Mehrere Bundestags-Kandidaten quasi aller Parteien fordern eine Ausweitung von Internet-Sperren. Das Schlagwort vom angeblich „rechtsfreien Raum“ ist in Wahlkampfzeiten natürlich beliebt. Bei den Urheberrechtsfragen besteht innerparteilich weniger Einigkeit als man denkt und bei den Internet-Sperren wollen angeblich auch Union und SPD „löschen statt sperren“. Nur komisch, dass sie erst kürzlich ein anders lautendes Gesetz verabschiedet haben – und viele Abgeordnete die nun „keine Zensur“ heucheln haben zugestimmt. Es ist Wahlkampf, und dank WEN WÄHLEN? treten so einige interessante Einblicke zu Tage ...
Im folgenden eine Zusammenfassung der Antworten und Begründungen der Kandidaten bei den netzpolitisch relevanten Thesen. (Anmerkung: Ein paar Infos zu dem was man als Wähler bei WEN WÄHLEN machen kann gibt es im alten Beitrag)
Bei WEN WÄHLEN? haben wir alle Kandidaten zum 17. Deutschen Bundestag gebeten, ihre Meinung zu 56 Thesen (auch als PDF/Druckversion) kund zu tun. Knapp 1000 Kandidaten haben zumindest einen Teil beantwortet, zum jetzigen Zeitpunkt haben 735 Kandidaten die Eingabe komplett abgeschlossen, dazu gehören zum Beispiel auch Kontaktdaten. Am fleißigsten waren dabei die Grünen, gefolgt von der Linkspartei, FDP und SPD. Viele Kandidaten haben bei der Beantwortung der Thesen auch eine Begründung abgegeben. Genauer: Bis zum jetzigen Zeitpunkt haben die Kandidaten über 16000 (sechzehntausend!) einzelne Begründungen abgegeben!
Einige davon sind zwar Copy&Paste von Vorlagen der Partei (und das trotz gegenteiliger Bitte), andere sind aber teilweise durchaus interessant.
Noch ein Hinweis: die Prozentangaben im Folgenden sind vom 22. September. Da laufend weitere Kandidaten teilnehmen können die sich noch leicht ändern.
Ablauf
Die Kandidaten bekamen 56 Thesen vorgelegt, die sie jeweils mit „Ja!“, „Eher ja“, „Unentschieden“, „Eher nein“ und „Nein!“ beantworten konnten. Außerdem konnten sie 60 Sternchen auf elf Werte und Ziele verteilen sowie ein paar weitere Angaben machen. Hier spielen aber nur die Thesen eine Rolle. Die Antworten zu den Thesen konnten auch begründet werden. Als Nutzer kann man das ganze natürlich auch durchmachen: Einfach hier Postleitzahl oder Wahlkreis angeben und den Test starten.
Ausweitung von Internet-Sperren
Die These:
Das „Zugangserschwerungsgesetz“ soll ausgeweitet werden.
Die geheimen Internet-Sperrlisten des Bundeskriminalamts dürfen derzeit nur Webseiten mit kinderpornographischen Inhalten enthalten. Sollen die Sperren auch auf andere Inhalte wie beispielsweise Urheberrechtsverletzungen, Glücksspiel-Angebote (z.B. Online-Poker), rechtsextremistische Inhalte, islamistische Propaganda oder Beleidigungen ausgeweitet werden?
In allen größeren Parteien gibt es Befürworter einer Ausweitung der Internet-Sperren: Bei CDU/CSU sind insgesamt ca. 23% dafür und weitere 23% schließen sich der Meinung ihrer Partei an. Bei anderen ernst zu nehmenden Parteien (sprich: nicht BüSo) sind die Sperrbefürworter aber nur eine Randgruppe, bei den Piraten gibt es erwartungsgemäß gar keine.
In den Begründungen wird es deutlicher: Der CDU-Bundestagsabgeordnete Bernd Reinhold Gerhard Heynemann schreibt in seiner Begründung:
Was »offline« strafbar ist, muss auch »online« sanktionierbar sein.
Als ob das nicht schon immer so ist – aber jetzt muss es für neue Sperren herhalten.
Seine Kollegin Anette Hübinger will ganz explizit rechtsextreme Inhalte blockieren:
Bei einer möglichen Ausweitung des »Zugangserschwerungsgesetzes« muss mit bedacht vorgegangen werden, um nicht über das Ziel hinaus zu schießen. Die Erschwerung des Zugangs zu rechtsextremen Inhalten ist sicherlich sehr sinnvoll und kann dahingehend diskutiert werden.
