Leistungsschutzrecht stoppen!

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Zahlreiche Wissenschaftler, Netz-Aktivisten, Journalisten, Urheberrechtsexperten, Politiker und Internet-Unternehmer fordern den Bundesrat auf, das Leistungsschutzrecht zu kippen

Das Leistungsschutzrecht für Presseverlage ist das netzpolitische Desaster dieser Legislaturperiode. Irgendwie scheinen einige Politiker nicht gelernt zu haben, dass man in Netz-Dingen vielleicht doch auf die (eigenen!) Netzpolitiker hören sollte. Der Bundestag hat es schon mit Koalitionsmehrheit (bei einigen Abweichlern!) beschlossen. Am Freitag entscheiden die Länder im Bundesrat darüber, ob sie wegen des Gesetzes zum Leistungsschutzrecht für Presseverleger den Vermittlungsausschuss anrufen sollen. Zwar können die Länder das vom Bund beschlossene Gesetz nicht gänzlich stoppen – die Gesetzgebungskompetenz für Urheberrecht liegt beim Bund, der Bundestag kann die Länder überstimmen – aber sie können es verzögern. Und wenn das alles nicht vor der Bundestagswahl über die Bühne geht, greift des Diskontinuitätsprinzip: Der neue Bundestag müsste wieder von vorne anfangen. Und damit wäre das Gesetz tot.

Daher hatten Henning Tillmann und ich beschlossen, mal wieder einen offenen Brief zu schreiben. In einer Last-Minute-Aktion haben wir also die letzten Tage einen Brief an die Ministerpräsidenten der Länder formuliert und diverse Unterstützer dafür gefunden: Der Aufruf wird von namhaften Experten des Urheber- und Internetrechts, Wissenschaftlern, Journalisten, Internet-Aktivisten, Medienpolitikern, Bloggern und Internet-Unternehmern getragen – die komplette Liste steht unten. Wir hatten uns aufgrund der knappen Zeit explizit gegen eine öffentliche Unterzeichnerliste entschieden und primär eine kleine, aber hochkarätige Liste angestrebt – aufgrund der Hektik haben wir garantiert vergessen den einen oder anderen zu fragen, bitte entschuldigt dies!

Die breite Unterzeichnerliste zeigt, wie gut begründet der Widerstand gegen das Leistungsschutzrecht ist. Wir danken allen, die den Aufruf unterstützen und hoffen, dass die Bundesländer am Freitag tatsächlich den Vermittlungsausschuss anrufen werden!

Hier der Volltext unseres Briefes (auch als PDF):

Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

der Deutsche Bundestag verabschiedete am 1. März 2013 mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU und FDP das sogenannte Leistungsschutzrecht für Presseverleger (siehe BT-Drs. 17/11470 und 17/12534, sowie BR-Drs. 162/13). Da es sich um ein Gesetz zur Änderung des Urheberrechts handelt, ist der Bundesrat nicht zustimmungspflichtig. Dennoch sind wir davon überzeugt, dass die Bundesländer gegen das Gesetz Einspruch einlegen und den Vermittlungsausschuss anrufen sollten. Wir möchten Sie bitten, sich dafür einzusetzen und ein entsprechendes Verfahren mit Ihren Länderkolleginnen und -kollegen anzustrengen.

Das Leistungsschutzrecht für Presseverleger (kurz: LSR), vor allem in der von der Bundesregierung verabschiedeten Fassung, wird ansonsten für enorme Rechtsunsicherheiten sorgen. Dies ist wie folgt an dem Gesetzesvorhaben festzumachen:

  • Wenn diese Regelung Gesetzeskraft erlangt, müssen alle betroffenen Anbieter von Suchdiensten im entferntesten Sinne mit den Presseverlagen komplizierte und umfangreiche Lizenzverhandlungen führen. Dies kann dazu führen, dass große Anbieter durch ihre finanziellen und personellen Mittel kleinere vom Markt drängen werden. Sowohl für kleine Verlage als auch für kleine Anbieter von Internetdiensten ist die Aushandlung individueller Lizenzverträge nur schwer möglich. Dies verfestigt bestehende Markt- und Machtstrukturen im Suchmaschinenmarkt, ebenso stärkt es große Verlage gegenüber kleineren.
  • Es fehlt ein fairer Interessenausgleich, nicht zuletzt auch zur Sicherstellung der Informationsfreiheit im Internet. Dieser Gesetzentwurf leistet keinen solchen Interessenausgleich zwischen den Rechten der Verlage und der Gewährleistung der Informationsfreiheit. Suchmaschinen erfüllen eine gesellschaftlich erwünschte Rolle. Erst durch sie finden die Nutzerinnen und Nutzer gewünschte Informationen und Angebote. Dies ist auch im Eigeninteresse der Zeitungen, um den einfachen Zugang zu journalistischen Inhalten zu gewährleisten.
  • Alle Parteien im Deutschen Bundestag setzen sich dafür ein, Leistungen der Urheberinnen und Urheber gerecht zu entlohnen, um die Bedingungen für kreatives Schaffen zu erhalten. Das LSR leistet dazu keinen Beitrag: In einer Absichtserklärung ist zwar vorgesehen, dass die Urheberinnen und Urheber an den Einnahmen beteiligt werden sollen, doch haben Sie dafür keinerlei Absicherung. Die Beteiligung einer Verwertungsgesellschaft wurde bewusst gestrichen. Jede einzelne Urheberin bzw. jeder einzelne Urheber soll also mit jedem einzelnen Verlag über die Höhe ihres bzw. seines „angemessenen“ Anteils verhandeln. Die Urheberinnen und Urheber werden die schwächste Verhandlungsposition von allen haben.
  • Es ist nicht klar, wer von dem Leistungsschutzrecht betroffen ist, d. h. welche Nutzung konkret vom Schutzbereich des LSR erfasst wird. Der Gesetzesentwurf spricht von „Suchmaschinen“ und „Diensten, die Inhalte entsprechend aufbereiten“. Diese Dienste sind nicht hinreichend spezifiziert. Ebenso wenig ist geklärt, wer oder was überhaupt ein „Presseverlag“ ist. Dies sind nach Konzeption des Gesetzes mitnichten nur die großen bekannten Medienhäuser.
  • Obgleich der Gesetzesentwurf in der Begründung scheinbar „andere Nutzer, wie z. B. Blogger, Unternehmen der sonstigen gewerblichen Wirtschaft, Verbände, Rechtsanwaltskanzleien oder private bzw. ehrenamtliche Nutzer“ ausschließt, können aber genau auch diese jene Dienste anbieten, die gegen das Leistungsschutzrecht verstoßen. Im Internet kann prinzipiell jeder beliebige Dienste anbieten. So enthalten einige privat oder semiprofessionell betriebene Blogs tägliche Webschauen, die durch automatisierte Verfahren generiert werden.
  • Eine genaue Länge von gestatteten Textauszügen ist nicht definiert. So spricht der Gesetzesentwurf von „kleinsten Teilen“. Es ist unklar, ob bereits Überschriften oder etliche Sätze damit gemeint sind. Dies führt zu Rechtsunsicherheit, da erst in vielen jahrelang andauernden Rechtsstreitigkeiten festgestellt werden muss, was darunter zu verstehen ist.
  • Die Presseverlage können bereits jetzt entscheiden, ob sie von einer Suchmaschine gefunden werden wollen oder nicht. Technische Gegebenheiten dazu sind seit Jahren vorhanden und ermöglichen individuelle Einstellungen für jede einzelne (Unter-) Seite.
  • Der Gesetzentwurf wurde trotz massiver verfassungs- und europarechtlicher Bedenken vom Bundestag beschlossen.
  • Anhörungen im Bundestag haben eklatante Mängel am Gesetz festgestellt und die kurz vor der Abstimmung eingebrachten Änderungen haben die Rechtsunsicherheiten eher verschlimmert. Auch die wichtigsten Rechtswissenschaftler und Experten zum Urheberrecht in Deutschland, wie die Deutsche Vereinigung für gewerblichen Rechtschutz und Urheberrecht (GRUR) und das Max-Planck-Institut für Immaterialgüter und Wettbewerbsrecht, lehnen das LSR vehement ab und halten es für komplett untauglich.

Das Leistungsschutzrecht erzeugt insbesondere auch Rechtsunsicherheiten bei neuen Startup-Unternehmen mit entsprechenden Internetdiensten. Das Gesetz schwächt den Wirtschafts- und Innovationsstandort Deutschland. Es ist zu befürchten, dass die gerade erst wachsende Startup-Szene international von dieser internetfeindlichen Gesetzgebung abgeschreckt wird.

Es ist unbestritten, dass der Qualitätsjournalismus vor großen Herausforderungen steht; die wirklichen Probleme werden durch dieses LSR aber nicht gelöst. Insbesondere werden keine machbaren und effektiven Lösungen vorgeschlagen. Die Kollateralschäden bei der bisherigen Fassung wären unabsehbar.

Nahezu sämtliche Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft, so auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), lehnen ein Leistungsschutzrecht ab, da eine Gefährdung der Innovationskraft im digitalen Wandel und eine systemfremde Privilegierung einer Online-Anbietergruppe mit unabsehbaren Folgen für Wettbewerb und Vielfalt im Internet befürchtet wird. Auch Journalisten lehnen das Gesetz ab, so z.B. der Deutsche Fachjournalisten Verband (DFJV), die Journalistengewerkschaft DJU (ver.di) und der Deutsche Journalistenverband (DJV).

In einem ungewöhnlichen lagerübergreifenden Bündnis haben sich alle maßgeblichen Jugendorganisationen der Parteien zusammen gegen ein LSR ausgesprochen. Die Netzpolitikerinnen und Netzpolitiker aller Parteien des Deutschen Bundestages – auch die der Regierungskoalition – lehnen das eingebrachte Leistungsschutzrecht für Presseverleger ebenso ab.

