Juli 2010 Archive

Noch einmal möchte ich hier etwas zur Loveparade schreiben, auch wenn das nicht das übliche Thema in diesem Blog ist. (siehe auch meinen ersten Bericht: Was passierte auf der Loveparade warum? Wer hat die Schuld?)

Ergänzend zu den in der Presse bzw. im ersten Untersuchungsbericht beschriebenen Abläufen erscheint es mir das Unglück in der Zwischenzeit folgendermaßen abgelaufen zu sein (Korrekturen und Ergänzungen gerne in den Kommentaren anbringen):

Die großen Fragen zur Katastrophe bei der Loveparade in Duisburg sind:

  1. Wer trägt die Schuld, dass es so weit kommen konnte
  2. Warum ist es passiert

(siehe auch: Der Ablauf der Tragödie Loveparade)

Zu beiden Fragen wurde in den letzten Tagen viel spekuliert, geschrieben und gesagt. Im Folgenden habe ich ein paar Punkte zusammengefasst und vor allem ein bis jetzt noch wenig bekanntes Video gefunden, dass mit dem Absturz einer Person von der rosa Plakatwand einen eventuellen Auslöser zeigt.

Klar ist, dass sich die Schuldigen zu Punkt 1 – egal, wer es nun sein mag – herausreden werden: nein, das Gelände war nicht zu klein, nein, es war alles in Ordnung, nein, es gab kein vorhersehbares Chaos. Und: seht, da sind Leute die Wände runtergefallen, die tragen die Schuld!

Dank Internet, Youtube und Handy-Videokameras haben wir aber seit einiger Zeit erstmals die Situation, dass in großer Masse zeitgeschichtliche Dokumentationen von großen Veranstaltungen zur Verfügung stehen und somit demokratisiert werden. Vor 10 Jahren wären so schnell keine Details bekannt geworden, es gäbe nur wenige Beweise. Aber heute ist die breite Öffentlichkeit nicht mehr auf spärliche Informationen angewiesen, sondern kann sich bei Interesse weitgehend selbst ein Bild machen. Im Netz gibt es so viel Bildmaterial, dass sich die Situation im Nachhinein nicht mehr herunterspielen lässt. Per Twitter und Blogs werden Nachrichten schnell verbreitet, Radio und Fernsehen greifen es dann oft auf. Die Kehrseite der Medaille ist, dass auch viele unschöne Szenen vom Sterben, Wiederbelebungsversuchen und Toten zur Verfügung stehen. Die Gratwanderung, was man noch anschauen oder gar veröffentlichen soll und was nicht, ist dabei schwer.

Der Absturz am Plakat

Um die Ursachen zu finden habe ich mich dennoch bei Youtube und anderswo auf die Suche gemacht. Was ist da passiert, warum ist es so passiert? Dabei habe ich ein Video gefunden, das möglicherweise zwei der vielen ausschlaggebenden Auslöser der Katastrophe zeigt:

Die Redaktion von vorwaerts.de hat gestern zwei Artikel über den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag veröffentlicht: ein Interview mit Martin Stadelmaier, Chef der rheinland-pfälzischen Staatskanzlei und federführend beim Entwurf des JMStV beteiligt, und Stellungnahmen der SPD-Landtagsfraktionen zum Staatsvertrag.

Kurzzusammenfassung: Stadelmaier will die Probleme nicht erkennen bzw. redet sich mit der Freiwilligkeit der Eltern raus. Dies wurde aber sowieso nie kritisiert. Wie tief sich die Landtagsfraktionen mit dem Thema beschäftigt haben ist unterschiedlich, teilweise werden auch nur die Argumente Stadelmaiers nachgeplappert. 

