Es wird ja immer wieder gerne auf das ach so böse anonyme Internet geschimpft. Die Urheberrechtsindustrie ist da besonders fleißig, nach ihren Wünschen soll jeder, der irgendetwas im Internet schreibt oder irgendwo hochlädt, mit Name und Anschrift bekannt sein. Auf dem JMStV-Camp wurde dieses Modell von Musikindustrie-Lobbyisten auch für den Jugendschutz empfohlen, aber vor allem sind die Lobbyisten im politischen Berlin aktiv. Ob sie auch beim ehemaligen Kulturstaatsminister Michael Naumann vorsprachen? Ich weiß es nicht. Aber: Naumann meint, der arme Bundespräsident Christian Wulff werde von anonymen Autoren im Internet verunglimpft – und es werde Zeit, diese Ruchlosigkeit bald zu beenden. All das mündet im Grunde in einer mal mehr oder weniger klar artikulierten Forderung: Kommunikation und Meinungsäußerung im Internet nur noch gegen eindeutige Authentifizierung. Im Ergebnis wäre das weit schlimmer als das, was in den feuchtesten Träumen der Vorratsdatenspeicherungs-Befürworter vorkommt.
Doch wer Naumanns Äußerungen näher betrachtet, erkennt vor allem eins: Wer das Internet nur vom Hörensagen kennt und nicht einmal in der Lage ist, rudimentär zu recherchieren, sollte vielleicht lieber die Klappe halten.
Mittlerweile ist Michael Naumann Chefredakteur von Cicero. Was er uns da auftischt, ist ziemlich starker Tobak:
In der Zwischenzeit blühen infame Internet-Spekulationen über das Privatleben des Präsidenten. Sowohl der SPIEGEL als auch BILD haben ihre diesbezüglichen Recherchen im Raum Hannover eingestellt. Das ehrt sie. Doch die zweite Blogger-Welt des Internets ist – cum grano salis – keiner ethischen, politischen oder auch nur halbwegs journalistischen Kontrolle unterstellt. Man kann es auch anders deuten: Der berühmte „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ beschert nicht nur den Parteien ein neues Kommunikations-Milieu, das schwer zu ignorieren ist. Oft genug gehen im diesem Milieu anonyme Verantwortungslosigkeit Hand in Hand mit einer denunziatorischer (sic!) Ruchlosigkeit, die den Kinderjahren der Massenpresse vor mehr als einem Jahrhundert entspricht und dem die Parteien und ihre Repräsentanten wehrlos gegenüberstehen.
Diese unethischen anonymen Blogger sind mir vor der Lektüre seines Artikels ehrlich gesagt entgangen, in der Zwischenzeit scheint dies allerdings immer breitere Kreise zu ziehen. Aber: namentliche Verantwortungslosigkeit und Unkenntnis, wie sie Naumann schon einmal gezeigt hat, sind – wenn sie besserwisserisch daher kommen – noch viel schlimmer. Wie war das mit der Recherchefähigkeit von Journalisten?
Vielleicht kennt er das alles selbst nicht und schreibt nur vom Hörensagen. Der Kollege ist da gerne behilflich, ist aber selbst nicht viel kompetenter: Christoph Seils, der Ressortleiter Online von Cicero, hat schon am 23. Dezember über Wulff und das Internet geschrieben: „Das Netz als Gosse“. Die traditionellen Medien hätten sich bei der Berichterstattung über Wulff weitgehend „an die journalistischen Regeln, die für eine demokratische Gesellschaft existenziell sind, gehalten“. Aber:
Nur im Internet scheinen diese Regeln nicht zu gelten. Dort kursieren über Christian Wulff und seine Freunde, sein Privatvermögen und über sein Privatleben die wildesten Gerüchte und Viertelwahrheiten. Nichts ist bewiesen, manches erstunken und erlogen. Einige anonyme Blogger kennen dabei kein Tabu mehr, für sie scheinen weder die Regeln des Anstands noch das Presserecht zu gelten. Es gibt für die Betroffenen kaum Möglichkeiten, dagegen juristisch vorzugehen – und keinen Presserat, der mahnend seine Finger heben könnte. Der Bundespräsident steht dem völlig hilflos gegenüber.
