Februar 2009 Archive

Die Bundesregierung hat wohl in Norwegen abgeschrieben. Das zumindest legt das (mir vorliegende) Original-Word-Dokument mit dem Vertragsentwurf (PDF beim CCC) für die Kinderporno-Sperren nahe. Als Titel steht dort: 

For more information, contact: Bjørn-Erik Ludvigsen, NCIS Norway ludvigsen@kripos

Ich frage mich ja schon, warum sich die Norweger hier derart ins Zeug legen.

Interessant ist aber auch der von den Deutschen Providern und Verbänden vorgelegte überarbeitete Vertragsentwurf (PDF mit den Änderungen, Namen habe ich entfernt). Dort verlangen die Provider einen Gesetzesvorbehalt: der ganze Vertrag gilt demnach nur dann, wenn die Bundesregierung ein entsprechendes Gesetz verabschiedet:

Aus Sicht des ISP ist eine gesetzliche Regelung insbesondere notwendig hinsichtlich des Eingriffs in das Fernmeldegeheimnis, des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und des Datenschutzes sowie der Haftung des ISP.

Der überarbeitete Vertragsentwurf wurde allerdings bei der Sitzung am vergangenen Freitag gar nicht besprochen – worüber einige Provider-Vertreter „sehr überrascht und befremdet waren“.

Das Familienministerium setzt weiterhin auf eine „freiwillige“ Sperrung durch die Provider. Dass diese bei einem solchen Unfug und aufgrund der ungeklärten Haftungsfragen und eventueller strafrechtlicher Relevanz ohne gesetzliche Grundlage nicht wirklich mitmachen wollen, ist nachvollziehbar.

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Bearbeitung der Telekom. Laut Dr. Annette Niederfranke, die für das Familienministerium an dem Treffen teilnahm, fand vergangenen Dienstag ein Gespräch zwischen Ursula von der Leyen, Wolfgang Schäuble und René Obermann von der Telekom statt, bei der dieser „umgedreht“ worden sei. 

Laut Teilnehmerberichten von der Arbeitskreissitzung am Freitag verlangt die Telekom aber weiterhin ein klares politisches Signal, dass ein Gesetz kommen wird sowie eine schriftliche Erklärung vom Familien-, Innen-, Wirtschafts- und Justizministerium, dass es hinsichtlich des Verfassungsrechts, Telekommunikationsrechts, des Straf- und Zivilrechts keine rechtlichen Bedenken gegen eine entsprechende Selbstverpflichtung gebe.

Aber, wie gesagt, das Familienministerium will nun doch kein Gesetz erlassen – wahrscheinlich sind dem einen oder anderen Mitdenker doch die verfassungsrechtlichen Probleme aufgefallen ...

 

Apropos: Bei Amazon findet sich eine Autorin Annette Niederfranke mit Büchern über das Altern.

 

Die Washington Post hat (schon 2006) einen interessanten Vergleich gemacht: Wahlmaschinen werden demnach weniger restriktiv kontrolliert als Spiel-Automaten in Las Vegas. So hat der Staat Nevada Zugriff auf die Software von Spielautomaten, bei Wahlmaschinen ist diese aber ein „Geschäftsgeheimnis“.

 

wahlmaschine-spielcasino.gif

Ich frage mich ja sowieso, was dagegen spricht – wenn man denn schon so verrückt ist Wahlmaschinen zuzulassen – zu verlangen, dass die Software zu 100% Open Source sein muss. Oder zumindest für den Auftraggeber bekannt sein muss. Jetzt kommt vielleicht der Einwand: dann könnten Angreifer ja leichter das System knacken. Nein, das geht i.d.R. viel leichter mit einem guten Debugger, dazu braucht man den Source nicht. Zu guten alten Motorola 68000er Zeiten habe ich eine ganze Software ohne den Quellcode analysiert und um Faktor 50 beschleunigt (den Calamus Rastergenerator). Schwachstellen finden ist da einfacher.

