Heute ist die letzte Sitzung der „Enquete-Komission Internet und digitale Gesellschaft“ des Deutschen Bundestages. Fast drei Jahre durfte ich mit 16 weiteren Sachverständigen und 17 Abgeordneten (diese zzgl. Stellvertreter) über Netzpolitik diskutieren. Zum Abschluss hatte jeder Sachverständige noch die Gelegenheit, seine persönliches Fazit im Bericht zu ziehen.
Meins ist hier – und im Schlussbericht der #eidg ab Zeile 1499 auf Seite 52; ich könnte natürlich noch weitaus mehr sagen, aber fürs erste reicht das mal:
Welche Ihrer Erwartungen an die Arbeit in der Kommission haben sich erfüllt, welche nicht?
„Ich hatte keine überzogenen Erwartungen an die Internet-Enquete, freue mich aber, das eindeutig klar wurde: Netzpolitik ist kein Stiefkind mehr. Das ist sicher ein Verdienst der Enquete. Internet-Themen sind im Politikbetrieb angekommen und betreffen wichtige gesellschaftspolitische Fragen. Man kann diese Fragen und die Meinungen der Experten nicht mehr ignorieren, wie es noch vor der letzten Bundestagswahl oder auch noch vor Einsetzung der Enquete der Fall war.
Wir haben es allerdings nicht ausreichend geschafft, die Öffentlichkeit wirklich umfassend zu informieren und in die Arbeit der Kommission einzubeziehen. Da haben wir zu wenig gemacht. Ich sehe das durchaus selbstkritisch: ursprünglich wollte ich regelmässig über meine Arbeit in der Enquete berichten. Zwar gab es ein offizielles Enquete-Blog, aber leider wurde das das von den Mitgliedern zu wenig genutzt, häufig vor allem dann, wenn es etwas zu kritisieren gab.
Meist blieb mir aber auch wenig Zeit - die habe ich dann lieber in die Textarbeit für die Projektgruppen investiert, und nebenher musste ich schließlich noch Geld verdienen.
Als Freiberufler habe ich ja keine Mitarbeiter, die mich hätten unterstützen, die Texte schreiben und Sitzungen vorbereiten können. Es ist schwer, etwas quasi ehrenamtlich zu leisten, was eigentlich den Umfang eines Vollzeitjobs hat.
Die Erwartungshaltung der Netzszene war manchmal anstrengend. Viele dachten, der Auftrag der Enquete sei es, sich mit tagespolitischen Themen zu beschäftigen - und es gab während der Laufzeit der Kommission durchaus wichtige aktuelle Fragen wie ACTA oder die anfangs noch nicht zu Ende diskutierte Netzsperren-Debatte. Jedoch standen solche Themen höchstens am Rande auf unserer Agenda. Trotzdem wurden sie bis zum Ende unserer Arbeit weitgehend sinnvoll gelöst, mit Ausnahme des Leistungsschutzrechts für Presseverleger. Unser Auftrag war aber ein anderer und betraf im Wesentlichen die großen, übergreifenden und langfristigen Linien der Netzpolitik. Es war manchmal schwierig, das auseinanderzuhalten.
Leider war die Zeit insbesondere am Ende sehr knapp. Die letzten Projektgruppen hatten nur wenige Wochen und wenige Sitzungen zur Verfügung, was sich an der einen oder anderen Stelle in der Qualität niederschlägt. Wir hätten uns vor allem bei den Handlungsempfehlungen mehr Zeit nehmen sollen. Ich hoffe aber, dass die Lücken von dem einstimmig empfohlenen ständigen Ausschuss Internet und digitale Gesellschaft und dem angeregten wissenschaftlichen Beirat aufgearbeitet werden können.
Nicht erfüllt hat sich meine Hoffnung, dass wir weitgehend als ein unabhängiges Expertengremium agieren, das Positionen und Empfehlungen unabhängig von den Meinungen der einzelnen Fraktionen vertritt. Dies hat sich vor allem gegen Ende als Illusion erwiesen: So wurden Handlungsempfehlungen, die nicht von der Koalition eingebracht wurden, in den Projektgruppen meist erst gar nicht diskutiert. Die Koalition hatte das Abstimmungsverhalten der von ihr benannten Sachverständigen erstaunlich gut im Griff. Dies führte zu der enttäuschenden Situation, dass in einigen Fällen selbst fachliche Fehler im Bericht nicht korrigiert wurden, wenn der entsprechende Antrag von den falschen Leuten gestellt wurde. Schade ist auch, dass das ursprünglich geplante Gutachten der Projektgruppe Urheberrecht doch nicht zustande kam.