Ich kannte sie vor der Recherche für diesen Artikel nicht, die wildesten Gerüchte und Viertelwahrheiten, die Seils meint. Er vermeidet es auch, bei der Einordnung zu helfen: Anders als es unter Bloggern üblich ist, belegt er seine Behauptungen nicht. Hat er ja nicht nötig, er ist ja schließlich Journalist, und da zur absoluten Wahrheit verpflichtet. Aber: dass er in der Kernkompetenz guter Journalisten und seiner selbstauferlegten Pflicht – der Recherche und der Wahrheit – gnadenlos scheitert, zeigt Seils mehrfach deutlich.
Mit den „Gerüchten über das Privatleben“ von Christian Wulff scheint er jenes Gerücht zu meinen, seine Frau Bettina Wulff habe nicht nur „Partyqualitäten“ (Gala), sondern hätte früher auch als Prostituierte in diversen Clubs gearbeitet. Hat sie das? Ich weiß es nicht – und es ist mir auch herzlich egal. Beweise oder eindeutige Hinweise gibt es bisher nicht, daher klingt das unter dem Strich nicht wirklich glaubwürdig. Stichwörter für die Eigenrecherche: Victoria, Bettina Körner, Artemis, Château Schwanensee, Chateau Club. Na ja.
Aber: anders als Christoph Seils behauptet, kommen diese Gerüchte nicht aus anonymen Quellen, gegen die man nicht vorgehen kann: einer der lautesten Schreihälse für diese Behauptung ist die Webseite „rentner-news.de“ von Uwe E. Die Seite ist ein mit Anzeigen vollgekleistertes Gebilde, dessen Hauptziel das Anlocken von Klickvieh zu sein scheint. Aber wie der Laie schon sieht, lautet schon die Top-Level-Domain .de. Sollte es ein Journalist tatsächlich nicht wissen, so kann er leicht recherchieren, dass .de-Domains grundsätzlich nicht anonym zu haben sind. Man kann problemlos gegen den Verantwortlichen vorgehen. Aber selbst wer nicht in der Lage ist dies zu recherchieren, sollte den Link „Impressum“ auf der Webseite finden. Das gleiche gilt für andere vom gleichen Autor gefüllte Webseiten.
Aber schon im Juni 2010, vor Wulffs Wahl zum Bundespräsidenten, gab es – ebenfalls auf einer .de-Domain und mit Impressum, also alles andere als anonym – entsprechende Gerüchte: „Kommt Deutschlands neue First Lady aus dem Rotlichtmilieu?“ lautete die Frage. Dass irgendwann diverse Spammer und Möchtegern-SEOs daherkommen und etwas wittern, was viele Klicks bringen könnte … nunja: darauf sollte man als Profi nicht reinfallen, denn das ist das, was diese Typen wollen.
Auch die Realität widerlegt Seils Behauptung, man könne nicht (juristisch) gegen irgendwelche Verleumdungen, Beleidigungen oder anderweitig unerwünschten Inhalte im Internet vorgehen: Bereits 2010 zeigte Wulff selbst einen 45-jährigen aus Zittau an: wegen Verunglimpfung des Bundespräsidenten. Die Verhandlung ist am 11. Januar 2012 und zeigt: eine absolute Anonymität ist es bei Straftaten nicht gegeben. Auch wenn ich die Verfolgung eines unfreundlichen Quatsch-Kommentars für dämlich halte: das Internet ist selbstverständlich kein rechtsfreier Raum, das war es noch nie.
Hinzu kommt wahrscheinlich noch etwas anderes, von Andrea Kamphuis treffend zusammengefasst:
Journalisten und Politiker verwechseln unmoderierte prollige Leserkommentare mit „dem Internet“.
Tja, man sollte eben nicht die die Klowände des Internets und irgendwelche Spammer auf der Suche nach Klickvieh überbewerten. „Das Internet“ sind sie schon gar nicht.
Das erinnert mich an eine Diskussion, die ich vor einiger Zeit mit Günther Beckstein hatte: er beschwerte sich darüber, dass im Internet – wie sich erst nach einiger Zeit herausstellte waren Foren und Nutzer-Kommentarspalten in Online-Ausgaben von Zeitungen gemeint – jeder unter dem Pseudonym „Günther Beckstein“ schreiben könne. Und er war der festen Überzeugung, dass jeder Leser daher fest daran glaube, dass der Ministerpräsident oder Innenminister selbst komische Kommentare verfasse …
Aber zurück zu Cicero, denn auch in anderem Kontext scheitert Christoph Seils, er schreibt:
Die Liquid Democracy sieht aus der Nähe betrachtet also bisweilen wie der gute alte Stammtisch aus, nur im Weltformat. Staat ist damit nicht zu machen.