 

Und eine Firma, die wegen ihrer tollen „Geschäftsgeheimnisse“ nicht mitspielen will, die soll es eben sein lassen. Denn diese Geschäftsgeheimnisse sind meist sowieso nur: Der Code ist Mist und gab so gut wie keine Qualitätskontrolle.

 

Das sollte meines Erachtens auch für die Mehrheit aller Aufträge aus öffentlicher Hand gelten. Aber das ist wieder ein anderes Thema.

(via FoeBuD)

Der AccessBlogger twittert neues aus dem heute stattfindenen Meeting der Arbeitsgruppe Access-Blocking.

Das neuste von dort: Die Telekom, die sich lange geweigert hat das Spielchen mitzumachen, ist nun mit dabei will nun doch nicht mehr mitmachen. Vielleicht. Oder auch doch? Es gab da wohl ein Gespräch im Familienministerium – die Gerüchte besagten ja schon eine Weile, dass Ursula von der Leyen unbedingt mit René Obermann über das Thema sprechen wollte.

Update:
Die weiteren Neuigkeiten aus Berlin sind durchaus auch interessant; das BMFSJ will wohl keine gesetzliche Regelung durchsetzen (oder sieht keine Chance das vor der Wahl durchzukriegen), und von der Leyen will die Provider nun einzeln bearbeiten. Wenn die Frau nur die Hälfte der Energie, die sie ins manuelle Bearbeiten der Provider steckt, investieren würde genauer zu recherchieren, ob ihr Vorhaben sinnvoll ist ...

Bei der letzten Sitzung der „Arbeitsgruppe Access Blocking“ wurde beschlossen, dass das Innenministerium ein Gutachten bezüglich der Frage des Eingriffs in das Fernmeldegeheimnis durch Internet-Sperren erstellen solle. Ergänzung: in der Arbeitsgruppe wollen das Familien- und das Innenministerium die Provider überzeugen, doch freiwillig zu sperren; und die Provider versuchen größtenteils die Gegenseite zu überzeugen, dass dies quatsch ist.

Der entsprechende Text – nicht wirklich ein Gutachten, aber das ist in dieser kurzen Zeit auch kaum zu erwarten – ist nun fertig, wurde mir von einem anonymen Informanten zugespielt und beschreibt einige Zaubertricks, um Grundrechtszugriffe wegzuzaubern. Hier das PDF mit dem Titel: Grundrechtliche, telekommunikations- und telemedienrechtliche Fragen im Zusammenhang mit der Sperrung kinderpornographischer Inhalte im Internet.

Besonders skurril finde ich dabei diesen Absatz:

Darüber hinaus ist festzustellen, dass, sofern es zu einer Sperrung auf der Grundlage eines öffentlich-rechtlichen Vertrages zwischen dem Zugangsanbieter und dem Bundeskriminalamt kommt, es bereits an einem hoheitlichen Eingriff fehlt. Ein Eingriff in das Fernmeldegeheimnis liegt nur dann vor, wenn sich staatliche Stellen ohne Zustimmung der Beteiligten Kenntnis von dem Inhalt oder den Umständen eines fernmeldetechnisch vermittelten Kommunikationsvorgangs verschaffen, die so erlangten Informationen speichern, verwerten oder weitergeben. (...) Es muss sich um eine Kenntnisnahme durch den Staat handeln. (...) Ein solcher Eingriff liegt erkennbar nicht vor.

Soll das heissen, die Bundesregierung ist der Ansicht, dass die Grundrechte zwar das Individuum vor staatlichen Eingriffen schützen, wenn aber die Provider aufgrund eines aufgezwungenen Vertrages hier tätig werden, sei das ja kein staatlicher Eingriff? Sprich: Wenn der Staat eine private Einbrecherbande beauftragt, in ein Haus einzusteigen, bleibt die Unverletzlichkeit der Wohnung davon unberührt, weil es der Staat nicht selbst macht?