Auch Winfried Anslinger, Pfarrer und Kandidat der Grünen, möchte „eher ja“ weitere Internet-Sperren, schränkt in seiner Begründung ein:
Man muss aber sorgfältig abwägen, um Zensurtendenzen zu vermeiden. Nur strafbare Inhalte sollen gesperrt werden können. Bagatellen im Bereich von Ordnungswidrigkeiten nicht. Auch Beleidigungen nicht. Dagegen kann man sich anders zur Wehr setzen.
Aber nur mit klaren Kriterien, damit nicht eine neue Zensurbehörde daraus wird.
Das Gesetz zur „Bekämpfung der Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen“ ist eine wichtige Komponente für den Kinderschutz. Für uns ist aber auch klar, dass die Sperrmaßnahmen auf kinderpornographische Internet-Seiten beschränkt bleiben und nicht ausgeweitet werden.
Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Was in der wirklichen Welt verboten ist, sollte auch im Internet verboten sein. Das hat nichts mit Zensur zu tun. Zensur lehnen wir in der SPD-Fraktion aufs Schärfste ab.
Das Zugangserschwerungsgesetz ist leider im Kampf gegen Kinderpornographie völlig wirkungslos. Darüber hinaus stellt es einen ersten Schritt zu einer Zensurinfrastruktur dar. Man sollte nicht den Fehler machen, solche Zensurinstrumente weiter zu fördern.
Mehr Regeln gegen Schund und Schmutz im Netz
Etwas deutlicher fallen die Antworten zu der These aus, ob das Internet stärker reguliert werden sollte, die konkrete These:
Das Internet sollte stärker reguliert werden.
Das Internet sollte stärker reguliert werden, um die Bevölkerung und die Jugend vor Kriminalität, Terrorismus sowie „Schund und Schmutz“ zu schützen.
Die Kandidaten der CDU/CSU sind zu rund 41% dafür, 23% dagegen und 35% sind unentschieden bzw. schließen sich der Meinung ihrer Fraktion an. Auch hier sind die anderen Parteien deutlich mehrheitlich dagegen, und auch wieder erwartungsgemäß gibt es bei den Piraten keine Regulierungs-Befürworter.
Interessanterweise sind auch einige FDP-Kandidaten unter den eindeutigen Regelungs-Befürwortern. So schreibt André Hubatschek:
Ja, aber sinn- und wirkungsvoll, das hat nichts mit Zensur zu tun. Kinderpornos, Bombenbauanleitungen, Gewaltverherrlichung usw. dürfen nicht noch durch dieses schnelle Medium befördert werden. Wie so etwas wirkungsvoll verhindert werden kann, wissen die Techniker besser (Problem: Umweg über ausländ. Server).
Und der FDP-Bundestagsabgeordnete Konrad Schily schreibt:
Auch bei Druckerzeugnissen darf nicht alles, z.B. Volksverhetzung oder anderes, auf den Markt gebracht werden.
Automatische Internetsperren dürfen nicht eingesetzt werden. Dies muss eine Einzelfallentscheidung bleiben.
Freiheit des Internet klingt gut und das Internet ist vielfach nützlich und interessant. Aber in einigen Jahren werden wir merken, daß das Internet kein Ersatz für die Erziehung zur eigenen Ethik und Moral und kein Ersatz für eigenes Denken ist.
Auch im Internet müssen Regeln gelten. Der Schutz von Urheberrechten – wer etwas erarbeitet muss auch die Möglichkeiten haben es zu verkaufen – und der Schutz insbesondere von Kindern und Jugendlichen – Kinderpornografie – macht eine Regulierung auch des Internets nötig.
Um Kinderpornografie zu verhindern und Straftaten einzudämmen, darauf begrenzen.
Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Schund und Schmutz ist nicht verboten, aber Kriminalität ist dort genauso zu verfolgen wie im »echten« Leben. Wer strafbare Inhalte sucht, muss durch Sperren hieran gehindert werden, und wer diese umgeht, beweist besondere kriminelle Energie. Eine allgemeine »Zensur« aber verbietet unsere freiheitliche Grundordnung, und wird es daher natürlich auch im Internet nicht geben.
Wir müssen alles daran setzten, um Kriminalität im Internet zu verhindern und besonders unsere Kinder und Jugendlichen zu schützen.
Löschen statt Sperren?
Internet-Seiten mit kinderpornographischen Inhalten sollen entfernt statt blockiert werden.
Derzeit erstellt das BKA Listen mit Webseiten, die kinderpornographische Inhalte haben. Die Internet-Zugangs-Anbieter sind verpflichtet, diese Sperrlisten einzusetzen. Dadurch bleiben die Webseiten im Netz, nur der Zugang aus Deutschland wird erschwert. Sollen stattdessen Strukturen ausgeweitet werden, die das Löschen entsprechender Webseiten auch auf internationaler Ebene möglich machen?