Da frage ich mich: Beherrscht dieser angebliche „Journalist“ denn nicht mal die Grundzüge seines Handwerks: Recherchieren? Ist er nicht in der Lage, in einen beliebigen Suchschlitz „Liquid Democracy“ einzugeben, um dann zu kapieren, dass dies rein gar nichts mit dem von ihm Kritisierten zu tun hat? Und sowas nennt sich Journalist? Schämen soll er sich.
Ich habe nichts gegen eine kritische Meinung zu allem und jedem, so manchen Varianten des Modells der Liquid Democracy stehe ich auch skeptisch gegenüber und ich habe keine Veranlassung irgendwelche Möchtegern-Gerüchteblogger-SEOs in Schutz zu nehmen. Aber deswegen muss man ja noch lange keinen unsäglich unsinnigen Unfug schreiben. Peinlich wird es aber, wenn man auf der einen Seite anderen mangelnde Recherche vorwirft, dabei selbst aber kläglich scheitert.
Wie schreibt Christoph Seils so schön:
Schleichend breitet sich das Gift der üblen Nachrede in der digitalen Welt aus.
Ja, es ist das Gift der üblen Nachrede von selbsternannten „Journalisten“ wie Seils, die das Internet verteufeln, weil sie selbst nicht damit umgehen können.
Dabei wären echte Profis heute wichtiger denn je. Ich habe, wie die meisten anderen Menschen, nicht die Zeit, alle potentiellen Informationsquellen für diverse Themen abzuklappern. Auch dafür brauchen wir Journalisten: zum Beispiel damit sie für uns die Arbeit der Recherche erledigen und das Wichtigste zusammenfassen. Dafür werden wir sie immer brauchen. Wir brauchen sie aber nicht für den Reflex: „iiih, das böse Internet!!!“.
Übrigens: der restliche Artikel von Michael Naumann über Wulff ist durchaus lesenswert und beschreibt sehr schön den Klempner im Schloss Bellevue. Warum sich aber intelligente Menschen dazu hinreißen lassen, das, was sie nicht kennen und verstehen grundsätzlich zu verteufeln, das ist mir ein Rätsel.
Ach Alvar,
der Herr Naumann ist ein alter Herr, und er hat genau so viel Angst wie die anderen alten Herren. Die war bekanntlich schon immer ein schlechter Ratgeber.
Dass Naumann verteufelt, was er nicht versteht, ist allerdings nicht ganz neu:
http://mnementh.blogsport.de/2011/10/04/michael-naumann-das-urheberrecht-die-piraten-und-das-internet/
und
http://www.cicero.de/berliner-republik/piratenpartei-und-urheberrecht-mit-vollen-segeln-die-vergangenheit/43244
Einfach mal den IM Tulpe fragen, was er in Erfahrung bringen kann. ;-)
Scherz beiseite, warum solche Gerüchte über die Zweitfrau kolportieren? Die ist auch in günstiger Lesart ein Gold Digger, und die haben wir ja gar nicht gewählt. Wie man an "First Lady" erkennen kann, gibt es die Rolle in unserem Staate nicht. Das gilt auch für den "Herrn Merkel" oder "Herrn Westerwelle".
Wer immer in Niedersachsen Ministerpräsident war, hatte mit Maschmeyer zu tun. Du kommst halt an den niedersächsischen Bauern nicht vorbei.
Dejavu: "Die Geschichte aus Sebnitz von dem angeblich ermordeten Jungen (aus dem Jahre 2000 (sic!)) wurde nicht von Weblogs verbreitet (soviele gab es damals in Deutschland noch gar nicht), sondern von Spiegel Online, Bild, der Berliner Morgenpost und wie die Blätter der angeblich so viel besser recherchierenden 'echten' Journaille sonst noch so heißen". http://www.schockwellenreiter.de/2005/01/17.html
Lustig ist, dass die Gerüchte auf die Cicero anspielt, über die Presse verbreitet wurden. Allerdings berichtete man nicht über Gerüchte, sondern eben nur darüber, dass denn andere Medien gerüchteweise über Erkenntnisse verfügten:
"Wenn Wulff nicht bald folge, so wurde in Berlin gemunkelt, könne das Blatt mit einer Geschichte über das Vorleben Bettina Wulffs aufwarten. Angeblich verfügt die Redaktion über Informationen, die bisher auf Weisung von ganz oben nicht gedruckt werden dürfen. Aus Respekt vor dem Amt des Bundespräsidenten. Man wird sehen, ob die wenigen Sätze aus dem Schloss Bellevue den Präsidentenjägern nun genügen."
