Der Verbraucherzentrale Bundesverband versteht das Internet nicht

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Da muss man sich schon wundern, was sich die Damen und Herren beim Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) so denken, kramen sie doch einen untauglichen Versuch aus der Mottenkiste des Internets wieder aus: In ihrer Stellungnahme zum Jugendmedienschutz-Staatsvertrag fordern sie, dass alle Internet-Angebote zwangsweise mit einer Alterskennzeichnung versehen werden müssen. Alle.

Der Verbraucherzentrale Bundesverband fordert die zwingende Alterskennzeichnung. zumindest für jede Art von Inhalten in Telemedien. Dieses muss für alle Anbieter gelten, die Angebote auf den Markt bringen, die gemäß § 5 Abs. 1 JMStV geeignet sind, entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte zu verbreiten oder zugänglich zu machen. An dieser Stelle darf kein Handlungsspielraum für Anbieter eingeräumt werden. 

[...]

Ein erster Schritt in die Richtung wäre, bereits auf der Startseite eines Internetangebots eine verpflichtende Alterskennzeichnung deutlich und sofort erkennbar zu platzieren. Dementsprechend sollte auch die in § 5 Abs. 2 Satz 2 JMStVneu vorgesehene Konkretisierung einer Kennzeichnung dahingehend ergänzt werden, dass diese klar und sofort für den Nutzer sichtbar auf der Startseite eines Internetangebots platziert werden muss.

 

Hätte ich geahnt, dass abseits von professionellen Jugendschützern solch abstruse Forderungen erhoben werden, wäre der dazu gehörige Abschnitt in der Stellungnahme vom AK Zensur noch genauer/ausführlicher geworden. Dort haben wir geschrieben:

Im Entwurf zur Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags ist vorgesehen, dass Inhalte-Anbieter ihre Inhalte entweder mit einer „Sendezeitbegrenzung“, einer Altersverifikation oder mit der Kennzeichnung der Tauglichkeit für verschiedene Altersstufen versehen müssen. Dies läuft für die Mehrheit der privaten und kommerziellen Internet-Seiten auf eine Kennzeichnungspflicht hinaus.

Die Forderung nach einer generellen Kennzeichnung aller Internet-Inhalte mit einer Altersbegrenzung (§5 Abs. 2 JMStV-E) wärmt einen untauglichen Vorschlag aus der Mottenkiste der letzten Jahre des vergangenen Jahrtausends wieder auf. Schon 1997 bezeichnete Simson Garfinkel das Labeling-System PICS als „die effektivste globale Zensurtechnik aller Zeiten“.[6] Auch in Deutschland wurde um das Jahr 2000 diskutiert, die Anbieter zum Kennzeichnen ihrer Inhalte zu verpflichten.[7] Aus guten Gründen wurde das verworfen.

So hat der Tübinger Jurist Sierk Hamann im Februar 2000 eindringlich vor der Einführung von Zwangskennzeichnungen gewarnt:

[Der Zwang zur Kennzeichnung] würde bedeuten, dass sich der Staat zwischen den Autor und den Empfänger stellt und sagt: „zeig mir erst einmal, was du veröffentlichen willst“. Der Staat würde als Wächter zwischen Absender und Empfänger treten wie der Feudalherr im Mittelalter. Ohne ein „Imprimatur“, eine offizielle Erlaubnis zur Veröffentlichung, dürfte nichts im Netz publiziert werden. Wenn eine gesetzliche Neuregelung soweit gehen würde, käme das einer Vorzensur gleich und die widerspricht eklatant dem Grundsatz der Meinungs- und Publikationsfreiheit, wie er im Grundgesetz steht.

[...]

Ein privates Filtersystem birgt allerdings auch Gefahren für die Kommunikationsfreiheit, die man nicht außer Acht lassen sollte. Selbst wenn die Teilnahme an einem solchen System dem Inhalteanbieter komplett freigestellt ist, könnte die Marktmacht großer Portale, die den entsprechenden Filter aufschalten, faktisch einer Zensur gleichkommen. Nehmen wir an, ich gestalte eine Homepage und stelle sie ungelabelt ins Netz. Den User hinter dem Filter, minderjährig oder nicht, erreiche ich dann nicht mehr, obwohl mein Angebot vielleicht völlig unbedenklich oder sogar pädagogisch wertvoll ist.

[...]