Leider geht der Text auf einige wichtige Fragen erst gar nicht ein, die ich bei dem Titel durchaus erwarte: Wie ist die Verträglichkeit von Sperren mit der Rezipientenfreiheit nach Artikel 5 Grundgesetz, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Mehrheit der mehreren Tausend zu sperrenden Webseiten sicherlich keine strafbare Kinderpornographie enthält. Zumal meist eine Verfolgung der Täter möglich wäre (sofern eine Straftat vorliegt) aber aus welchen Gründen auch immer nicht gewollt ist.

Auch vermisse ich immer noch jegliche Angabe dazu, welche Länder denn nun die bösen Schurkenstaaten sind, die nicht effektiv gegen Kinderpornographie vorgehen ...

Insgesamt wird nur der Frage nachgegangen, ob DNS-Manipulationen einen Eingriff ins Fernmeldegeheimnis darstellen. Für IP-Sperren wird dies erst gar nicht analysiert, denn da sieht es möglicherweise anders aus. Und bei der DNS-Manipulation setzt sich das Dokument hauptsächlich damit auseinander, wie es zu bewerten ist wenn kein Eintrag für die gesperrten Domains gefunden wird – dabei wird doch explizit gefordert, dass die Provider die Kunden auf eine Sperr-Seite leiten sollen.

Auch eine weitere Frage bleibt unbeantwortet: Wenn im DNS eine Domain manipuliert wird, so dass die Domain nicht erreichbar ist, dann gilt dies i.d.R. auch für die Erreichbarkeit von E-Mails. Sprich: Auch E-Mails werden unterdrückt. Laut § 206 StGB ist aber das Unterdrücken einer „Sendung“ – worunter auch E-Mails fallen dürften – eine Straftat.

Der Autor oder die Autorin muss sich übrigens sehr für den Text schämen: ein Name ist nicht genannt. Das PDF wurde von einem Autor „hornschild“ erzeugt, im Familienministerium gibt es eine Frau Almut Hornschild. Ob sie auch die Autorin des Textes ist, kann ich natürlich nicht sicher behaupten.

Zudem besagen Gerüchte aus mehreren Ecken, dass von der Leyen und Schäuble versuchen, Telekom-Chef Obermann zu bezirzen, so dass er der Sperre zustimmt. Denn noch ist die Telekom bzw. T-Online gegen die Sperren – für einen immer noch ein wenig staatlichen Konzern sehr ungewöhnlich und hoch anzurechnen. Dies sollte den Filter-Freunden doch zu denken geben, dass die Filter-Wünsche vielleicht doch nicht so sinnvoll im Kampf gegen Kinderpornographie sind ...

Mit der Zeit werden immer mehr Details bezüglich der Sperr-Pläne aus dem Familienmnisterium bekannt. Die Kritik bleibt aber leider weiterhin hauptsächlich in der Netz-Szene – außerhalb wird sie entweder ignoriert oder Kritiker als Kinderpornofreunde beschimpft. Die grundlegenden Fehler der Filter-Befürworter werden leider in der Politik und bei den Mainstream-Median kaum wahrgenommen.

Dennoch sind mehrere Sachen aufschlussreich: Vodafone/Arcor ist (nach meinem Kenntnisstand) der einzige Provider, der die Pläne von Ursula von der Leyen offen unterstützt – nach entsprechenden Berichten hat sich deren Direktor Unternehmenskommunikation und Politik Thomas Ellerbeck für die Pläne aus dem Familienministerium eingesetzt. Dabei ist interessant, dass er durchaus mit der Politik verdrahtet ist – als ehemaliger Leiter der Pressestelle der Staatskanzlei von Mecklenburg-Vorpommern und stellvertrenender Sprecher von Roman Herzog gibt es hier sicherlich diverse Kontakte.

Vielleicht liegt der Einsatz für Filter bei Vodafone aber auch daran, dass man den in Großbritannien genutzten Filter weiterverkaufen möchte? In Tschechien ist er schon im Einsatz: dort filtert Vodafone das, was sie als Kinderpornografie ansehen. Wieso aber nicht nur vollkommen unverdächtige Technik-Webseiten und Tipps wie Studenten bei Vodafone Geld sparen können auf den Sperrlichen landet, das bleibt wohl das Geheimnis von Vodafone ...