http://www.mz-
web.de/servlet/ContentServer?pagename=ksta/page&atype=ksArtikel&aid=1321007859941
Die Gerüchte über Frau Wulff werden hauptsächlich von denen raunend hervorgebracht, die damit die Ruchlosigkeit des "Internet" belegen wollen. Ich kenne keinen Blog, der das ernsthaft kolportiert. Im übrigen hatte Nikolaus Blome bei Jauch schon im Dezember diesen Gerüchten widersprochen. Das hätte man bei "Cicero" auch einmal zur Kenntnis nehmen können.
Naumann ist zwanghaft bemüht, einer Magazinleiche Odem einzuhauchen. Dafür gibt's dann auch mal Herrn Wagner von "Bild" als Gastautor. Mit der "Gosse" kennt man sich also aus.
Nunja, die Gerüchte gibt es, und sie sind widerlich. Tatsächlich tauchen sie "im Internet" auf, d.h. auf Blogs, die es teilweise mit dem Impressum nicht allzu genau nehmen. Und ebenfalls werden sie auf dem Boulevard kolportiert, in Redaktionen, mit denen Herr Wulff zurzeit, wie man hört, im Krieg steht. "Das Internet" ist entsprechend nicht besser und nicht schlechter als die jeweiligen Medien und gehört ebenso kritisiert - dass Cicero aber geradae Autoren der Bild eine zweite Heimat bietet, das lässt sich nur mit wirtschaftlichen Interessen (Urheberrrechtsindustrie!) und mit einer politischen Nähe zwischen Springer und Ringier erklären.
Nunja, die Blogs, die zuerst darüber berichteten und am lautesten toben, sind alle auf .de-Domains mit korrektem Impressum. Und teilweise haben sie es schon 2010 geschrieben – genügend Zeit für rechtliche Schritte …
Um den Treppenwitz des Onlinechefs noch zu komplettieren: "'Cicero': Naumann macht Seils zum Online-Chef" (Nov. 2010)
http://www.dwdl.de/nachrichten/28750/cicero_naumann_macht_seils_zum_onlinechef/
Ich finde es vorweg gesagt immer etwas voreilig jedem, der anonyme Beleidigungen und Verleumdungen auf Internetseiten kritisiert und einen Zwang zu Klarnamen fordert, zu unterstellen, er habe keine Ahnung vom Internet und solle mal die Klappe halten. Das erinnert ein wenig an "Jeder der nicht meine Meinung hat ist doof."
Ich halte es für eine vertretbare Forderung, die sich natürlich kaum auf das gesamte Internet, wohl aber auf Anbieter von bestimmten Onlinediensten in bestimmten Staaten beziehen könnte.
Ich kann aber problemlos mit der bisheringen Regelung leben, die es eben ermöglicht, relativ anonym auf diversen Kommentar- und Diskussionsseiten eine Diskussionskultur an den Tag zu legen, die man von Angesicht zu Angesicht wohl kaum pflegen würde. Woran liegt es wohl sonst, dass Diskussionen in Foren oder Blogs eigentlich regelmäßig aus dem Ruder laufen?
Im Deutschland des Offline-Zeitalters galt eine andere Diskussionskultur, in der Beleidigung und Diffamierung eher verpönt waren, in anderen Kulturen, siehe USA, war dies schon immer etwas anders und man war heftigere Diskussionen gewöhnt.
Ich persönlich bevorzuge lieber die sachliche Variante und äußere mich immer unter meinem Klarnamen, da ich meine Aussagen damit vertreten und zu ihnen stehen will.
Mir kommt das allmählich so vor, als würden die Rechten in diesem Land, allen voran unser sauberer Herr Wulff, von einer Presselandschaft träumen, die man Kraft seines politischen Amtes, mittels Drohungen oder schlimmstenfalls mit Geld nach Belieben manipulieren und im Zweifelsfall zum Schweigen bringen kann.