Eine staatliche Verpflichtung zur Nutzung privater Filtersysteme halte ich für verfassungsrechtlich unhaltbar. Damit würden 200 Jahre Verfassungsgeschichte – solange hat es gedauert, das Zensurverbot zu verankern – über Bord geworfen.[8]

 

Abgesehen von den verfassungsrechtlichen Bedenken erfordert eine generelle Verpflichtung zur Kennzeichnung von Inhalten einen immensen Aufwand, auch und insbesondere bei vorhandenen Inhalten bzw. sog. „User Generated Content“. Wer soll die Millionen Beiträge der rund 4,5 Millionen Blogger Deutschlands[5] nachträglich kennzeichnen? Wie soll ein privater Blogger entscheiden, ob sein neuer Beitrag für Kinder ab 12, 16 oder erst für Erwachsene tauglich ist? Nur wenige private Betreiber von Webseiten haben das Wissen, um festzustellen, ob ein Text oder Bild „geeignet ist, die Entwicklung von jüngeren Personen zu beeinträchtigen“.

Inhalte werden im Zeitalter des Web 2.0 auch dynamisch, durch Programme, zusammengestellt. In einer vernetzten Welt kann eine Software niemals die Korrektheit von inhaltsbeschreibenden Tags garantieren. So kann eine Suchmaschine niemals garantieren, dass die eine Suchanfrage keine potentiell entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalte zutage fördert. Wie soll ein Anbieter seine Inhalte nach den Regeln von ca. 200 Staaten mit eigener Gesetzgebung ausrichten und kennzeichnen? Die vorgeschlagene Prüfung von Inhalten im Vertragsentwurf kommt einer Vorzensur gleich. Ohne diese Vorzensur ist eine Kennzeichnung aber nicht glaubwürdig. Wie dargestellt ist die Prüfung im Allgemeinen sowieso unmöglich. Erzwungenes Labeling gefährdet Kunst und Wissenschaft und unterdrückt das legitime Informationsbedürfnis der Menschen.

Die Verpflichtung zur generellen Kennzeichnung aller Inhalte ist daher abzulehnen.

 

5 Laut Allensbacher Computer- und Technik-Analyse, ACTA 2009 betreiben 9% der 14 bis 64 jährigen Bevölkerung der Bundesrepublik Blogs. Quelle: Dr. Johannes Schneller: ACTA 2009, Zentrale Trends der der Internetnutzung in den Bereichen Information, Kommunikation und E-Commerce; online verfügbar unter  http://www.acta-online.de/praesentationen/acta_2009/acta_2009_Trends_Internetnutzung.pdf, Seite 24

6 Simson Garfinkel: Good Clean PICS; Hotwired Network, 5. Februar 1997, online verfügbar unter http://www.wired.com/science/discoveries/news/1997/02/1867

7 Dragan Espenschied, Alvar C.H. Freude: Die Standardisierung der Zensur, 10. Januar 2001; online verfügbar unter http://odem.org/insert_coin/kontrolle/filterpics.html

8 Monika Ermert: Die Bundesregierung rät: schalten Sie gelegentlich Ihren Filter ab!; in: Telepolis, 6. Februar 2000; online verfügbar unter http://www.heise.de/tp/r4/artikel/5/5755/1.html

 

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"potentiell entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalte" - früher nannte man sowas wohl entartete kunst http://is.gd/71Piu Mehr

5 Kommentare

"potentiell entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalte" - Das hat das Zeug zum Unwort des Jahres 2010! Respekt!

Jugendschutz ist super!!! Jeder kann mitreden (z.B. Verbraucherzentrale) und es werden Gelder rausgepulvert für jeden Medienkompetenzscheiss, z.B. die Safer Internet Days mit tollem Video und Motto: Think B4 U post!

"Der Verbraucherzentrale Bundesverband"
Welche Sprache ist das? Sieht fast ein bisschen nach Deutsch aus, kann es aber nicht sein. Im Deutschen werden Substantive zusammengeschrieben oder mit Bindestrich gekoppelt.

Welche Schwach Köpfe erfinden so einen Blöd Sinn?

Was kommt als Nächstes?

Natürlich die Verpflichtung von "Anbietern", dass jedweder direkte Aufruf von Unterseiten o.ä. (z.B. über Bookmarks) direkt zur "Startseite" umgeleitet werden muss, damit der Benutzer auch die Chance hat, die Alterskennzeichnug wahr zu nehmen...

Die Ausweitungs-Tendenzen der "gutgemeinten" Zensur sind kein Gehirngespinst, sondern quasi empirisch erwiesen. Wer einen zu kleinen Busen hat, wird jetzt in Australien leider wg Kinderpornos raus-gefiltert

Über Twitter
isotopp
http://bit.ly/cM8Ypm A-Cups sind Kinderporno in Australien: Wohin ein #JMStV führen kann, wenn man nicht aufpaßt.

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