 

Das Familienministerium ist derweil Beratungsresistent: Diskussionen werden grundsätzlich unterdrückt. So wurde mir anonym ein Bericht von Teilnehmern der „Arbeitsgruppe Access Blocking“ weitergeleitet, der sehr aufschlussreich ist:

Am Freitag hat im Bundesfamilienministerium wieder die "Arbeitsgruppe 'Access Blocking'" getagt. Auf der Agenda stand die Diskussion über den Entwurf einer "freiwilligen" Vereinbarung, den das BMFSFJ am Mittwoch Abend verteilt hatte und der am Freitag vom CCC veröffentlicht wurde (und übrigens a) als Entwurf und b) nicht als vertraulich gekennzeichnet war).

Als Providervertreter zu Beginn des Termins den potenziellen Eingriff in das Grundrecht des Telekommunikationsheimnisses ansprachen, versuchte die in der AG federführende Vertreterin des BMFSFJ, Frau Dr. Annette Niederfranke, eine entsprechende Diskussion zu unterbinden, was die Provider ablehnten. Der Vertreter des Referats Grundsatzfragen des Bundesministeriums des Inneren vertrat die Rechtsauffassung, dass der Abruf von Webseiten generell nicht dem Grundrecht des Telekommunikationsheimnisses nach Art. 10 Abs. 1 des Grundgesetzes unterliege. Demzufolge sei auch § 88 TKG nicht einschlägig. Anwesende bezeichneten diese Ausführungen als "unterirdisch".

Als Ergebnis erteilte die Arbeitsgruppe dem BMI den Auftrag, ein Gutachten zu erstellen, das sowohl einen möglichen Eingriff in das TK-Geheimnis durch entsprechende Maßnahmen als auch dessen Abdingabrkeit durch AGB-Änderungen evaluieren soll.

In der anschließenden Diskussion äußerten die Provider Kritik an nahezu allen Punkten des vorliegenden Vertragsentwurfs. Besonders kritisch wurde der Vorschlag angesehen, Mittels einer AGB-Änderung das Telekommunikationsgeheimnis einzuschränken (gleichzeitig wunderten sich Provider, warum denn eine solche Regelung notwendig sei, wenn doch laut BMI das Fernmeldegeheimnis nicht berührt sei...). Als weiteres Problem in diesem Zusammenhang wurde angesprochen, dass eine AGB-Änderung für Bestandskunden zustimmungspflichtig wäre. Im Falle eines Widerspruchs müssten die Provider entweder für beide Kundengruppen getrennte DNS-Infrastrukturen vorhalten, oder aber die "widerspenstigen" Kunden kündigen - eine Variante, für die sich nur Vodafone klar aussprach.

Schließlich wurde heftig über den geplanten "Stopp-Server" diskutiert. Auf diesen Web-Server sollen per DNS-Umleitung alle Anfragen umgeleitet werden, die auf Domains, die Bestandteil der "Sperrliste" des BKA sind, zielen. Die Provider würden diesen Server am liebsten beim Bundeskriminalamt sehen, das in jedem Fall für die inhaltliche Gestaltung verantwortlich sein soll. Das BKA sieht hierbei jedoch ein "Akzeptanzproblem": Das Amt möchte explizit keine Logfiles (und damit Referrer oder IP-Adressen von Nutzern) speichern (und gäbe damit natürlich eine Möglichkeit zur Täterermittlung und Strafverfolgung aus der Hand). Nun wird nach einem "vertrauenswürdigen Dritten" gesucht, der eine solche Seite betreuen könnte. Vodafone beteiligte sich an der Diskussion nicht, wollte sich aber die Möglichkeit von "individuellen Zusatzvereinbarungen" zu einem entsprechenden Vertrag offen halten.