Auf der anderen Seite hat sich meine Hoffnung erfüllt, dass wir meist konstruktive Diskussionen geführt haben. Wir konnten feststellen, dass auf den ersten Blick konträre Positionen manchmal gar nicht so weit auseinander lagen, sondern oft nur aufgrund eines anderen Blickwinkels oder Schwerpunkts entstanden. Insbesondere die Projektgruppensitzungen waren zu weiten Teilen sehr konstruktiv, was sich auch an den weitgehend umfangreichen und hochwertigen Bestandsaufnahmen zeigt.“
Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
„Zunächst einmal: Ich werde die Enquete-Arbeit vermissen. Ich habe dabei sehr viel gelernt, und das hat Spaß gemacht.
Ich habe zum Beispiel gesehen, wie man gemeinsam zu guten, politisch wichtigen Ergebnissen kommt. Dies hat in vielen Arbeitsgruppen gut geklappt, vor allem wenn keine bereits besetzten politischen Positionen betroffen waren. Es ist mir an der ein oder anderen Stelle auch gelungen, Kompromisse zu finden oder als eine Art Übersetzer zwischen der Netzcommunity und der Politik zu wirken. In Richtung Parlament hat das gut funktioniert, in die andere Richtung manchmal weniger. In der Internet-Community wurde meine Arbeit in der Kommission teilweise sehr skeptisch wahrgenommen, weil befürchtet wurde, ich könnte zu viele Kompromisse eingehen und mich von der SPD vereinnahmen lassen. Meistens war es aber eher so, dass ich die Fraktion mit Fach- und Hintergrundwissen überzeugen konnte, wenn denn überhaupt unterschiedliche Meinungen auftraten. Was die meisten außerhalb des Politikbetriebes nicht verinnerlicht haben ist, dass man Alternativen und Hintergründe aufzeigen muss, wenn man etwas ablehnt. So haben wir es bei den Internet-Sperren gemacht, und es hat funktioniert.
Eine Besonderheit bei der Netzpolitik ist, dass man anders als bei anderen Themen oft tatsächlich nur zu einer möglichen Lösung kommt, wenn man die Sache ganz zu Ende denkt. Das tun viele nicht, oder sie können es mangels Fachwissen nicht. Das geplante Leistungsschutzrecht für Presseverlage ist so ein Fall. Jeder, der sich näher mit dem Thema beschäftigt, kommt irgendwann zu dem Schluss, dass es in allen diskutierten Formen keinen Sinn ergibt, egal welcher Partei er oder sie angehört. Aber es wird trotzdem durchgesetzt, weil die Netzpolitiker in einigen Parteien noch immer nicht ausreichend gehört werden.
Ich konnte auch lernen, wie die öffentliche Aufmerksamkeit und Berichterstattung der Presse funktioniert: Wenn wir uns um Verfahrenstricks gestritten haben, wurde darüber berichtet und diskutiert. Als die Koalition die Bürgerbeteiligung gestoppt hat, wurde berichtet. Als wir es geschafft haben, sie wieder einzusetzen, wurde nur vereinzelt berichtet. Auch die zahlreichen konstruktiven Diskussionen, ausführlichen Expertenanhörungen oder Ergebnisse wurden wenig wahrgenommen – sie sind unter dem Strich ja auch weniger spannend als polarisierende Diskussionen. Ich weiß, dass dies zur medialen und journalistischen Logik gehört, aber ich finde es schade. Denn dadurch wurde unter dem Strich einfach ein unzutreffendes Bild von der Arbeit der Enquete-Komission in der Öffentlichkeit gezeichnet.
Das betrifft natürlich nicht nur unsere Arbeit, sondern viele politische Themen sowie natürlich auch die Parteien, aber ich habe jetzt persönlich erlebt, wie sehr dies den Blick auf die wesentlichen Sachverhalte verstellen kann. Es ist normal, dass man in einem politischen Gremium auch mal streitet und unterschiedliche Meinungen auftreten. Streit war in der Enquete-Kommission aber kein Dauerzustand.
Ich habe auch gesehen, wie langsam die politischen Prozesse sind. Sorgfalt geht eben vor Schnelligkeit, und das finde ich gut. Damit ist unsere Demokratie die letzten 60 Jahre sehr gut gefahren, und es gibt keinen Grund, das zu ändern, nur weil das Internet ein schnelles Medium ist. Es heißt, wir seien die Enquete mit der kürzesten Laufzeit und den meisten Texten. Unsere Zeitknappheit am Ende hat aber gezeigt: Uns hätte mehr Zeit und mehr Langsamkeit gut getan. Man muss die Dinge eben so lange ausdiskutieren, bis ein gutes Ergebnis vorliegt.
Durch die Arbeit in der Enquete-Kommission ist mir auch deutlich geworden, wie wichtig gute Mitarbeiter in den Fraktionen, bei den Abgeordneten, im Sekretariat und in der gesamten Verwaltung sind. Diese machen die Hauptarbeit im Hintergrund. Ohne die fleißigen Helfer würden den Abgeordneten viele Entscheidungen wohl noch schwerer fallen und es wäre aufgrund der Breite der Themen keine sinnvolle Arbeit möglich.