Aber der Reihe nach:

Nach einem Bericht von Welt Online schafft es das BKA nicht, Webseiten mit Darstellungen sexuellen Missbrauchs von Kindern schnell zu löschen. 40% der Webseiten seien noch eine Woche nach Bekanntwerden abrufbar. Das verwundert nicht, will das BKA doch nicht nur unbedingt Sperren, sondern auch neue Kompetenzen – die es mit dem Zugangserschwerungsgesetz und Internet-Sperren bekommt. Da ist es nicht hilfreich, wenn andere Lösungen viel besser funktionieren. Der gesamte BKA-Bericht liegt der Welt Online nach eigenen Aussagen vor, aber ohne konkrete Kenntnis der Inhalte ist es natürlich schwer, zu beurteilen was nun drin steht.

Klar ist aber, wer die Übeltäter sind: 

Beim BKA gingen zwischen Januar und Juni lediglich 20 direkte Löschungsbestätigungen ein, hauptsächlich aus der Russischen Föderation. Die meisten Server stehen dort und in den USA und Niederlanden, aber auch in Kanada, Schweden und Zypern.

In Russland klappt es also, aber in den USA, den Niederlanden, Kanada, Schweden und Zypern nicht? Also alles Schurkenstaaten? Mitten in den EU? Wäre es da nicht naheliegend, die internationale Zusammenarbeit zu verbessern, wie der AK Zensur schon seit langem fordert?

Fazit des Bundesinnenministeriums in seinem Entwurf zu einem Aktionsplan gegen Kinderpornografie ist, dass „die Kooperation zwischen den Staaten besser werden muss.“ Vor allem bei der Rückmeldepraxis aus den USA und den Niederlanden sieht das Ministerium „Verbesserungspotenziale“.

Apropos: die Niederlande planen gerade auch Sperren, die Schweden haben sie schon. Also, sie blockieren lieber als gegen die Inhalte vorzugehen?

 

So manche Argumentation von Ziercke ist allerdings hanebüchener Unfug:

BKA-Präsident Jörg Ziercke hatte mehrfach für Sperren im Internet plädiert, stößt mit dieser Ansicht aber auf den Widerstand bei der mitregierenden FDP, die Liberalität im Netz fordert. Das alleinige Löschen führt laut Ziercke nicht zum Verschwinden der schrecklichen Bilder aus dem Internet, weil die Produzenten stets über Kopien des Materials verfügen.

Herr Ziercke, können Sie mir erklären, was eine Blockade daran ändert? Sie ändert eins: das Material bleibt für die Konsumenten verfügbar. Wenn die Webseite gelöscht wird, ist es nicht mehr verfügbar – so lange, bis der Anbieter das woanders hochgeladen hat. Daher war schon immer unsere Forderung: die Anbieter müssen strafrechtlich verfolgt werden. 

 

Zudem sollte man sich immer wieder ins Bewusstsein rufen: nach einer Studie der Universität Cambridge können Bankbetrugs-Webseiten international innerhalb von vier bis acht Stunden gelöscht werden. Warum sollte das bei popeligen Betrugs-Webseiten schneller gehen als bei international geächteten und auch in den USA strafbewährten Inhalten? Der Verdacht, dass das BKA hier ineffiziente Wege nutzt, drängt sich förmlich auf.

 

Apropos: auf der aktuellen dänischen Sperrliste sind immer noch Webseiten aus Deutschland. Eine davon ist mir bekannt. Sie enthielt vor Jahren mal – soweit das aus Archiven ersichtlich ist – FKK-Bilder, aber schon immer ein korrektes Impressum. Der Domaininhaber sitzt in Deutschland. Seit einiger Zeit sind auf der Web-Seite nur noch nicht-sexuelle Inhalte zu sehen. Dennoch wird sie in Dänemark blockiert.

 

Update: Interessant ist auch:

Bis zum Verschwinden der Seiten gibt es laut der Untersuchung „immense Zugriffszahlen“, was zu „einer Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ führe.

Da fragt man sich: woher wollen sie das wissen? Sie haben ja angeblich keine Ahnung wer die Seiten betreibt, kommen nicht an die Hintermänner, die Löschung läuft schleppend – und es gibt immense Zugriffszahlen? Diese angeblichen immensen Zugriffszahlen sind wohl eher eine Wunschvorstellung des BKA.