Aufgrund der Vielzahl der geäußerten Bedenken bat das BMFSFJ die Provider, nun den Vertragsentwurf in einer eigenen Arbeitsgruppe bis kommenden Donnerstag zu überarbeiten und dann mit einem neuen Entwurf in das nächste Meeting der AG Access Blocking am kommenden Freitag, 20.02. zu gehen.

 

Neben der irrwitzigen Behauptung, dass der Abruf von Webseiten nicht unter das Telekommunikationsgeheimnis falle finde ich es dabei durchaus interessant, dass ausgerechnet das BKA nicht die Daten der vermeintlichen Konsumenten haben will. Man kann sich da die Frage stellen: Sind es überhaupt Kinderporno-Konsumenten? Oder handelt es vielleicht nur um Inhalte, bei denen die Strafverfolgung schwierig ist, da sie ganz knapp an der Strafbarkeit vorbeischrammen?

Das wäre ja auch ein Grund, warum denn viele Webseiten aus westlichen Ländern auf der Sperrliste stehen: wirklich illegal sind sie nicht, eine Strafverfolgung nur schwer möglich. Da frage ich mich: wie wollen das BKA und Ursula von der Leyen vor dem Bundesverfassungsgericht argumentieren, wenn sie Inhalte, die keine strafbare Kinderpornographie sind, mit dem Argument der Kinderpornographie sperren wollen? Da könnte ich mir einen sehr interessanten und amüsanten Auftritt von Dirk Heckmann vorstellen ...

 

Diverse technische Probleme wird es auch geben. Fefe weist darauf hin, dass die Liste der Domains keine Wildcard-Domains abgreifen soll. Und wenn der erste Webseitenbetreiber auf der Filterliste einen Wildcard-DNS-Eintrag anlegt, ist der Filter wirkungslos: denn dann geht domain1.boese-domain.org, domain2.boese-domain.org, blabla.boese-domain.org – aber auch afssghamua.boese-domain.org und so weiter. Wieviele Millionen Einträge soll die Liste haben? Ach, sie soll ja auf ein paar Tausend Einträge beschränkt bleiben ...

 

Derweil outen sich Ilse Elisabeth Falk und Johannes Singhammer von der CDU/CSU Bundestagsfraktion als Laien, die dennoch was sagen wollen. Vielleicht gibt es ja unter ihren Mitarbeitern auch Internet-Ausdrucker-und-wieder-Einscanner? So unterstellt Falk den Gegnern, Kinderschänder zu unterstützen:

Wer angesichts dieser grauenvollen Tatsachen mit fadenscheinigen Argumenten versucht, die Pläne von Bundesfamilienministerin von der Leyen zu torpedieren, diesem Treiben ein Ende zu setzen, handelt verantwortungslos und stellt die Interessen skrupelloser Geschäftemacher über den Schutz der Kinder.

Liebe Frau Falk: Frau von der Leyen ist diejenige, die die „skrupellosen Geschäftemacher“ unterstützt, indem sie sich lieber die Augen verschließt als etwas gegen die Verbreiter der Inhalte zu unternehmen.

Und Singhammer ist so naiv zu behaupten, dass es nur um Kinderpornographie gehe:

Wichtig in der laufenden Diskussion: Die Zugriffssperren sollten ausschließlich für das Thema Kinderpornografie im Internet gelten. Kinderpornografie ist im Gegensatz zu Extremismus oder Gewalt im Internet gut abgrenzbar. Das Bundeskriminalamt recherchiert die gefährlichen Seiten, stellt eine Liste zusammen und gibt diese verschlüsselt an die Provider. Das BKA trägt dafür auch die Verantwortung und Haftung.

 

Lieber Herr Singhammer, dann erklären Sie mir doch mal, warum auf den einschlägigen Listen tausende Webseiten aus westlichen Ländern sind, einige davon aus Deutschland (siehe Details auch im Scusiblog)? Warum machen Sie, Herr Singhammer, und Sie, Frau Falk, denn nichts gegen Kinderpornographie und fordern nicht, dass die Webseiten geschlossen werden? Die Blockade-Forderung erinnert mich an meine zweijährige Tochter Franka: Sie hält sich die Augen zu und sagt: „Franka Weg.“ ...

