Zugegeben, der Titel ist provokant. Im Zuge der Diskussion über Internet-Sperren für kinderpornografische Webseiten wird aber immer wieder gerne suggeriert, es gäbe massenweise Webseiten mit offen zugänglicher Kinderpornographie, die nur noch gesperrt werden müssten und dann wird alles gut.
Dies ist falsch, wie auch eine wissenschaftliche Analyse von Korinna Kuhnen zeigt:
[Es] lassen sich weder durch polizeiliche Ermittlungen noch durch wissenschaftlich motivierte Untersuchungen Belege dafür finden, dass sich die Existenz von Kinderpornographie „im Internet“ generell durch eine leichte Verfügbarkeit oder offene Präsenz auszeichnet.
[...]
Damit ist Kinderpornographie im Internet grundsätzlich nicht von einer offenen, sondern von einer versteckten Präsenz gekennzeichnet. Einer Präsenz, die aktiv aufgesucht werden muss und die mit einer „leichten Verfügbarkeit“ wenig zu tun hat.
Korinna Kuhnen: Kinderpornographie und Internet; Göttingen, 2007: Hogrefe Verlag; Seite 132f.
In ihrer Analyse hat Kuhnen beschrieben, wie es um die Verfügbarkeit von Kinderpornographie steht. Zusammengefasst kann man sagen, dass es im Web – also dem Teil des Internets, den man mit dem Web-Browser wie dem Internet-Explorer oder Firefox nutzt – keine offenen und dauerhaft zugänglichen strafbaren kinderpornografischen Inhalte gibt. Die wenigen tatsächlich vorhandenen kinderpornographischen Angebote zeichnen sich dadurch aus, dass sie i.d.R. versteckt und nur kurzzeitig erreichbar sind, bis sie geschlossen werden oder umziehen.
Mit etwas Hintergrundwissen zum Internet bzw. Web lässt sich dies auch leicht erklären: der sexuelle Missbrauch von Kindern und die Verbreitung von Kinderpornographie ist in fast jedem Land der Welt nicht nur verboten, sondern auch gesellschaftlich geächtet. Ein Web-Server (und die für diesen verantwortliche Person) ist immer mit relativ einfachen Mitteln aufzuspüren, es ist also klar wo die entsprechenden Inhalte liegen. Eine Entfernung der Inhalte auf dem Server und eine Verfolgung der Täter ist möglich, wenn sie offen agieren.
Voraussetzung für eine Sperre ist eine konkrete und dauerhafte Adresse mit entsprechendem zu sperrendem Inhalt. Zwar werden immer wieder hauptsächlich Provider, die kostenlosen Webspace anbieten, für die Verbreitung kinderpornographischer Materialien genutzt, die Inhalte sind dort aber schneller verschwunden als eine Sperre greifen würde. Wirklich dauerhaft erhältliche für jedermann offen zugängliche Hardcore-Kinderporno-Angebote gibt es quasi nicht, auch wenn die Entfernung bei manchen Angeboten in Absurdistan länger dauert. Das bedeutet im Umkehrschluss allerdings nicht, dass ich behaupte im Internet gäbe es gar keine Kinderponographie. Nur keine offene und dauerhaft zugängliche.
Die finnische Sperr-Liste zeigt dann, dass die Mehrheit der Webseiten mit angeblicher Kinderpornographie in den USA und Westeuropa gehostet werden. Wenn es sich also tatsächlich um Kinderpornographie handelt, stellt sich die Frage was besser ist: die Inhalte zeitnah entfernen und die Täter verfolgen – oder den Zugang zu den Inhalten für diejenigen Blockieren, die sie sowieso nicht anschauen?
Was als Kinderpornographie blockiert wird zeigt das – laut Bundesfamilienministerium vorbildliche – Beispiel Großbrittanien und die dortige Wikipedia-Sperre. Selbst wenn man die Sperre für gut halten sollte ist klar, dass es Schwachsinn ist den Artikel zum Scorpions-Album Virgin Killer, aber nicht das Bild selbst zu blockieren. Und auch bei dem Bild mag man sich darüber streiten, ob das sonderlich geschmackvoll ist. Illegal ist es aber sicherlich nicht.
Auf der anderen Seite zeigt dieser Fall, was in solche Sperrlisten aufgenommen wird: die britische Internet Watch Foundation lässt nach eigener Aussage alle möglicherweise illegalen Inhalte blockieren. Möglicherweise illegal! Ein genauerer Blick auf die Liste wäre da sicherlich sehr aufschlussreich …
Das bedeutet alles nicht, dass es keine Kinderpornographie im Internet gibt. Nur zeichnen sich entsprechende Angebote dadurch aus, dass sie hauptsächlich gut versteckt und nicht dauerhaft erhältlich sind. Wer also wirklich etwas gegen die Verbreitung und vor allem gegen die Herstellung von Kinderpornographie – und damit gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern – unternehmen möchte, wäre gut beraten andere Methoden als Internet-Sperren zu fordern. Zum Beispiel eine verstärkte internationale Zusammenarbeit und die Verfolgung der Täter.
Es mag sein, dass Ursula von der Leyen, Uwe Schünemann und so manch anderer Akteur tatsächlich glauben, sie tun etwas gutes. Aber sie sollten mal genauer kontrollieren, mit welchen Beratern, Lobbyisten und anderen Zuflüsterern sich ihre Mitarbeiter, die ihnen solchen Unfug wie Internet-Filter gegen Kinderpornographie empfehlen, herumtreiben.
Denn: Es geht nicht um Kinderpornographie. In Hessen fiel ja schon die Maske, ich vermute unabsichtlich früh. Das zeigt: es geht ums Geld. Wie immer. Die Schlange der Interessenten für entsprechende Filter ist groß. Missbrauchte Kinder sind nur der Vorwand, um ein Filter-System zu etablieren – mit dem dann natürlich auch viele andere Inhalte gefiltert werden können. Die Kinder werden also noch ein zweites mal missbraucht.
Anstatt mit bloßem Aktionismus zu glänzen wäre es besser, die Ermittlungsbehörden würden mit ausreichend kompetentem Personal ausgestattet werden, um die Täter zu verfolgen. Auch wenn dies nicht ganz so öffentlichkeitswirksam ist: Das hilft Kinder zu schützen.
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