Mit der Zeit werden immer mehr Details bezüglich der Sperr-Pläne aus dem Familienmnisterium bekannt. Die Kritik bleibt aber leider weiterhin hauptsächlich in der Netz-Szene – außerhalb wird sie entweder ignoriert oder Kritiker als Kinderpornofreunde beschimpft. Die grundlegenden Fehler der Filter-Befürworter werden leider in der Politik und bei den Mainstream-Median kaum wahrgenommen.
Dennoch sind mehrere Sachen aufschlussreich: Vodafone/Arcor ist (nach meinem Kenntnisstand) der einzige Provider, der die Pläne von Ursula von der Leyen offen unterstützt – nach entsprechenden Berichten hat sich deren Direktor Unternehmenskommunikation und Politik Thomas Ellerbeck für die Pläne aus dem Familienministerium eingesetzt. Dabei ist interessant, dass er durchaus mit der Politik verdrahtet ist – als ehemaliger Leiter der Pressestelle der Staatskanzlei von Mecklenburg-Vorpommern und stellvertrenender Sprecher von Roman Herzog gibt es hier sicherlich diverse Kontakte.
Vielleicht liegt der Einsatz für Filter bei Vodafone aber auch daran, dass man den in Großbritannien genutzten Filter weiterverkaufen möchte? In Tschechien ist er schon im Einsatz: dort filtert Vodafone das, was sie als Kinderpornografie ansehen. Wieso aber nicht nur vollkommen unverdächtige Technik-Webseiten und Tipps wie Studenten bei Vodafone Geld sparen können auf den Sperrlichen landet, das bleibt wohl das Geheimnis von Vodafone ...
Das Familienministerium ist derweil Beratungsresistent: Diskussionen werden grundsätzlich unterdrückt. So wurde mir anonym ein Bericht von Teilnehmern der „Arbeitsgruppe Access Blocking“ weitergeleitet, der sehr aufschlussreich ist:
Am Freitag hat im Bundesfamilienministerium wieder die "Arbeitsgruppe 'Access Blocking'" getagt. Auf der Agenda stand die Diskussion über den Entwurf einer "freiwilligen" Vereinbarung, den das BMFSFJ am Mittwoch Abend verteilt hatte und der am Freitag vom CCC veröffentlicht wurde (und übrigens a) als Entwurf und b) nicht als vertraulich gekennzeichnet war).
Als Providervertreter zu Beginn des Termins den potenziellen Eingriff in das Grundrecht des Telekommunikationsheimnisses ansprachen, versuchte die in der AG federführende Vertreterin des BMFSFJ, Frau Dr. Annette Niederfranke, eine entsprechende Diskussion zu unterbinden, was die Provider ablehnten. Der Vertreter des Referats Grundsatzfragen des Bundesministeriums des Inneren vertrat die Rechtsauffassung, dass der Abruf von Webseiten generell nicht dem Grundrecht des Telekommunikationsheimnisses nach Art. 10 Abs. 1 des Grundgesetzes unterliege. Demzufolge sei auch § 88 TKG nicht einschlägig. Anwesende bezeichneten diese Ausführungen als "unterirdisch".
Als Ergebnis erteilte die Arbeitsgruppe dem BMI den Auftrag, ein Gutachten zu erstellen, das sowohl einen möglichen Eingriff in das TK-Geheimnis durch entsprechende Maßnahmen als auch dessen Abdingabrkeit durch AGB-Änderungen evaluieren soll.
In der anschließenden Diskussion äußerten die Provider Kritik an nahezu allen Punkten des vorliegenden Vertragsentwurfs. Besonders kritisch wurde der Vorschlag angesehen, Mittels einer AGB-Änderung das Telekommunikationsgeheimnis einzuschränken (gleichzeitig wunderten sich Provider, warum denn eine solche Regelung notwendig sei, wenn doch laut BMI das Fernmeldegeheimnis nicht berührt sei...). Als weiteres Problem in diesem Zusammenhang wurde angesprochen, dass eine AGB-Änderung für Bestandskunden zustimmungspflichtig wäre. Im Falle eines Widerspruchs müssten die Provider entweder für beide Kundengruppen getrennte DNS-Infrastrukturen vorhalten, oder aber die "widerspenstigen" Kunden kündigen - eine Variante, für die sich nur Vodafone klar aussprach.