Die Zusammenarbeit mit der SPD-Fraktion, die mich benannt hatte, fand ich sehr positiv. Wir Sachverständige wurden dort sehr ernst genommen, wurden in Entscheidungen voll einbezogen, durften an allen Vorbereitungssitzungen teilnehmen, hatten Rederecht wie die Abgeordneten und waren in den Abstimmungen frei. Ich habe nie an die Klischees von faulen Politikern geglaubt, aber jetzt konnte ich mit eigenen Augen sehen, dass im Parlament Zwölfstundentage die Regel sind. Die Abgeordneten nehmen ihre Aufgaben sehr ernst und das ist meist mit harter Arbeit verbunden. Die meisten sind auch sehr lernbereit und -fähig, um am Ende sinnvolle Entscheidungen fällen zu können.“
Was sind für Sie die wichtigsten Ergebnisse der Enquete?
„Wie ich schon sagte: Netzpolitik wird inzwischen ernst genommen. Das zeigt sich auch in der meines Erachtens wichtigsten Handlungsempfehlung, bei der wir einstimmig für einen ständigen Ausschuss zum Thema Internet und digitale Gesellschaft votiert haben. Indirekt wird so ja auch ein Ministerium oder zumindest eine Staatsministerin oder ein Staatsminister gefordert, die/der sich spiegelbildlich auf Regierungsseite mit Netzthemen befasst. Wenn das so umgesetzt wird, haben wir etwas Bleibendes geschaffen.
Zu den wichtigsten Ergebnissen gehört auch die breite Bürgerbeteiligung, die wir trotz Widerstand aus Teilen der Verwaltung und dem konservativen Teil des Parlaments durchsetzen konnten. Es war das erste Mal, dass der Deutsche Bundestag eine derart umfangreiche Beteiligung der Öffentlichkeit durchgeführt hat und das kann auf jeden Fall als Erfolg gelten. Darin steckt noch viel Potenzial, es verlangt aber auch eine noch weitergehende Transparenz, angepasste Arbeitsabläufe und eingeplante Zeit. Wir haben es leider oft nur geschafft, fertige Berichtsteile zur Diskussion zu stellen. Dabei sollte die Beteiligung nicht erst zum Ende einsetzen, sondern möglichst früh um beispielsweise Probleme und Lösungswege in den Diskussionsprozess zu tragen. Sie kann eine gute Ergänzung zum parlamentarischen Betrieb darstellen. Mit steigender Erfahrung wird die Bürgerbeteiligung immer besser gelingen.
Als positives Ergebnis kann man zudem sehen, dass die weitgehend große Transparenz der Enquete-Kommission keineswegs geschadet hat, auch wenn das Interesse der Öffentlichkeit an den teils umfangreichen und manchmal kleinteiligen Diskussionen oft gering war.
Auch bei einzelnen Themen haben wir im Detail wichtige Punkte deutlich gemacht, selbst in den Sondervoten. Generell sollte man die Sondervoten lesen, da dort die teilweise klareren und deutlicheren Empfehlungen stecken. Dazu gehört zum Beispiel, dass gute Lernkonzepte nötig sind, wenn man das digitale Klassenzimmer umsetzt. Oder die Empfehlung für einen Paradigmenwechsel bei der Onlinesicherheit, der dahin geht, dass Sicherheitslücken offengelegt werden müssen, damit sie schnell behoben werden können, statt sie geheim zu halten und zu hoffen, dass niemand sie findet. Wir brauchen dringend ein „Immunsystem der digitalen Gesellschaft“, und das ist effektiver, als noch einen ,Hackerparagraf‘ zu erfinden. Weiterhin haben wir teils breite Bekenntnisse zur Netzneutralität, gegen Internet-Sperren sowie für Freie und Open Source Software erreicht.
Die Konfliktlinien traten erwartungsgemäß bei der Frage auf, wie transparent der Staat sein muss oder ob es eher die Bürger sein sollten, die offen und mit Realname ihre Meinung zu äußern haben. Auch in den Bereichen Datenschutz, Verbraucherschutz, Netzneutralität und Urheberrecht kamen teils fundamental unterschiedliche Meinungen auf, dennoch konnten wir uns meist auf einen gemeinsamen Sachstandsbericht einigen.
Die Suche nach dem besten Ergebnis hat manchmal ihre Grenzen gefunden, wenn es um die Parteilinien ging. Da wurde dann eine imaginäre Linie gezogen, und man kam nicht weiter. Die Arbeit in der Enquete war oft sehr nach Fraktionen polarisiert. Und das hat sich natürlich auch auf die Sachverständigen ausgewirkt. Da hätte ich mir gewünscht, dass wir Sachverständigen uns nicht so sehr von der Politik hätten eingrenzen und in Lager pressen lassen. Es gab Versuche, sich untereinander mehr auszutauschen, aber das hätte besser geklappt, wenn wir mehr Zeit gehabt hätten.“
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