Alles was in der BILD steht für bare Münze nehmen und Informationen, die einem nicht behagen als "Gerüchte" und "Viertelwahrheiten" abtun, passt genauso in das erbärmliche "Demokratie-Verständnis" dieser dilettantischen Polit-Stümper wie das Hofieren von Döpfner, Dieckamm und dem restlichen faschistischen Abschaum von der rechten Presse.
Eine Welt, wie Sie sie sich Wünschen, lieber Herr Wulff, unterscheidet sich früher oder später nichtmehr sehr von den Diktaturen dieser Welt. Dass eben diese Diktaturen durch das Internet bedroht werden, da es das einzige Medium ist, dass sich nicht allein Kraft eines Amtes oder mittels Drohungen steuern lässt, erklärt Ihre Furcht, Herr Wulff.
Treten Sie zurück, Sie erbärmlicher Versager und machen Sie den Stuhl frei für einen Politiker, der diesen Namen verdient, für einen Menschen, zu dem man aufsehen kann. Das kann man zu Ihnen nun schon seit geraumer Zeit nichtmehr.
@Mathias Leenders
Ein Argument ist unabhängig davon, ob es unter Klarnamen oder Pseudonym verfasst wurde entweder stichhaltig oder nicht. Herrn Wagners Auslassungen erfolgen beispielsweise unter Klarnamen, sind deshalb aber nicht einen Deut besser. Im Spiegel war es lange Usus, die meisten Artikel nicht namentlich zu kennzeichnen, ohne dass damit die Qualität in irgendeiner Form schlechter war als heute.
Im Deutschland des Offline-Zeitalters herrschte in den Medien so gut wie keine Diskussionskultur; die Leserbriefe, die von Redaktionen gefiltert wurden, finden sich jetzt in Blogs und Foren. Ob das besser ist, mag dahingestellt sein. Nur ein Veteranentum, welches an die "gute alte Zeit" andockt, hilft auch nicht weiter.
Naumann greift etwas (das Internet) an, was er nicht versteht. ACK.
Was ich aber fast wichtiger finde und im Artikel mit dem Satz "Ich kannte sie bis zur Recherche für diesen Artikel nicht, diese Gerüchte" angedeutet wird:
In der Diskussion um Wulff und ob er für das Amt Bundespräsidenten eine Beschädigung ist, sind die Gerüchte um seine Frau NIE relevant gewesen. Es wurde immer nur über den Kredit, das Verschweigen und die Salamitaktik bei der Veröffentlichung der Fakten diskutiert. In der zweiten Stufe um den Anruf bei Dieckmann und Wulffs seltsame Einstellung zur Pressefreiheit.
Naumann scheint die Relevanz der Klowände des Internets mal wieder hochzustilisieren, um in diesem Abwasch endlich mal wieder das gesamte Internet diskreditieren und seinen eigene Branche in den Himmel loben zu können.
Naja, bei seinem Publikum kommt das wahrscheinlich an. Was uns trösten kann: Es stirbt bald aus ...
Ich frage mich: Sind Naumann und Seils tatsächlich Journalisten?
Oder nicht eher Mietmäuler?
@egghat: Dass Gerüchte um Wulffs Frau nie eine Rolle spielten, ist falsch. Am 16.12.2011 schrieb die Berliner Zeitung: „Christian Wulff hatte die mächtigste Kraft des politisch-medialen Komplexes der Republik gegen sich: Die Bild-Zeitung. [...] Das Blatt belässt es seit drei Tagen nicht bei der Berichterstattung über den Fall. Es stellt Fragen, es erhebt Forderungen an Wulff, es bedrängt den Bundespräsidenten. [...] Am Donnerstag setzte Chefkolumnist Franz Josef Wagner nach: ‘Lassen Sie die Hosen runter. Stellen Sie sich vor die Presse. Sagen Sie uns, wer Sie sind.’ [...] Wenn Wulff nicht bald folge, so wurde in Berlin gemunkelt, könne das Blatt mit einer Geschichte über das frühere Leben Bettina Wulffs aufwarten. Angeblich verfügt die Redaktion über Informationen, die bisher auf Weisung von ganz oben nicht gedruckt werden dürfen.“[1]
Und am 2.1.2012 kommentierte die Tagesschau um 15:00 Uhr, dass Wulff vielleicht ("inzwischen auch durchaus hier gehandelt") nicht wegen der Kredit-Story bei der Bild angerufen habe: "ging es darum Berichterstattung über seine Frau, also Bettina Wulff und eine mögliche Vergangenheit zu verhindern? Dafür spricht das der Bundespräsident, wohl in diesem Telefonat, nach allem was man hört, sehr aufgebracht war".[2] Die Titanic macht derzeit mit einer Zuspitzung dieser Gerüchte auf.[3]
Ich, ein anonymer Blogger, bin der Ansicht, dass der Bundespräsident verheiratet sein kann, mit wem er will. Aber die Politik und die Medien, die könnten natürlich Wulffs Angst vor Gerüchten, Gerede und Ansehensverlust für ihre Zwecke ausnutzen, auch wenn das alles mittelalterlicher Politik und Öffentlichkeit entspricht. Ich hätte gern einen Bundespräsidenten, der persönlich solche Ängste nicht hat, der über alles offen sprechen kann, der daher unabhängig ist von der Stützung durch die Regierungspartei und von der Stützung durch die Springer- (und sonstige) Presse.