Schließlich wurde heftig über den geplanten "Stopp-Server" diskutiert. Auf diesen Web-Server sollen per DNS-Umleitung alle Anfragen umgeleitet werden, die auf Domains, die Bestandteil der "Sperrliste" des BKA sind, zielen. Die Provider würden diesen Server am liebsten beim Bundeskriminalamt sehen, das in jedem Fall für die inhaltliche Gestaltung verantwortlich sein soll. Das BKA sieht hierbei jedoch ein "Akzeptanzproblem": Das Amt möchte explizit keine Logfiles (und damit Referrer oder IP-Adressen von Nutzern) speichern (und gäbe damit natürlich eine Möglichkeit zur Täterermittlung und Strafverfolgung aus der Hand). Nun wird nach einem "vertrauenswürdigen Dritten" gesucht, der eine solche Seite betreuen könnte. Vodafone beteiligte sich an der Diskussion nicht, wollte sich aber die Möglichkeit von "individuellen Zusatzvereinbarungen" zu einem entsprechenden Vertrag offen halten.
Aufgrund der Vielzahl der geäußerten Bedenken bat das BMFSFJ die Provider, nun den Vertragsentwurf in einer eigenen Arbeitsgruppe bis kommenden Donnerstag zu überarbeiten und dann mit einem neuen Entwurf in das nächste Meeting der AG Access Blocking am kommenden Freitag, 20.02. zu gehen.
Neben der irrwitzigen Behauptung, dass der Abruf von Webseiten nicht unter das Telekommunikationsgeheimnis falle finde ich es dabei durchaus interessant, dass ausgerechnet das BKA nicht die Daten der vermeintlichen Konsumenten haben will. Man kann sich da die Frage stellen: Sind es überhaupt Kinderporno-Konsumenten? Oder handelt es vielleicht nur um Inhalte, bei denen die Strafverfolgung schwierig ist, da sie ganz knapp an der Strafbarkeit vorbeischrammen?
Das wäre ja auch ein Grund, warum denn viele Webseiten aus westlichen Ländern auf der Sperrliste stehen: wirklich illegal sind sie nicht, eine Strafverfolgung nur schwer möglich. Da frage ich mich: wie wollen das BKA und Ursula von der Leyen vor dem Bundesverfassungsgericht argumentieren, wenn sie Inhalte, die keine strafbare Kinderpornographie sind, mit dem Argument der Kinderpornographie sperren wollen? Da könnte ich mir einen sehr interessanten und amüsanten Auftritt von Dirk Heckmann vorstellen ...
Diverse technische Probleme wird es auch geben. Fefe weist darauf hin, dass die Liste der Domains keine Wildcard-Domains abgreifen soll. Und wenn der erste Webseitenbetreiber auf der Filterliste einen Wildcard-DNS-Eintrag anlegt, ist der Filter wirkungslos: denn dann geht domain1.boese-domain.org, domain2.boese-domain.org, blabla.boese-domain.org – aber auch afssghamua.boese-domain.org und so weiter. Wieviele Millionen Einträge soll die Liste haben? Ach, sie soll ja auf ein paar Tausend Einträge beschränkt bleiben ...