Und, man glaubt es kaum: nur rund 3% der CDU/CSU-Kandidaten und rund 4% der SPD-Kandidaten sind dagegen.
Hallo? Frage richtig gelesen?
Da steht deutlich das Wort statt, aber viele dieser Damen und Herren haben gerade genau das Gegenteil beschlossen.
Das zeigt mir mehrere Sachen: zum einen ist die Frage sicherlich nicht ideal formuliert, wenn man sie auf das Gesetz bezieht. Zum anderen zeigt sich, dass durch die Art der Frage eine andere Antwort von den meisten Kandidaten nicht vertreten werden kann: wer will schon zugeben, das er gegen eine wirksame Lösung ist, wer kann denn gegen entfernen sein? Daher heuchelt man lieber vor, für die bessere Lösung zu sein, auch wenn man gerade die Gegenteilige beschlossen hat.
Viele der Koalitions-Abgeordneten bzw. Kandidaten haben bei WEN WÄHLEN? also für „Löschen statt sperren“ gestimmt, aber gleichzeitig „Sperren statt andere Wege suchen“ gemeint. Viele behaupteten, das Löschen sei nicht möglich, dann müsse blockiert werden. Eine interessante Frage an diese Kandidaten wäre mal, ob sie genauere Erkenntnisse als die Bundesregierung haben, denn die Bundesregierung weiss nichts von Ländern, in denen entsprechende Inhalte liegen aber nicht entfernt werden können. Offensichtlich bilden sich die Abgeordneten ein, mehr zu wissen ...
Nur wenige Kandidaten bzw. Abgeordnete haben sich getraut, die These so zu beantworten wie sie bis vor kurzem abgestimmt haben. Zum Beispiel die SPD-Abgeordnete Angelika Graf, die das folgendermaßen begründete:
Wir haben keinen Zugriff auf ausländische Server, deswegen bleibt nur die Sperrung.
Einführung eines Internet-Ausweises
Wer sich nicht zu erkennen gibt, hat was zu verbergen.
Klar ist, daß sich im Internet keine Anonymität breit machen darf. Ob ein Internet-Ausweis hier ein geeignetes Mittel ist, muß mit Experten diskutiert werden.
Die Einführung eines extra „Internet-Ausweises“ zu Zwecken der Strafverfolgung halten wir nicht für zielführend.
Positiv anzumerken ist aber, dass es mit dem neuen elektronischen Personalausweis zukünftig möglich sein wird, Käufe und Verkäufe im Internet rechtssicher abzuwickeln.
Bei einem konkreten Verdacht kann eine Speicherung der zur Identifikation notwendigen Daten angeordnet werden. So ein Ausweis wäre nur eine andere Form der Vorratsdatenspeicherung.
Wir halten die bestehenden Regelungen für ausreichend, denn schon jetzt sind die Nutzer über die IP-Adresse des Computers ermittelbar.
Schwachsinn! Das kann sich nur jemand ausdenken, der weder von Freiheit noch von Internet eine Ahnung hat.
Urheberrechtsverletzungen im Internet
Es soll eine stärkere rechtliche Grundlage geschaffen werden, um zum Beispiel gegen Tauschbörsen im Internet und deren Nutzer vorgehen zu können. Auch Privatpersonen sollen stärker belangt werden.
Klar definierte geistige Eigentumsrechte sind eine wichtige Voraussetzung für die Arbeit von Künstlerinnen und Künstlern sowie für unseren wirtschaftlichen Erfolg in der Wissensgesellschaft insgesamt.
Produzenten von Inhalten müssen sich darauf verlassen können, dass ihre geistigen Produkte urheberrechtlichen Schutz genießen und ihre Verwertung vergütet wird. Das Urheberrecht ist in der digitalen Welt in diese Richtung weiterzuentwickeln.
Das Urheberrecht muss dem digitalen Zeitalter angepasst werden. Die unverhältnismäßige Verfolgung und Kriminalisierung von TauschbörsennutzerInnen muss beendet werden. Auf keinen Fall darf es zur Kappung des Internetanschlusses kommen, wie dies in Frankreich diskutiert wird. Mehr Sinn macht eine Pauschalabgabe aller NutzerInnen die die nicht-kommerzielle Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke für alle ermöglicht. So kann ein fairer Ausgleich zwischen NutzerInnen und Kreativen sichergestellt werden.
Urheberrechtsverletzungen sind keine Kavaliersdelikte.
Nichtkommerzielles Tauschen sollte im Sinne einer Privatkopie eher erlaubt werden. Zugegebenermaßen ist dies aber noch nicht der Weisheit letzter Schluß.