Wir appellieren daher an die Landesregierungen, den Gesetzentwurf für ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage im Bundesrat nicht passieren und damit vorerst nicht in Kraft treten zu lassen. Wir möchten Sie vielmehr dringend bitten, gemeinsam mit den anderen Bundesländern den Vermittlungsausschuss anzurufen und dieses Gesetz zu stoppen.

Mit freundlichen Grüßen

  • Henning Tillmann
    Mitglied des Gesprächskreises „Netzpolitik und Digitale Gesellschaft“ beim SPD-Parteivorstand
  • Alvar C. H. Freude
    Sachverständiges Mitglied der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft des Deutschen Bundestages
  • Jakob Augstein
    Verleger des Freitag
  • Constanze Kurz
    Sprecherin des Chaos Computer Clubs
  • Stefan Niggemeier
    Journalist
  • Mario Sixtus
    Journalist, Autor und TV-Produzent
  • Gerald Spindler
    Professor, Direktor Institut Wirtschaftsrecht, Universität Göttingen
  • Prof. Dr. Justus Haucap
    Direktor des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie (DICE), Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
  • Prof. Dr. Jörg Müller-Lietzkow
    Professor für Medienorganisation und Mediensysteme und Prodekan
  • Jeanette Hofmann
    Politikwissenschaftlerin
  • Johnny Haeusler
    Autor, Gründer von Spreeblick.com
  • Sascha Vogt
    Juso Bundesvorsitzender
  • Jens Christoph Parker
    Bundessprecher GRÜNE JUGEND
  • Sina Doughan
    Bundessprecherin GRÜNE JUGEND
  • Doris Aschenbrenner
    Netzpolitische Sprecherin der BayernSPD, Beraterin von Christian Ude für den Bereich Digitale Gesellschaftspolitik
  • Tobias Schwarz
    Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft Netzpolitik, Bündnis 90/Die Grünen Berlin
  • Hannes Griepentrog
    Sprecher AK Netzpolitik CDU-Kreisverband Esslingen
  • Markus Beckedahl
    Vorsitzender Digitale Gesellschaft e.V.
  • Lavinia Steiner
    Vorstand Digitale Gesellschaft e.V.
  • Valentina Kerst
    Co-Vorsitzende D64 - Zentrum für Digitalen Fortschritt e.V. und Leiterin des Forum Netzpolitik der KölnSPD
  • Nico Lumma
    Co-Vorsitzender D64 - Zentrum für digitalen Fortschritt
  • Mathias Richel
    Gründungsmitglied D64 - Zentrum für Digitalen Fortschritt e.V.
  • Till Kreutzer
    Rechtsanwalt, Initiator der Initiative gegen ein Leistungsschutzrecht (IGEL)
  • Ulf Buermeyer
    Richter am Landgericht Berlin, Digitale Gesellschaft e.V.
  • Dieter Frey
    Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht
  • Thomas Stadler
    Rechtsanwalt
  • Jan Mönikes
    Rechtsanwalt
  • Jan Kuhlen
    Rechtsanwalt
  • Philip Banse
    Journalist, Podcaster und Gründer von Kuechenstud.io
  • Christoph Kappes
    Medienunternehmer, Blogger
  • Jens Matheuszik
    Blogger (pottblog.de und ruhrbarone-dortmund.de)
  • Pavel Richter
    Vorstand Wikimedia Deutschland e.V
  • Wolfgang Michal
    Herausgeber CARTA
  • Leonhard Dobusch
    Juniorprofessor für Organisationstheorie an der FU Berlin und Blogger
  • Philipp Otto
    Urheberrechtsexperte, Autor und Mitbegründer der Initiative gegen ein Leistungsschutzrecht - IGEL
  • Stefan Engeln
    Justitiar 1&1 Internet AG
  • Michael Frenzel
    Leiter PR eines Internetunternehmens aus dem Westerwald. Stellvertretendes Mitglied des Verwaltungsrates der Filmförderungsanstalt des Bundes (FFA).
  • Jonas Westphal
    Digitale Gesellschaft e. V.
  • Andreas Maurer
    Social-Media-Manager
  • Axel Wallrabenstein
  • Kaya Köklü
    Wissenschaftlicher Referent am MPI für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht in München
  • Andrea Jonjic
    Politikwissenschaftlerin, Redakteurin Netzpolitik.org

(LSR-Brief-Allgemein.pdf)

Auch der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hat sich in einem Brief an den Bundesrat gewandt und den Stopp des Gesetzes gefordert.

2 Kommentare

Wenn da schon Politiker unterschreiben, hätte man ja auch mal bei Piraten anfragen können ...

Glaubst Du, dass sich die Landesregierungen von Unterschriften von Piraten-Politikern überzeugen lassen?

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