Derweil outen sich Ilse Elisabeth Falk und Johannes Singhammer von der CDU/CSU Bundestagsfraktion als Laien, die dennoch was sagen wollen. Vielleicht gibt es ja unter ihren Mitarbeitern auch Internet-Ausdrucker-und-wieder-Einscanner? So unterstellt Falk den Gegnern, Kinderschänder zu unterstützen:
Wer angesichts dieser grauenvollen Tatsachen mit fadenscheinigen Argumenten versucht, die Pläne von Bundesfamilienministerin von der Leyen zu torpedieren, diesem Treiben ein Ende zu setzen, handelt verantwortungslos und stellt die Interessen skrupelloser Geschäftemacher über den Schutz der Kinder.
Liebe Frau Falk: Frau von der Leyen ist diejenige, die die „skrupellosen Geschäftemacher“ unterstützt, indem sie sich lieber die Augen verschließt als etwas gegen die Verbreiter der Inhalte zu unternehmen.
Und Singhammer ist so naiv zu behaupten, dass es nur um Kinderpornographie gehe:
Wichtig in der laufenden Diskussion: Die Zugriffssperren sollten ausschließlich für das Thema Kinderpornografie im Internet gelten. Kinderpornografie ist im Gegensatz zu Extremismus oder Gewalt im Internet gut abgrenzbar. Das Bundeskriminalamt recherchiert die gefährlichen Seiten, stellt eine Liste zusammen und gibt diese verschlüsselt an die Provider. Das BKA trägt dafür auch die Verantwortung und Haftung.
Lieber Herr Singhammer, dann erklären Sie mir doch mal, warum auf den einschlägigen Listen tausende Webseiten aus westlichen Ländern sind, einige davon aus Deutschland (siehe Details auch im Scusiblog)? Warum machen Sie, Herr Singhammer, und Sie, Frau Falk, denn nichts gegen Kinderpornographie und fordern nicht, dass die Webseiten geschlossen werden? Die Blockade-Forderung erinnert mich an meine zweijährige Tochter Franka: Sie hält sich die Augen zu und sagt: „Franka Weg.“ ...
Da man von der Leyen, Singhammer, Falk und anderen Filter-Befürwortern nicht unbedingt unterstellen kann, auf dem geistigen Niveau Zweijähriger zu sein liegt nahe: Es geht gar nicht um Kinderpornographie.
Hallo Alvar,
vielleicht noch eine juristische Ergänzung. Der Bund und das BKA sind nach geltendem Recht gar nicht zuständig, weshalb der Vertrag schon aus diesem Grund rechtswidrig ist. Und rechtswidrige öffentlich-rechtliche Verträge sind nichtig.
http://www.internet-law.de/2009/02/zum-sperrvertrag-zwischen-dem-staat-und.html
Wenn die Familienministerin und das BKA mit der Schwachsinngen Internetzensur durchkommen, erwarte ich das mittelfristig das Halbe Internet in Deutschland wegzensiert wird.
Ich sehe sogar kritische sites, wie die vom CCC bald weggesperrt.
Wißt ihr wieviele Namen auf der amerikanischen No-Fly-List inzwischen drauf stehen? Es sind 2 MILLIONEN Namen!! Und sogar Abgeordnete und Senatoren stehen drauf und werden am Fliegen gehindert! Von der Liste runter zu kommen, ist auch für einen wie Senator Kennedy schier unmöglich gewesen!
Inzwischen habe die Amis aber die Lösung: eine White List, damit Schmidt und Fischer doch noch fliegen dürfen, auch wenn sie auf der black list stehen...
Die Lösung können nur Autonome, Selbstorganisierte , Annonyme,
Netze sein!!
Danke, Thomas, für die Ergänzung.
Dies hätte dann letztendlich zur Folge, dass die Provider sich nicht an den Vertrag zu halten brauchen, da er ja rechtswidrig ist, oder?
Rechtlich betrachtet, wäre das nach meiner Einschätzung so.
Aber tatsächlich wird das wohl keine Rolle spielen. Denn die ISPs sind ja ohnehin rechtlich nicht verpflichtet, derartige Verträge abzuschließen, machen es aber aus politischen Gründen trotzdem. Also werden sie anschließend auch eine rechtlich unwirksame Vereinbarung beachten.