Da man von der Leyen, Singhammer, Falk und anderen Filter-Befürwortern nicht unbedingt unterstellen kann, auf dem geistigen Niveau Zweijähriger zu sein liegt nahe: Es geht gar nicht um Kinderpornographie.

 

Wie bereits erwähnt habe ich bei einem Seminar der Friedrich-Naumann-Stiftung einen Workshop zum Thema Internet-Sperren und Internet-Filter gehalten.

In der Zwischenzeit habe ich es endlich geschafft, eine Zusammenfassung des Workshops zusammenzustellen.

 

Diese gibt es sowohl als PDF „Workshop Internet-Sperren“ sowie unten als HTML.

Als Einstieg hier eine Kurzversion:

  • Internet-Blockaden wirken nur scheinbar: sie entfernen keine Kinderpornographie aus dem Internet, sondern blenden diese nur für diejenigen aus, die sie sowieso nicht anschauen.
  • Die überwiegende Mehrheit der zu sperrenden Webseiten kommt aus westlichen Ländern, viele aus Deutschland – die Herausnahme aus dem Netz und ein Zugriff auf die Täter wäre also möglich, wenn es sich tatsächlich um illegales Material handelt.
  • Internet-Sperren schützen keine Kinder vor (sexuellem) Missbrauch.
  • Es ist naiv anzunehmen, dass ein einmal etabliertes Filtersystem nur auf Kinderpornographie beschränkt bleibt.
  • Internet-Sperren sind im Kampf gegen Kinderpornographie nicht wirksam, auch von technisch nicht versierten Nutzern leicht umgehbar und in keinster Weise verhältnismäßig.
  • Der Tausch von kinderpornographischen Material findet vornehmlich außerhalb von (einfach) sperrbaren Transportwegen statt.
  • Sinnvoller wäre, die Anstrengungen zur Verfolgung der Täter zu intensivieren. Dafür ist ausreichendes und mediengerecht ausgebildetes Personal bei den Strafverfolgern notwendig.

 

Schon vor einer Weile fand das Seminar „Die Liberale Blogosphäre“ der Friedrich-Naumann-Stiftung statt. Am Eröffnungsabend sprach Prof. Peter A. Henning über Überwachungsmaßmahmen und stellte zwei Thesen auf, warum der Staat diese immer weiter ausdehnt:

These 1:

Die Gewalten des modernen Staates versuchen permanent, sich neu zu legitimieren – indem sie seinen Bürgern Schutz vor Bedrohungen versprechen, die offensichtlich irreal sind und das Individuum eigentlich nicht betreffen.

These 2:

Der Staat wird das so geschaffene Instrumentarium, weil die realen Feine fehlen, gegen die eigenen Bürger einsetzen.

 

Der gesamte Vortrag wurde von Daniel Fallenstein vom Antibürokratieteam aufgezeichnet, hier das Video:


Prof. Henning @ Liberale Blogosphäre in Gummersbach

 

Am Samstag gab es zwei Workshops: einer zum Thema Video mit sehr amüsantem Ergebnis:


Schokolade @ Liberale Blogosphäre in Gummersbach.

 

Der andere Workshop hatte das Thema Überwachung und Internet-Zensur, und wurde von mir geleitet. Das Ergebnis bin ich immer noch schuldig, werde es aber mal bald nachliefern – immerhin habe ich es jetzt geschafft diesen wahnsinnig umfangreichen Text hier ;-) fertig zu stellen. Eine Zusammenfassung des Workshops findet sich im Artikel „Internet-Sperren: die Fehleinschätzungen der Befürworter“.