 

Insgesamt ist die Zahlenangabe zu den Löscherfolgen wohl auch nicht exakt, die konkreten Zahlen schwanken von Monat zu Monat. Da es sich sowieso nur um eine geringe Anzahl handelt (20 gelöschte Webseiten, bei 60% wären es insgesamt 33 Webseiten), ist die Schwankungsbreite naturgemäß sehr hoch. Und nach meinem Kenntnisstand versucht das BKA weiterhin die Löschungen nur über Interpol und die „üblichen“ Kanäle, nutzt also keine weitergehenden Möglichkeiten.

Seit gestern Abend ist bei mir (in Stuttgart Wangen) die VDSL-Leitung der Telekom weg. Was heißt weg, DSL-Verbindung kommt meistens zustande, aber auf IP-Ebene hakt es. Nach 30 Minuten in der Warteschleife behauptete der Support steif und fest, dass bei anderen Kunden keine Probleme bekannt seien, und heute sich jemand vom 3rd-Level-Support melden würde. Schließlich sind die um 20 Uhr in den Feierabend gegangen und meine Meldung kam erst um 19:45. Es hat sich aber bisher keiner gemeldet. Naja, es ist Sonntag … ;-)

Kennt jemand das Phänomen: DSL-Verbindung steht, Router hat eine IP, Ping/Traceroute funktioniert. HTTP o.ä. nicht. Da habe ich genauer nachgeschaut: kleine IP-Pakete gehen durch, größere nicht. Das reicht für eine kleine HTTP-404-Fehlermeldung, einen Ping oder DNS-Lookups, aber alles andere bleibt hängen. Es scheint also Probleme mit nicht ganz kleinen TCP Paketen zu geben. Daher habe ich mal versucht, im Client die Standard-MTU von 1500 Bytes herabzusetzen – und tatsächlichlich, bei einer MTU von 100 (!) klappt es ein wenig und sehr wackelig, 128 ist schon zu groß. Man sollte also meinen, dass da bei der Telekom im Routing einiges schief geht.

Aber kann das auch ein Bug/Defekt im Router sein, ist jemandem entsprechendes bekannt? Es ist ein Speedport W 721V, also einer der VDSL-Router der Telekom. Da die Telekom steif und fest behauptet, dass ihnen keine Netz-seitigen Probleme bekannt seien, wäre dies ja eine Möglichkeit.

Immerhin: mit einer MTU von 100 geht das Netz etwas, und zur Not habe ich UMTS.

Ein „normaler“ Web-Zugriff aus tcpdump sieht so aus:

tcpdump: listening on en1, link-type EN10MB (Ethernet), capture size 65535 bytes
11:00:03.102366 IP (tos 0x0, ttl 64, id 11509, offset 0, flags [DF], proto TCP (6), length 64)
    192.168.1.100.51379 > 217.118.27.56.80: Flags [S], cksum 0x4cea (correct), seq 1681018923, win 65535, options [mss 1460,nop,wscale 3,nop,nop,TS val 964525179 ecr 0,sackOK,eol], length 0
11:00:03.126918 IP (tos 0x0, ttl 58, id 58259, offset 0, flags [DF], proto TCP (6), length 60)
    217.118.27.56.80 > 192.168.1.100.51379: Flags [S.], cksum 0x6d65 (correct), seq 1323724496, ack 1681018924, win 65535, options [mss 1452,nop,wscale 3,sackOK,TS val 2645136672 ecr 964525179], length 0
11:00:03.126989 IP (tos 0x0, ttl 64, id 2535, offset 0, flags [DF], proto TCP (6), length 52)
    192.168.1.100.51379 > 217.118.27.56.80: Flags [.], cksum 0x9c25 (correct), seq 1, ack 1, win 65535, options [nop,nop,TS val 964525179 ecr 2645136672], length 0
11:00:03.127304 IP (tos 0x0, ttl 64, id 48810, offset 0, flags [DF], proto TCP (6), length 508)
    192.168.1.100.51379 > 217.118.27.56.80: Flags [P.], cksum 0x178c (correct), seq 1:457, ack 1, win 65535, options [nop,nop,TS val 964525179 ecr 2645136672], length 456
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    192.168.1.100.51379 > 217.118.27.56.80: Flags [P.], cksum 0x1783 (correct), seq 1:457, ack 1, win 65535, options [nop,nop,TS val 964525188 ecr 2645136672], length 456
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    192.168.1.100.51379 > 217.118.27.56.80: Flags [P.], cksum 0x176f (correct), seq 1:457, ack 1, win 65535, options [nop,nop,TS val 964525208 ecr 2645136672], length 456
11:00:10.107653 IP (tos 0x0, ttl 64, id 34274, offset 0, flags [DF], proto TCP (6), length 508)
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11:00:18.116672 IP (tos 0x0, ttl 64, id 21393, offset 0, flags [DF], proto TCP (6), length 508)
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11:00:31.932575 IP (tos 0x0, ttl 64, id 55748, offset 0, flags [DF], proto TCP (6), length 508)
    192.168.1.100.51278 > 217.118.27.56.80: Flags [FP.], cksum 0x0ad8 (correct), seq 804391936:804392392, ack 2219363545, win 65535, options [nop,nop,TS val 964525466 ecr 3828629392], length 456
11:00:34.136103 IP (tos 0x0, ttl 64, id 21211, offset 0, flags [DF], proto TCP (6), length 508)
    192.168.1.100.51379 > 217.118.27.56.80: Flags [P.], cksum 0x1657 (correct), seq 1:457, ack 1, win 65535, options [nop,nop,TS val 964525488 ecr 2645136672], length 456

Am kommenden Montag den 5. Juli findet die vierte Sitzung und erste Expertenanhörung der Enquête-Kommission Internet und digitale Gesellschaft statt. Die Sitzung ist öffentlich, eine persönliche Teilnahme ist möglich.

Und Ihr könnt mitmachen: Zu der öffentlichen Anhörung können online Fragen gestellt werden, und zwar im Diskussionsforum zur Enquête. Zwei der Fragen werden ausgewählt und den geladenen Experten gestellt.

Auf der Bundestags-Webseite gibt es auch eine Seite zur Anhörung Seite zur Anhörung (neue URL), in der alle relevanten Dokumente und schon eingetroffene Stellungnahmen aufgeführt sind, zum Beispiel die Fragen der Fraktionen (in die auch die Fragen von uns Sachverständigen eingeflossen sind) oder die Stellungnahmen der geladenen Experten.

 

Am Dienstag trifft sich dann die Web-Arbeitsgruppe, der ich auch angehöre. Die AG ist relativ klein (und hoffentlich entsprechend produktiv) und wird Verbesserungsvorschläge für den Web-Auftritt der Enquete ausarbeiten.

 

Aktuelle Kommentare

  • Timo: Hier ein interessanter Artikel über die SCHUFA und was sie weiter lesen
  • Pa: If your government (or company or school) blocks youtube site, weiter lesen
  • Egal: Noch ein Leak: Der Alvar hat auch ein Gutachten zur weiter lesen
  • Alvar: Zur Info: Nebenan habe ich unter http://blog.alvar-freude.de/2014/01/gutachten-vorratsdatenspeicherung.html ein technisches Gutachten weiter lesen
  • Robert L.: Ich finde das mit den rechtlichen Rahmenbedingungen gar nicht so weiter lesen
  • Anonym: ...genauer gesagt, war die auskunft der bahncard-kreditkarten-hotline, dass der verfügungsrahmen weiter lesen
  • tatata: die information stammt aus zwei telefonaten mit der commerzbank. ich weiter lesen
  • Alvar Freude: Hast Du nähere Infos darüber, dass die Bahn die Entscheidungen weiter lesen
  • tatata: das problem ist nicht die commerzbank. es ist die bahn. weiter lesen
  • Medyum: daß User auf Selbstzensur setzen, die wie Sie sicher wissen weiter lesen

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