerlochtheater.
Schon in wenigen Jahren wird ein Handyschnappschuss ausreichen, um per Gesichtserkennung alle weiteren Fotos anzeigen zu lassen, die von dieser Person im Internet existieren. Von dort zum Namen der Person zu kommen und seiner Adresse, ist ein kurzer Weg.
Es wird den Alltag verändern, wenn man nicht mehr als "ein Mensch" durch die Innenstadt, auf die Demo oder zum Konzert geht, sondern als eine von jedermann identifizierbare Person, von der man dann sogar weiß, wie sie wohnt, ohne erst dorthin fahren zu müssen.
Wenn ich das richtig verstehe, stehen doch die meisten Häuser den öffentlichen Blicken schutzlos ausgesetzt in der Öffentlichkeit herum. Sollte man da nicht eine Facebookgruppe "Schützt die armen Häuser vor öffentlichen Blicken" gründen? ;-)
Hoffentlich nutzen sich die Hausfassaden nicht durch die ganzen Blicke der Öffentlichkeit vorschnell ab. Das würde eine wahre Flutwelle von KfW-Krediten für Fassadenerneuerung nach sich ziehen.
Aber ich sehe - nach den 3D-Brillen für sonst schon total abgeschlaffte Kinogänger - auch gute Marktchancen für die neuen NoHouse-Brillen, die man sich in der Öffentlichkeit aufsetzen kann, um keine fremden Häuser mehr zu sehen. Das strafbewehrte "Gesetz zur Vermeidung öffentlicher Blicke auf Häuser in der Öffentlichkeit" (VöBaHidÖGes) wird sicher schon bald von der FDP (Fast Drei Prozent) in 1. Lesung im Bundestag eingebracht werden.
O temporae, o mores.
Welcher offensichtliche Unterschied zwischen persönlichen Urlaubfotos und Google Street View wurde hier klamm heimlich verschwiegen um die Analogie sinnvoll klingen zu lassen?
Richtig: Das eine ist ein öffentlicher Dienst den jedermann jederzeit einsehen kann und das andere ist ein privater Hort und abgelichteten Urlaubserinnerungen.
Wie bei vielen Dingen im Leben muss zwischen einem persönlichen und allgemeinen Gebrauch differenziert werden. Eben das geschieht nicht.
Natürlich ist es scheinheilig über die anderen Übertretungen hinweg zu sehen, doch dieses Argument im Umkehrschluss zu nutzen um die Behauptung das sei doch alles in Ordnung und die Kritiker seien entweder nur alte Leute die es nicht besser wissen und solche, die auf einen durch Boulevardjournalismuszug aufsprangen und nicht selbst denken wollen, ist nicht nur dreist sondern auch unglaublich ignorant.
Privatsphäre als hart erkämpftes Grundrecht nicht unreflektiert aufgeben zu wollen und dazu auch das katalogisierte Abbild des eigenen Haus samt Photos aller Umstände um das Haus bzw. die Wohnung zu zählen, ist meiner Meinung nach ein gut argumentierbarer Standpunkt.
Diese Argumente als seichten Boulevardjournalismus oder Alte Leute Geschwätz abzutun ist der falsche Weg.
Kritik ist angebracht aber generell alles wegzuwischen was nicht der eigenen Meinung entspricht nicht.
Schade, dass angeblich sich für Bürgerrechte einsetzende Menschen so unreflektiert über SV schreiben. Auch die links sind so einseitig, dass hier keine objektive Meinungsbildung geschehen kann. Deshalb nur zwei entscheidende Gründe gegen SV: 1. Das Spielzeug streetview hat einen marginalen Nutzen für den privaten Nutzer. 2. Die angebliche Öffentlichkeit (ja, das steht durchaus zur Diskussion - sowohl die Panoramafreiheit an sich, als auch ob SV dadurch gedeckt ist) wird durch ein privates Unternehmen privatisiert. Also werden wir alle beraubt - spätestens, wenn der Dienst konstenpflichtig wird. Ansonsten verweise ich auf fixmbr.de für die, die auch gerne mal über den Tellerrand gucken.