Jahrelang versuchte die Porno-Industrie für so genannte „Jugendschutzprogramme“ (Internet-Filter-Programme) eine Anerkennung der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) zu erlangen – um damit niedrigere Hürden für die Verbreitung der eigenen Inhalte zu erhalten. Wegen Untauglichkeit der vorgeschlagenen Produkte wurde diese Anerkennung aber verweigert. Mit dem neuen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) kann die Branche sich ihre eigenen Programme selbst anerkennen. Und da ist es nicht weiter verwunderlich, dass in der gesamten Diskussion Personen aus der Szene ihre Finger im Spiel haben. Dumm nur, wenn das Geschachere auf Kosten aller im Netz geführt wird und die Porno-Industrie Erleichterungen erhält, gleichzeitig aber die Hürden für alle, die etwas veröffentlichen wollen, steigen.
Dass Unternehmen aus der Porno-Branche irgendwelche „Jugendschutz“-Systeme entwickeln, ist nicht neu. Im Wesentlichen geht es da um die Hoffnung, das eigene Geschäft in Ruhe weiter betreiben zu können und den Regulierern irgendwas zur Beruhigung zu bieten.
Diese Methode ist nun um eine Variante reicher: Der Autor des Konzepts für eine Technische Richtlinie zur Kennzeichnung von Webseiten mit einer Altersklassifizierung für den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag ist Stefan Schellenberg. Und genau dieser ist schon lange selbst in der Porno-Branche tätig. Er ist (oder war) „Chefredakteur Online“ bei der Inter Content KG, einem Tochterunternehmen des Heinrich Bauer Verlages, das die Porno- und Erotik-Bereiche des Verlages betreut.
Schellenberg versucht schon lange, die Hürden der Jugendschutz-Gesetze in Deutschland für die Porno-Branche zu senken. So schreibt heise online bereits im Juli 2003:
Bei den Vertretern der Adultbranche hat allerdings die Vorgabe vom Juni einige "Sorgenfalten" bewirkt, bestätigt Stefan Schellenberg, Leiter des Bauer-Ablegers Intercontent und Vorsitzender von JusProg. Schellenberg hofft, dass man bei der geplanten Anhörung für mehr Vertrauen in Identifizierungsverfahren per Personalausweis werben kann.
[…]
Mit dem JusProg geht die Branche außerdem auch in die Offensive, was die entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte angeht, dabei handelt es sich zum Beispiel um die Einstiegsseiten zu den Sexseiten.
Und 2005 schrieb Schellenberg im Jaginforum, einem Forum für die Erotikbranche, zum Thema Altersverifikationssysteme (AVS):
Wir jedenfall versuchen alles, was wir irgendwie sinnvoll finden, um für Deutschland eine passable AVS-Alternative anbieten zu können.
[…]
Unterm Strich: Lass uns gemeinsam zusehen, dass es AVS gibt, die uns und allen anderen Anbietern in Deutschland ein einigermassen einträgliches Geschäft ermöglichen, ohne die ständige Angst vor dem Briefträger mit der KJM-Abmahnung in der Tasche.
Die Versuche zur Lockerung der Vorgaben haben allerdings alle nicht wirklich geklappt. Für Pornografie bleibt es dabei: Persönliche Identifizierung mit Altersnachweis und bei jeder Nutzung eine persönliche Authentifizierung sind nötig. Nur bei Soft-Pornos reicht eine einfache Altersverifikation oder die zeitliche Beschränkung – aber auch das ist noch eine relativ hohe Hürde.
Die Branche versuchte es dann damit, eigene „Jugendschutzprogramme“ zu entwickeln und ihre Webseiten mit entsprechenden Kennzeichen zu versehen. Die Idee dahinter: wenn die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) ein Filterprogramm anerkennt, das Kennzeichen auf den Webseiten ausliest, dann können die Hürden für Soft-Porno-Inhalte sinken und sie könnten beispielsweise auch tagsüber ohne Altersverifikation angeboten werden. Genau das wurde dann also versucht. Die KJM schrieb dazu auf einer in der Zwischenzeit gelöschten Seite (Archive.org hat sie aber noch):
Die KJM kann zeitlich befristete Modellversuche zulassen, um neue Verfahren, Vorkehrungen oder technische Möglichkeiten zur Gewährleistung des Jugendschutzes zu erproben.
[…]
Die KJM hat bisher drei potenzielle Jugendschutzprogramme zum Modellversuch zugelassen: „ICRAdeutschland" des ICRA-Konsortiums und der FSM, bei dem die Seitenbetreiber ihre Inhalte selbst klassifizieren (Stichwort „Labeling"), „jugendschutzprogramm.de" des Vereins Jus Prog e.V., das aus redaktionell erstellten Filterlisten in Kombination mit dem Filtersystem „ICRAplus" besteht, sowie „System-I" der Cybits AG, einer Jugendschutzsoftware für Internet-Service-Provider und Portalanbieter. Von diesen Modellversuchen wird derzeit jedoch nur noch einer fortgeführt: „jugendschutzprogramm.de". Der Modellversuch mit „ICRAdeutschland" ist dagegen ausgelaufen, ohne dass eine Anerkennung der KJM erfolgen konnte, und der Modellversuch mit „System-I" wurde vom Antragsteller zurückgezogen.
Auch jugendschutzprogramm.de des JusProg e.V. (zur Erinnerung: damals war Schellenberg der Vorsitzende) war eine mittlere Katastrophe und ist grandios gescheitert. Die KJM hat kein Programm zugelassen. Also mussten die Zulassungs-Hürden gesenkt werden. Genau dies geschieht mit dem neuen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMstV): nun ist nicht mehr die KJM für die Zulassung der Programme zuständig, sondern die Wirtschaft in Gestalt der Freiwilligen Selbstkontrolle selbst. Für Anbieter reicht es ab dem Zeitpunkt der Zulassung des ersten Programmes, einschlägige FSK 16 und FSK 18 Inhalte (dazu gehören auch Soft-Pornos, aber keine Hardcore-Pornos!) mit einem Alterskennzeichen zu versehen. Und Schellenberg hat die technische Richtlinie geschrieben.
Vor dem Gesamthintergrund wird dann auch klar, warum sich doch einige auf den neuen JMStV freuen: Für die Porno-Branche sinken die bisherigen extrem strengen Regeln. Zwar nicht im Hardcore-Bereich (da bleibt alles beim alten), aber bei den Einstiegsprodukten.
Übrigens: Auch die Deutsche Telekom AG ist mit im Boot, und hat in der ganzen Sache gleich einen vierfach-Interessenkonflikt.
Fazit
Die Online-Porno-Branche erkauft sich Erleichterungen (und „Rechtssicherheit“, weil sie sich endlich ihre Filter selbst zulassen kann) und bezahlt mit strengeren Regeln für uns alle: Pflicht zur Alterseinstufung aller Inhalte, in vielen Fällen die Nötigung zum Kennzeichnen, rechtliche Risiken und Unsicherheit für alle aktiven Internet-Nutzer und Betreiber von Web 2.0 Plattformen.
Oder anders gesagt: Hier werden zu Lasten von allen, die etwas im Netz Publizieren, kommunizieren oder innovative Web 2.0 Angebote erstellen, Erleichterungen insbesondere für die Porno-Branche durchgedrückt. Das halte ich für ein Unding.
Die Erleichterungen selbst lehne ich zwar nicht ab. Aber der Preis dafür ist zu hoch.
Zum JMStV siehe auch:
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