Johannes Boie von der Süddeutschen Zeitung hat sich gefragt „Was wissen Parlamentarier über die Gesetze, die sie verabschieden?“ und an mehrere Parlamentarier zwei Fragen gestellt. Nun sind die ersten Antworten da. Anstatt zu arbeiten (und ein anderes Projekt zu modernisieren) habe ich dort einen Kommentar verfasst, den ich auch hier (mit kleinen Korrekturen) veröffentlichen will:
Leider machen die Befürworter des Sperrgesetzes genau das, was sie kritisieren: Wegschauen, wenn Bilder vergewaltigter Kinder gezeigt werden. Alles schnell verstecken, und am besten gar nichts mehr dazu sagen. Dabei lassen sie sich freiwillig über den Tisch ziehen, gibt es doch eine vermeintlich einfache Lösung für ein ekeliges Problem.
So wird leider weiterhin die Behauptung aufgestellt, es gäbe Fälle, in denen eine Löschung der Bilder auf Webseiten nicht möglich sei. Dies ist falsch, Kinderpornographie ist weltweit geächtet und jeder Hosting-Provider entfernt entsprechende Bilder schnell -- wenn er denn darauf hingewiesen wird. Abgesehen von der Rechtslage in seinem Land: Er könnte sich anderes auch gar nicht leisten, da er wiederum von den Firmen, die ihm die Leitungen stellen, abgeklemmt werden würde. Er kann aber nur handeln, wenn er informiert wird. Mir ist weltweit kein einziger Fall bekannt, in dem es nicht möglich war, Darstellungen des sexuellen Missbrauchs von Klein- und Kleinstkindern von einem Webserver zu löschen. Bei anderen Diensten als dem Web ist das (u.U. je nach Dienst) schwerer, aber die werden von den Sperren sowieso nicht erfasst.
In der Praxis läuft es aber so: Ein Ermittler weiss, ein Mensch beispielsweise in Schweden hat einen kinderpornografischen Film ins Netz gestellt. Um da etwas machen zu können müsste er rein formal erstmal eine Staatsanwaltschaft in Deutschland finden, die ein Ermittlungsverfahren eröffnet. Aber daran hat keine Interesse: es ist keine Tat in Deutschland geschehen und und der Täter ist sicher auch kein Deutscher. Es wäre also sehr mühsam, überhaupt etwas zu tun. Also lässt der Ermittler es dabei bewenden und konzentriert sich auf seine andere Arbeit. In Zukunft würde eine entsprechende Seite eben blockiert werden – die Inhalte sind aber weiterhin im Netz sichtbar. Das ist alltägliche Praxis und mit dem Sperr-Gesetz wird das nur schlimmer werden.
Alltägliche Praxis ist auch, dass die Ermittler überfordert sind: personell unterbesetzt und nur wenige sind fachlich/technisch auf der Höhe der Zeit.
Sinnvoll wäre also, die entsprechenden Inhalte zu entfernen. Das funktioniert, wie ich in einem Experiment bewiesen habe: http://ak-zensur.de/2009/05/loeschen-funktioniert.html
Das erschreckende ist: die Bundesregierung hat sich hier für ein Gesetz stark gemacht, obwohl sie öffentlich zugeben musste, überhaupt keine Ahnung zu haben: http://blog.odem.org/2009/06/bundesregierung-keine-kenntnis.html Sie ist nicht in der Lage, auch nur ein Land zu nennen, aus dem Webseiten mit Kinderpornographie verbreitet werden und in denen nicht dagegen vorgegangen werden kann. Auch Ziercke wehrt sich bis heute dagegen, diese Länder zu nennen.
Ach, übrigens: meinen Vorschlag „Nennen Sie mir die 10 schlimmsten Kinderporno-Webseiten, die Sie nicht aus dem Netz kriegen. Ich wette, dass ich es schaffe, die innerhalb von 72 Stunden alle aus dem Netz zu entfernen -- gerne auch unter polizeilicher/staatsanwaltlicher Aufsicht“ hat das BKA abgelehnt.
Denn vor dem Blockieren werden nicht erst einmal alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft. Davor sind wir meilenweit entfernt. Selbst bei Fällen im Inland passiert oft monatelang nichts. So hat ein Nutzer beim Assoziations-Blaster (einem Projekt von Dragan Espenschied und mir) monatelang kinderpornographische Texte ins Netz gestellt. Ich war dauernd damit beschäftigt den Mist zu löschen und Strafanzeigen zu schreiben. Monatelang. Einmal gab es schon nach 20 Minuten einen Rückrüf vom LKA Düsseldorf (NRW): Sie seien für den Täter in Köln (NRW) nicht zuständig, ich solle mich ans LKA in Stuttgart wenden, weil ich da ja wohne. So läuft das in der Praxis ...
Leider merken die meisten Abgeordneten nicht, wie sie vom BKA über den Tisch gezogen werden. Hier wird eine Zensur-Infrastruktur auf dem Rücken misshandelter Kinder aufgebaut. Das BKA will solche Sperren seit über zehn Jahren. Nun hat es endlich das Thema gefunden, bei dem es geklappt hat.
Wir haben leider das Problem, dass die meisten Politiker die komplizierten technischen Zusammenhänge überhaupt nicht verstehen. Aber auch nicht verstehen wollen. Beim Thema Wahlcomputer war es noch viel offensichtlicher, wenn auch weniger populär: Da wehren sich die Computerfreaks gegen Wahlcomputer. Und was sagen die Politiker? Stellt Euch nicht so an, seid nicht Technikfeindlich! Aber hallo: wir, die den ganzen Tag vor der Kiste sitzen, Betriebssyteme programmieren, Eure Webseiten erstellen, dafür sorgen dass Eure Bankautomaten und Handys funktionieren, wir sind nicht technikfeindlich. Wir wissen was man damit anstellen kann. Also hört endlich auch mal auf uns und lasst Euch nicht dauernd von irgendwelchen Partikularinteressen oder der nächsten Wahlkampf-Masche antreiben!
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