Am Sonntag gab es einen sehr gut vorgetragenen aber inhaltlich meines Erachtens zweifelhaften Vortrag von Carlos Gebauer. Leider habe ich die Aufzeichnung der Rede nicht online gefunden. Nun, letztendlich war das Fazit, dass der Staat nur ein gefräßiges Monster sei, das 75% aller Einnamen kassiere und es uns allen ohne Staat besser gehen würde. Aber um nicht allzusehr abzuschweifen werde ich jetzt auf die logischen Fehler, die er meines Erachtens gemacht hat, nicht weiter eingehen, denn das ist ein ganz anderes Thema ... ;-)

 

Alles in allem: auch wenn ich nicht in jeder Hinsicht der gleichen Meinung wie manche Ultra-Liberalen Mitdiskutanten bin: es war wieder ein interessantes Seminar!

 

Der AK Vorratsdatenspeicherung spielt mal wieder mit der Angst der Leute: seit heute wird zum Protest gegen den Entwurf des neuen BSI-Gesetzes aufgerufen und die dortige Änderung des §15 vom Telemediengesetz kritisiert. Diese soll beispielsweise Betreibern von Webservern erlauben, zur Abwehr von Angriffen die IP-Adressen der Nutzer zu speichern.

Schon der Titel der Pressemeldung suggeriert eine falsche Behauptung: „Kampagne gegen verdachtslose Aufzeichnung des Surfverhaltens im Internet“ sagt, es würde das Surfverhalten von allen Nutzern protokolliert und der Staat oder Firmen könnten damit herausfinden, welche Inhalte ein bestimmter Nutzer anschaut. Es suggeriert, es würde mittels „Surfprotokollierung“ ganz konkret aufgezeichnet, welche Inhalte sich Bettina Beispiel anschaut. Auch die Webseite spielt mit diesen Behauptungen:

Nach einem Gesetzentwurf von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble soll künftig nachvollziehbar werden, wer wann welche Internetseite betrachtet und welche Suchwörter eingegeben hat.

[...]

Mit Hilfe der über alle Internetnutzer gespeicherten Daten würden Rückschlüsse auf unsere persönlichen Interessen, Lebenssituation und Schwächen möglich.

Das ist grundlegend falsch. Denn anders als der AK Vorrat suggeriert, geht es weder darum, Daten wie Name und Anschrift der Nutzer zu speichern noch die Möglichkeit zu schaffen, dass an zentraler Stelle beispielsweise alle Webseiten, die ein Nutzer anschaut, gespeichert werden. Ebenso ist es nicht möglich nachzuvollziehen, wer wann welche Internetseite betrachtet oder welche Suchwörter eingegeben hat. Auch ist es nicht möglich, persönliche Interessen oder die Lebenssituation einer konkreten Person zu erfahren.

Weiter behauptet der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung:

Die Surfprotokolle sollen ohne richterliche Anordnung an Polizei, Bundeskriminalamt, Geheimdienste sowie an die Unterhaltungsindustrie herausgegeben werden dürfen.

Richtig ist, dass die Ermittlungsbehörden im Falle einer konkreten Straftat auch einen Betreiber eines Servers befragen (und so an die IP-Adresse eines konkreten Täters) gelangen können. Was ist daran falsch, eine konkrete Straftat zu verfolgen? Was ist daran falsch, wenn die Polizei die IP-Adresse eines Straftäters erhält? Und anders als behauptet: Für die „Unterhaltungsindustrie“ gilt dies nicht. Rechteinhaber können allerdings einen richterlichen Beschluss erwirken und die Herausgabe von Daten erzwingen. Dies kann man für falsch halten (ich halte das auch für falsch), aber das ist eine andere Baustelle.

Letztendlich geht es darum, dass genau das gemacht werden darf was seit jahren vollkommen normal, üblich und in vielen Fällen sinnvoll ist. Zum Beispiel das, was die Wikipedia macht: es dürfen die IP-Adressen von Nutzern gespeichert werden, um Trolle und andere Störenfriede besser im Griff zu haben (dass diese IP-Adressen bei der Wikipedia auch angezeigt werden halte ich für grenzwertig, aber das ist etwas anderes). Der Betreiber einer Webseite kann aus einer IP-Adresse nicht den Namen des entsprechenden Nutzers herausfinden. Dies können nur Strafverfolgungsbehörden bei einer entsprechenden Straftat mit Hilfe des Providers des Nutzers.