Auf jeden Fall sind es rechte Heuchler, egal welches Parteibuch sie in den Taschen ihrer geschmacklosen teuren Anzüge tragen.
Leute wie Naumann sind schlimmer als die ganzen 10jährigen Kiddies in Foren, die glauben, sie seien das Zentrum des Internets und Quelle aller Weisheit. Sie erzählen Blödsinn über etwas, von dem sie nicht mal annähernd auch nur die leiseste Ahnung haben. Der große Unterschied und damit das Problem daran ist, dass sie (im Gegensatz zu 10jährigen Kiddies) ein Publikum haben. Ihnen zittern die Knie, weil sie die Kontrolle verlieren. Weil sich Leute jetzt ungestört, ohne ihr Einmischen austauschen und Gleichgesinnte finden können. Wie oft wurden Proteste allein durch das Internet organisiert? Von Minderheiten, die plötzlich festgestellt haben, dass sie gar nicht so klein sind und sich verteidigen können.
Internet hat zwar eindeutig seine Schattenseiten, aber es ist imo definitiv das beste was der Meinungsfreiheit je hätte passieren können. Ich hoffe sehr, dass Leute wie Naumann bald von der politischen Bildfläche verschwinden. Sei's auch nur aus Altersschwäche >_>
naja,
daß sich das internet und die kommentarfunktionen von blogs und zeitungen mittlerweile tatsächlich in einen überdimensionalen stammtisch verwandeln, daran besteht für mich (nutz den scheiss seit 1992) jedenfalls nicht mehr der geringste zweifel
ich verstehe deinen ansatz, aber: er ist kursichtig und du kannst dir ganz offensichtlich die zukunft nicht vorstellen. ich kenne die vergangenheit und sehe die gegenwart, das reicht, um zu ahnen, was kommen wird.
statt dich also darüber aufzuregen, daß irgendwelchen alten säcke das immer noch nicht gereiht bekommen, solltest du mal ne millisekunde die bereitschaft besitzen, darüber nachzudenken und nicht nur die gegenwart in die zukunft zu projezieren.
und die wird, lass dir das von einem, der an der vergangenheit teilgenommen hat, in der man noch solche sachen wie "netiquette" diskutierte und "skandal" schrie, wenn mal einem das wort abgeschnitten wurde, sagen, FÜRCHTERLICH.
in zwanzig jahren wirst du über den artikel denken, was ich heute über "der verlust des denkens" denke: ich hab's gehasst, aber der mann hatte recht.
Naumann bleibt hier vage und am Beispiel Wulff Belege schuldig, sowohl für eine "anonyme Verantwortungslosigkeit" als auch eine "denunziatorische Ruchlosigkeit".
Wäre ihm tatsächlich etwas an dem Thema gelegen, dann hätte er sich die Mühe gemacht, hier konkrete Beispiele zu präsentieren und anhand derer die "Abgründe" bzgl. Ruchlosigkeit & Verantwortungslosigkeit zwischen "neuen" und "alten" Kommunikations-Milieus aufzuzeigen. "Oft genug" ginge es -ihm nach- ja schließlich so zu, mangels "halbwegs journalistischer Kontrolle"...