Alternative Entlohnungsmodelle für Künstler
Es sollte über alternative Verwertungsmöglichkeiten wie eine „Kulturflatrate“ zum Beispiel für Musik- und Filmschaffende und Autoren nachgedacht werden. Damit sollen sie für die Nutzung ihrer Werke in Tauschbörsen entschädigt werden, die im Gegenzug legalisiert werden.
Ich sehe bei einer Kulturflatrate bisher keine realistische Möglichkeit die eingenommenen Gelder an die Künstler gerecht zu verteilen. Die bisherigen Konzepte, wie z.B. die GEMA, haben sich offensichtlich nicht bewährt. Weiter sollte die Verteilungspolitik der GEMA transparent gemacht, und Pauschalsysteme einer kritischen Analyse unterzogen werden.
[...]
Kopien bringen die Künstler um Einnahmen. Da die Kopien nicht zu verhindern sind, ist eine Umorientierung hin zu alternativen Zahlmethoden daher der einzige gangbare Weg.
Es ist an der Zeit, nach konstruktiven Lösungen für die Vergütung und Nutzung kreativer Werke im Netz zu suchen. Durch Tauschbörsen und Filesharing sind nämlich massenhafte Urheberrechtsprobleme entstanden, die bis heute nicht gelöst sind. Eine Pauschalabgabe wie eine Kulturflatrate könnte zu einem fairen Ausgleich zwischen NutzerInnen und Kreativen beitragen Einen von uns vorgestellten Rechtsgutachten zufolge, wäre eine Kulturflatrate nach nationalem und europäischem Recht zumindest zulässig.
Wir wollen im Rahmen des sozialdemokratischen Kreativpaktes erreichen, dass Kultur- und Medienschaffende, Künstlerinnen und Künstler und Kreative von ihrer Arbeit leben können. Deshalb setzen wir uns für die Prüfung einer Kulturflatrate ein.
Durch die Flatrate würden zum einen rechtswidrige Tauschbörsen faktisch legalisiert und zum anderen legale Angebote rapide einbrechen. Die Kulturflatrate käme einer Enteignung der Urheber gleich.
Eine Kultur-Flatrate entzieht Künstlern und Rechteinhabern Möglichkeiten zur Verbreitung ihrer Werke und verhindert neue Verwertungsmöglichkeiten. Sie dämmt die Aushöhlung der Urheberrechte insbesondere im Internet nicht ein, sondern verhindert individuelle Leistungsanreize.
Müsste es im Fazit nicht "...viele Politiker sich nicht trauen, sich offen gegen eine unwirksame Methode zu stellen,..." heißen, oder täusche ich mich da?
In der Tat, richtig – ist korrigiert. Danke!
Korrekt verlinkt aber falsch geschrieben: Die Dame heißt "Martina", nicht "Marina".
Die Arbeit in allen Ehren, doch ist das Ergebnis erwartungsgemäß. Verblüffend ist zumindest, dass viele Mitglieder von sog. Bürgerrechtsparteien, wie sie sich neuerdings gerne nennen, Sperrtendenzen befürworten. Etwas Kritik an AK Zensur muss ich dennoch los werden. Wie ich feststellen konnte, ist AK Zensur trotz aller Widersprüche mit der SPD in Kommunikation getreten und hat sogar den sog. "Ludwigsburger Dialog" der selbsternannten "Piraten in der SPD" unterstützt und mitgetragen. Da seid ihr der SPD aber gehörig auf den Leim gegangen: http://guedesweiler.wordpress.com/2009/09/11/ferkel-vs-steinmarder-das-web-duell
Wenn man jetzt bloß noch den Copy&Paste-Grad der Politiker bestimmen könnte... Und alle so: "Yeaahh"!
Sie haben auf "http://www.wen-waehlen.de/btw09/kandidaten/begruendung_1075.html" einige Leute falsch einsortiert, z.B. Horst Schneider (DIE LINKE).
Die Einsortierung haben die Kandidaten selbst gemacht. Sprich: sie haben das eine angekreuzt und als Begründung das andere gesagt.
Bei Spreeblick schrieb ein Kommentator, es seien doch scheinbar Thesen ausgewählt worden, die in letzter Zeit so durch die Medien geisterten. Und hier zeigt sich, dass gerade das die Stärke von Wen Wählen ist! Vielen Dank für diese Analyse :)
Mal wieder großartige Arbeit, Alvar!
Einen Typo hätte ich noch anzukritteln:
… und das eine ich nicht ironisch
(direkt über der Überschrift Alternative Entlohnungsmodelle für Künstler).