Auch ist es nicht möglich herauszufinden, welche Webseiten ein Nutzer alles angeschaut hat oder welche anderen Dienste er genutzt hat. Nur der Betreiber einer Seite weiss: aha, heute um 12:35:17 hat jemand mit der IP-Adresse 123.45.67.89 das Impressum angeschaut. Oder: jemand mit 89.67.45.123 hat im Forum herumgetrollt. Oder jemand mit der IP-Adresse 23.42.47.11 hat nach Sexsucht gesucht und danach im Forum getrollt. Mehr weiss der Betreiber nicht.


Die Alternative wäre bei vielen Webseiten, eine Zwangsregistrierung einzuführen, bei der zumindest eine E-Mail-Adresse abgefragt und validiert wird. Und diese ist selbstverständlich viel sensibler als eine IP-Adresse, daher verzichten viele Dienste wie die Wikipedia zu Recht darauf.

Die Praxis zeigt, dass es in vielen fällen notwendig ist (und es ist bekanntermaßen auch jahrelange Praxis), IP-Adressen in den Web-Server-Logs ebenso wie in Mail-Server-Logs zu speichern. Siehe auch Wikipedia: Um Vandalismus zu verhindern, ist es Notwendig bestimmte IP-Adressen zu sperren. Um zu wissen, welche gesperrt werden müssen, müssen diese aber natürlich ersteinmal gespeichert werden. Und wenn sich dann herausstellt, dass von einer IP-Adresse besonders viel Vandalismus ausgeht kann diese gesperrt werden.

Die Wikipedia geht ja sogar noch weiter und zeigt von nicht registrierten Nutzern die IP-Adresse an. Warum macht eigentlich der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung keine Kampagne gegen die Wikipedia?

 

Nun, mit der Speicherung von IP-Adressen geht die Welt nicht unter und die Privatsphäre der Nutzer wird nicht angegriffen. Dies ist alles jahrelange Praxis. Was der AK Vorrat hier macht ist Angstmacherei auf Schäuble-Niveau, und das ist richtig ekelig. Viele Leute glauben es, aber warum muss man sich auf ein solches Niveau begeben?

Zudem ist die oft aufgestellte Behauptung falsch, dass solche Daten beliebig verwendet und ausgetauscht werden dürfen. Natürlich dürfen beispielsweise Amazon und Yahoo und Google und T-Online nicht die Daten ihrer Nutzer austauschen. Daran ändert sich nichts, das war vorher schon so und wird auch weiter so sein.

Sinnvoller wäre zum Beispiel, gegen die offensichtlichen Datenschutz-Verletzungen des Deutschen Bundestages vorzugehen. So hat die Online-Petitions-Webseite massive Datenschutzverletzungen: sie verlangt Name und Anschrift von Menschen, die im Forum diskutieren wollen, was eindeutig dem Telemediengesetz wiederspricht. Ob daran der Bundestag oder der Dienstleister die Schuld trägt weiss ich nicht, aber das ist letztendlich egal: der Bundestag ist dafür verantwortlich.

Ebenso sind weite Teile der Vorratsdatenspeicherung zu kritisieren, nicht dass ich hier falsch verstanden werde. Die Speicherung von IP-Adressen bei einem Server-Betreiber gehört aber nicht dazu, da kein Eingriff in die Privatsphäre vorliegt. Die Angst der Menschen wird durch den AK Vorrat geschürt, hat aber keinen realen Hintergrund. Um die eigenen Ziele durchzusetzen wird hier also mit den gleichen Tricks gespielt, die auch schon Bush, Schäuble und Co. angewendet haben.

(Update 15:25: Zitate und Ergänzungen)

Aktuelle Kommentare

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