Er verurteilt hier ein "Kommunikations-Milieu" per se, versteckt sich dabei vorab pro forma hinter einem "cum grano salis" und setzt dann stillschweigend im weiteren Textverlauf de facto nicht nur die Richtigkeit seiner Thesen im Kontext Wulff, sondern die Verallgemeinerungsfähigkeit dieser Behauptungen gleich noch mit voraus. Ohne einen Beleg.
Ein rhetorischer Taschenspielertrick.
Der eine oder andere Leser hätte sich da jedoch vielleicht eines dieser "Oft genug" - Beispiele gewünscht. Das neue "oft-genug-anonym- verantwortungslos-ruchlos-denunziatorische" Kommunikations-Milieu hält da schließlich einige technische Mittel bereit, mit denen das zu bewerkstelligen gewesen wäre: Verweise in Form von Links zum Beispiel.
Wer, wie Herr Naumann, jedoch - cum grano salis - die Mission verfolgt, der Ruchlosigkeit 2.0 als immerwährender Mahner und Warner Einhalt gebieten zu wollen, der gibt sich mit solch profanen Mitteln nicht ab. Eine Chance zur Textgenese? Die braucht der Leser nicht, das gab es "früher" ja schließlich auch nicht. Was Verantwortung heißt, das zeigte der Rohrstock und die Wahrheitspflicht beseelte jeden Autor und war ihm selbstredend das höchste Gebot. Die "gute alte Zeit" eben.
Naumann zitiert lediglich einen Artikel des Ressort-Leiters Cicero-Online vom 23.12., der zwar mit der schmissigen Headline "Das Netz als Gosse" aufmacht, seinerseits aber ebenfalls keine Belege für dessen "Gossenhaftigkeit" anzuführen vermag.
Dabei merkt Naumann nicht, dass er sich selbst eine Falle gestellt hat: Er bedient sich in seiner Argumentation offenkundig einer faktischen Moral ressentiment-geschwängerten Ursprungs, die er vor sich herträgt als sei sie ein Schild allgemeiner Maßstäbe.
Wie man es in diesem Metier so weit bringen kann, ohne dabei die Abstraktionsfähigkeit erlernt zu haben, in seinen Haltungen -und entsprechend seinen Ausführungen- zwischen der eigenen Moral und allgemeinen Maßstäben der Ethik differenzieren zu können, das sollte nicht nur die Leser stutzig machen, sondern auch dem aktuellen Arbeitgeber mal einen Anlass zum Nachdenken geben.
Letztlich bleibt hier also nur der fade Beigeschmack, dass Naumann sich diese Themas lediglich deshalb annimmt, um es als populären Steigbügel dafür zu missbrauchen, den Lesern ein weiteres Mal seine bekannt "onlinephobe" Grundeinstellung zu vermitteln.
Als weitere Grundlage zur Fortführung der Debatte über einen Strukturwandel der Öffentlichkeit durch das Internet sind seine Ausführungen jedoch nicht zu gebrauchen.
@hinterwald:
1. "Das Internet" hat sich nicht in einen Stammtisch "verwandelt". Das Internet wird heute, im Gegensatz zu 1992, als größtenteils Studierende der Naturwissenschaften Zugang zu diesem Medium hatten, von so ziemlich allen benutzt. Und die sagen Ihre Meinung. Dass sich das manchmal wie dummes Gebrabbel anhört, hat in den allermeisten Fällen damit zu tun, wie Diskussions- und Berwertungssysteme aufgebaut sind. Selbst bei den etablierten Zeitungen werden User-Kommentare verkürzt und de-kontextualisiert dargestellt und natürlich auch von den Usern eingegeben. Natürlich wird eine Diskussion mit redundanten Beiträgen zugepflastert, wenn immer nur die letzten 5 Beiträge angezeigt werden, und dann auch noch in der falschen Reihenfolge. Die "Zahl der Kommentare", die neben Artikeln angezeigt wird, ist für die Verlage nichts weiter als ein glorifizierter Zugriffszähler, mit dem sie bei Werbekunden hausieren gehen können. D.h., je mehr redundante, emotionale Kommentare, desto höher das "Engagement" der Leser mit den Inhalten, desto bessere Werbeumgebung. Die Verlage selbst haben ein Interesse daran, Massen-Diskussionen strukturell so schlecht wie möglich zu machen. Gleichzeitig können sie so ihre Position als Wächter einer wie auch immer gearteten Diskussionskultur unterstreichen.
2. Wenn irgendwo ein von mir aus anonymer Kommentar steht, in dem irgend ein vollkommener Quatsch behauptet wird, ... warum wird dem so viel Bedeutung beigemessen? Wenn etwas nicht belegt werden kann, zum Beispiel durch Links, ist es genau so wenig wert wie eine journalistische Publikation, die nichts belegen kann oder will. Aber im cicero, der Welt oder FAZ darf man ungestraft Schmarrn schreiben? Weil der Name des Autors daruntersteht?
Die Kritik am Netz und seiner Kultur, die in den letzten 2, 3 Jahren aufgekommen ist, kam über Bauchgefühle und dem Anzweifeln vorher scheinbar feststehender demokratischer und partizipatorischer Ideale nicht hinaus. Dabei ist das, was wir momentan erleben, noch gar nichts.
Das wirkliche Problem ist doch eher, dass die Netzmenschen ständig damit beschäftigt sind, sozusagen eine Konterrevolution zu verhindern, anstatt aufzuzeigen, welchen positiven Einfluss Computer und Internet auf die Gesellschaft haben, und wie man das gestalten kann; oder wo noch geforscht werden muss, um das volle Potential zu erreichen.
Das Problem des Netzes ist, dass es auch die Denunziation potenziert.
Man muss ja nur an die Medien des amerikanischen Empires denken, die bei Youtube gerade durch die erfolgreicheren Russia Today Hetzsprech-Berichte verdrängt werden.
Mir fehlt eigentlich genau das gleiche was ich bei den US-Republikanern vermisse. Zurückhaltung und ein gewisses Maß an Konservativität, STOA, Reflektiertheit vor dem Zutreten, eine Umgebung, in der das seriöse Argument gewinnt, ein Sinn für Maß und Gerechtigkeit.
Ich denke, man sollte sich immer Gedanken um "Karma" machen: +,-
Polarisieren um jeden Preis. Immer nur -, immer nur Anti und Polemik führt dazu, dass die unangenehmen Charakter mit ihren Schweinereien durchkommen, weil alle vom Gebrüll taub sind.
"Warum sich aber intelligente Menschen dazu hinreißen lassen, das, was sie nicht kennen und verstehen grundsätzlich zu verteufeln, das ist mir ein Rätsel."
Das Rätsel ist schon lange gelöst: Weil es Menschen sind.
"Sie" verteufeln es ja auch nicht, sondern nur ein Teil der Substanz. Was normal in einem komplexen System ist, denn es ist eben spezialisiert und jede Frage ist 1/0.
hey,
Ohne mir jetzt alle Kommentare durchgelesen zu haben, dafür intressiert mich der feine Herr zu wenig und die ersten Kommetare lassen erahnen, dass es um die Sache an sich geht, finde ich es sehr lustig, das die Links, die auf Cicero verweisen offensichtlich selbst SEO sind. Nennt mich altmodisch, aber wenn man (meint: Ihn als Chefredaktuer) etwas selbst verwendet, sollte man doch mindestens mal davon gehört haben, grade wenn es das eigene Berufsgebiet so sehr beeinflusst.
Die Gerüchte über Frau Wulff werden hauptsächlich von denen raunend hervorgebracht, die damit die Ruchlosigkeit des "Internet" belegen wollen. Ich kenne keinen Blog, der das ernsthaft kolportiert. Im übrigen hatte Nikolaus Blome bei Jauch schon im Dezember diesen Gerüchten widersprochen. Das hätte man bei "Cicero" auch einmal zur Kenntnis nehmen können.
Naumann ist zwanghaft bemüht, einer Magazinleiche Odem einzuhauchen. Dafür gibt's dann auch mal Herrn Wagner von "Bild" als Gastautor. Mit der "Gosse" kennt man sich also aus.
@monsterbeats
Die Frage ist, was "ernshaft" ist und was es heisst, dass Du keinen kennst.
Es sind in der Sache 25 Unterlassungserklärungen abgegeben worden.
Früher hat man in Diskussionen andere gerne beiseite gedrückt, in dem man so unterschwellige patriarchen Strukturen pflegte. Status hüllte die Argumente noch neuer ein. Und das merken viele Frauen immer noch an Tisch, wenn die Männer in der Mehrzahl sind. Solche und ähnliche ignorierte Diskussionsproblematiken können im anonymen Internet endlich wegfallen. Und der Inhalt zählt. Und natürlich, wer trollt, wird ziemlich schnell erkannt.